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Neue Sicht auf Klasse-Ic-Antiarrhythmika bei KHK

APHRS 2025 | Kohortenstudie: Eines der ältesten Dogmen der Rhythmustherapie gerät ins Wanken: das pauschale Verbot von Klasse-Ic-Antiarrhythmika bei koronarer Herzkrankheit (KHK). Prof. Pohsueh Su (Taiwan) stellte beim APHRS-Kongress in Yokohama (Japan) die Ergebnisse einer großangelegten Kohortenstudie vor. Die Arbeitsgruppe präsentierte Daten, die nahelegen, dass Klasse IC-Antiarrhythmika bei Personen mit stabiler KHK nach erfolgreicher Revaskularisation nicht nur sicher, sondern möglicherweise sogar vorteilhaft sein könnten.1

 

Prof. Christian-Hendrik Heeger (Asklepios Klinik Altona) berichtet und kommentiert.

Von:

Prof. Christian-Hendrik Heeger

Asklepios Klinik Altona

 

18.11.2025

Bildquelle (Bild oben): ESB Professional / Shutterstock.com

Hintergrund: Ein historisches Tabu

Seit der Publikation der CAST-Studie (1991) galt die Regel: Bei KHK – insbesondere nach Myokardinfarkt – keine Klasse-Ic-Antiarrhythmika.2 Der Grund war das deutlich erhöhte Arrhythmie- und Mortalitätsrisiko, das damals unter Flecainid beobachtet wurde. Diese Daten wurden jedoch über Jahrzehnte verallgemeinert – auch auf Patientinnen und Patienten, deren kardiovaskuläres Risiko mit modernen PCI-Techniken, verbesserter Sekundärprävention und einer deutlich besseren myokardialen Situation nicht mehr vergleichbar ist. Gleichzeitig gehört Flecainid zu den effektivsten Rhythmuskontroll-Medikamenten in der Behandlung des paroxysmalen Vorhofflimmern. Viele Elektrophysiologinnen und Elektrophysiologen nutzen es im klinischen Alltag bereits bei sorgfältig selektionierten Personen mit stabiler KHK. Dennoch bestand eine erhebliche Unsicherheit, die durch die aktuellen Daten nun neu bewertet werden muss.

Studiendesign und Kollektiv

Su et al. nutzten eine nationale taiwanische Versicherungsdatenbank und identifizierten über 10.000 Patientinnen und Patienten, die:

 

  • sich einer PCI unterzogen hatten und
  • erstmals Vorhofflimmern entwickelten,
  • keinen akuten Myokardinfarkt,
  • und keine eingeschränkte linksventrikuläre Funktion aufwiesen.


Entscheidend war die frühe Einleitung einer Klasse-Ic-Therapie (Flecainid oder Propafenon) innerhalb von 30 Tagen nach Vorhofflimmer-Diagnose. Die Autoren verglichen diese Gruppe mit Personen, die im gleichen Zeitraum andere antiarrhythmische Strategien erhielten oder rein frequenzkontrolliert behandelt wurden. Das Studiendesign beinhaltete umfangreiche Propensity-Score-Methoden, um strukturelle Unterschiede zwischen den Gruppen zu minimieren. Die mediane Nachbeobachtungszeit betrug zwei Jahre.

Endpunkte

Der primäre Endpunkt setzte sich aus ischämischem Schlaganfall, hämorrhagischem Schlaganfall oder transitorischer ischämischer Attacke zusammen.

Sekundäre Endpunkte waren unter anderem: Gesamtmortalität, größere kardiovaskuläre Ereignisse (MACE), Hospitalisation wegen Herzinsuffizienz, Auftreten ventrikulärer Arrhythmien.

Ergebnisse: Ein überraschend positives Bild

1. Schlaganfall/TIA: 37 % Risikoreduktion
Patientinnen und Patienten mit früher Klasse-Ic-Antiarrhythmika-Therapie erlitten signifikant weniger cerebrovaskuläre Ereignisse (-37 %). 


2. Mortalität und MACE deutlich geringer
Das Risiko für Tod und größere kardiovaskuläre Ereignisse war ebenfalls niedriger. Dies spricht dafür, dass eine effektive Rhythmuskontrolle in dieser stabilen Population möglicherweise protektive Effekte entfalten kann.


3. Herzinsuffizienz-Hospitalisation reduziert
Auch Aufnahmen wegen Herzinsuffizienz traten seltener auf – ein Hinweis darauf, dass regelmäßiger Sinusrhythmus die Hämodynamik stabilisiert.


4. Kein Anstieg der Häufigkeit von ventrikulären Arrhythmien
Das vielleicht wichtigste Sicherheitsresultat: Es fand sich kein Hinweis auf ein erhöhtes Risiko maligner ventrikulärer Arrhythmien. Gerade dieses Ergebnis stellt das traditionelle Dogma infrage, Klasse-Ic-Medikamente seien selbst bei revaskularisierten und stabilen KHK-Patienten grundsätzlich gefährlich.

Einordnung der Ergebnisse

Die Studie liefert keine randomisierten Evidenzen, aber sie ist groß, methodisch solide balanciert, klinisch relevant und im Einklang mit aktuellen Beobachtungen aus der täglichen Praxis vieler Rhythmologinnen und Rhythmologen. Sie passt außerdem in eine breitere Entwicklung: Die moderne KHK-Patientengruppe ist nicht die CAST-Population – weder hinsichtlich Narbenlast, noch hinsichtlich Ischämierisiko und Therapieumfeld.

Die Arbeit unterstützt daher die Hypothese, dass die Konstellation aus einem stabilen, vollständig revaskularisiertes Koronarsystem, keiner relevanten LV-Dysfunktion, keiner myokardialen Narbe und residuellen Ischämie eine sichere Grundlage für die Anwendung von Flecainid oder Propafenon sein kann. Die Daten könnten die nächsten ESC- oder ACC/AHA-Leitlinien verändern – sodass bei stabiler, vollständig revaskularisierter KHK ohne Narben oder LV-Dysfunktion ein Klasse-IC-Antiarrhythmikum erwogen werden kann.

Fazit und Kommentar

Die Daten von Su et al. markieren einen möglichen Wendepunkt in der Bewertung von Klasse-Ic-Antiarrhythmika bei KHK. Die Ergebnisse sprechen dafür, dass Flecainid bei stabilen, nach PCI erfolgreich revaskularisierten Patientinnen und Patienten nicht nur sicher sein könnte, sondern auch relevante klinische Vorteile bietet. Ob dies tatsächlich zu einer Neuausrichtung der Leitlinien führt, bleibt abzuwarten – die Diskussion darüber dürfte jedoch nach APHRS 2025 zweifellos Fahrt aufnehmen.

Zur Person

Prof. Christian-Hendrik Heeger

Prof. Christian-Hendrik Heeger ist Leitender Arzt des Departments für Rhythmologie an der Asklepios Klinik Altona in Hamburg. Sein Schwerpunkt liegt im Bereich der invasiven Elektrophysiologie, mit besonderem Fokus auf neue Technologien und Ablationsmethoden zur Therapie von atrialen und ventrikulären Arrhythmien. Er gehört zum Nukleus der DGK-Arbeitsgruppe 1 Elektrophysiologie und Rhythmologie (AGEP).
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Key Facts der Studie

Der Vergleich einer frühen Einleitung einer Klasse-Ic-Therapie (Flecainid oder Propafenon) innerhalb von 30 Tagen nach Vorhofflimmer-Diagnose mit anderen antiarrhythmischen Strategien oder einer rein frequenzkontrollierten Behandlung.

Patientinnen und Patienten mit früher Klasse-Ic-Antiarrhythmika-Therapie erlitten signifikant weniger cerebrovaskuläre Ereignisse, hatten ein niedrigeres Risiko für Tod und größere kardiovaskuläre Ereignisse, wurden seltener wegen Herzinsuffizienz hospitalisiert und zeigten kein erhöhtes Risiko für ventrikuläre Arrhythmien.

Zwar liefert die Studie keine randomisierten Evidenzen, aber die Ergebnisse sprechen dafür, dass Flecainid bei stabilen, nach PCI erfolgreich revaskularisierten Personen nicht nur sicher sein könnte, sondern auch relevante klinische Vorteile bietet. Es bleibt aber abzuwarten, ob dies tatsächlich auch zu einer Neuausrichtung der Leitlinien führt.

Referenzen

  1. Su P. Safety and Outcomes of Class Ic Antiarrhythmic Use in Post-PCI Patients With New-Onset Atrial Fibrillation: A Nationwide Cohort Study. Late Breaking Trial Session 4. 15.11.2025. APHRS 2025. Yokohama, Japan.
  2. Echt DS, Liebson PR, Mitchell LB et al.: for the CAST-Investigators: Mortality and morbidity in patients receiving encainide, flecainide, or placebo. N Engl J Med 1991; 324: 781-788.

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