Düsseldorf, 13. März 2025 – Nationale Versorgungsleitlinien (NVL) sollen unter Berücksichtigung der wissenschaftlichen Evidenz und hochwertiger Studien Empfehlungen zur Diagnostik und Therapie von Volkskrankheiten einheitlich festhalten. In der neuen NVL zur koronaren Herzkrankheit (KHK), die zur Angina Pectoris und zum Herzinfarkt führen kann, ist dies aber an entscheidenden Punkten nicht oder nur unzureichend umgesetzt. Dies könnte zu einer Verschlechterung der Versorgung der Patientinnen und Patienten mit chronischer KHK in Deutschland führen. Dies berichten Vertreterinnen und Vertreter der Deutschen Gesellschaft für Kardiologie, Herz- und Kreislaufforschung e. V. (DGK), der Deutschen Gesellschaft für Innere Medizin e. V. (DGIM) und der Deutschen Gesellschaft für Prävention und Rehabilitation von Herz-Kreislauf-Erkrankungen e. V. (DGPR). Die Expertinnen und Experten haben zahlreiche Stellen identifiziert, an denen die Studienlage sich in den Empfehlungen nur unzulänglich widerspiegelt. Die Fachgesellschaften kritisieren unter anderem folgende vier Punkte.
So fokussiert die neue NVL bezüglich der Diagnostik fast ausschließlich auf das Symptom Brustschmerz und blendet die insbesondere bei älteren Patientinnen und Patienten häufig auftretende Luftnot aus. Dabei geht eine Luftnot im Vergleich zu Thoraxschmerzen mit einem erhöhten Sterberisiko bei KHK einher.
Der kausale Zusammenhang zwischen hohen LDL-Cholesterinwerten und der Entstehung von Atherosklerose ist wissenschaftlich zweifelsfrei belegt. Ebenso zeigen Studien eindeutig, dass eine zielwertorientierte Therapie mit lipidsenkenden Mitteln das Risiko für atherosklerotische Erkrankungen senkt. Dennoch empfiehlt die NVL eine Fest-Dosis-Strategie in der Statintherapie, die sich nicht daran orientiert, dass die Patientinnen und Patienten tatsächlich die in den internationalen Leitlinien empfohlenen Zielwerte erreichen.
In der NVL wird sich dafür ausgesprochen, die Einverständniserklärung für eine diagnostische Linksherzkatheteruntersuchung (Koronarangiografie) stets mit einem Einverständnis für einen eventuell notwendigen operativen Eingriff zu verbinden. Bypassoperationen werden allerdings nur bei unter 5 Prozent der Patientinnen und Patienten nötig, bei denen eine Koronarangiografie durchgeführt wird. Diese Risikogruppe lässt sich anhand der Ergebnisse randomisierter Studien gut eingrenzen, sodass die Empfehlung nur bei einem Bruchteil der Betroffenen notwendig ist. Ebenso soll bei jedem Patienten, eine Herzteam-Besprechung nach der Koronarangiografie mit Herzchirurgie, Kardiologie und der/dem behandelnden Hausärztin bzw. Hausarzt stattfinden bevor eine Revaskularisation erfolgt. Das ist nicht praktikabel und erhöht durch den nachfolgenden Zweiteingriff mögliche Komplikationsraten.
Die NVL bescheinigt der Myokardrevaskularisation, also dem Eröffnen verengter Arterien durch Herzkatheter, lediglich eine Bedeutung bei der Verbesserung der Symptomatik und der Lebensqualität. Damit werden große Studien und Metaanalysen nicht berücksichtigt, die insbesondere eine Reduktion der Herzinfarktrate durch Myokardrevaskularisation nachgewiesen haben.
„Angesichts der vielfältigen Empfehlungen der NVL, die von der aktuellen ESC-Leitlinie abweichen und aus Sicht der DGK nicht der optimalen Therapie entsprechen, hat sich die DGK erstmals entschlossen, eine NVL nicht zu konsentieren“, erläutert Prof. Holger Thiele, Präsident der DGK. „Bleibt zu hoffen, dass künftig ein engerer inhaltlicher Schulterschluss mit den anderen Fachgesellschaften für das KHK-Management erreicht wird – so wie dies zuletzt erfolgreich für andere kardiologische Krankheitsbilder realisiert wurde.“
Deutsche Gesellschaft für Kardiologie
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