Multiple große epidemiologische Studien beweisen die Assoziation von körperlicher Aktivität mit positiven Gesundheitseffekten. Hierbei korreliert epidemiologisch das Ausmaß der körperlichen Aktivität mit der Effektstärke. Daher kann eine große Studie von Holtermann et al. auf den ersten Blick überraschen: Die Daten der Copenhagen General Population Study mit 104.086 Personen mit einem 10-Jahres-Follow-up zeigen, dass körperliche Aktivität in der Freizeit mit einer deutlichen Risikoreduktion für kombinierte kardiovaskuläre Endpunkte und Gesamtsterblichkeit assoziiert ist, während körperliche Aktivität bei der Arbeit mit einem erhöhten kardiovaskulären und Sterblichkeitsrisiko vergesellschaftet ist.1
Insgesamt traten 7.913 (7,6 %) MACE, also schwere kardiale Komplikationen, und 9.846 (9,5 %) Todesfälle auf. Im Vergleich zu der Gruppe mit niedriger körperlicher Aktivität in der Freizeit lag die Hazard Ratio für MACE bei 0,86 (95%-Konfidenzintervall: 0,78–0,96) für mittlere Aktivität, 0,77 (0,69–0,86) für hohe und 0,85 (0,73–0,98) für sehr hohe Aktivität. Im Gegensatz hierzu betrugen die entsprechenden Hazard-Ratio-Werte für steigendes Aktivitäts-Niveau bei der Arbeit 1,04 (0,95–1,14), 1,15 (1,04–1,28), und 1,35 (1,14–1,59). Ähnliches wurde für die Sterblichkeit beobachtet: Während zunehmende Aktivität in der Freizeit mit einem niedrigeren Risiko für Tod assoziiert war, verhielt sich dies für die Aktivität bei der Arbeit umgekehrt. Die Daten wurden multivariat adjustiert.
Die Studie von Holtermann et al. unterstreicht, dass aus einer epidemiologischen Assoziation keine Ätiologie abgeleitet werden kann. Vorstellbar ist jedoch, dass der bei allen lebensstilbezogenen Assoziationen häufige Störfaktor der Sozialfaktoren die Befunde erklärt. Berufe mit einem hohen Ausmaß an körperlicher Aktivität sind mit geringem Einkommen, geringem Bildungsstand und kardiovaskulär ungünstigem Verhalten, wie z. B. Zigarettenrauchen assoziiert. Umgekehrt ist der Bildungsstand ein Indikator für körperliche Aktivität, z. B. fahren Menschen mit Abitur häufiger Fahrrad.2 Ein anderes Beispiel ist eine Untersuchung zur körperlichen Aktivität im Kindesalter, welche zeigt, dass von allen untersuchten Faktoren mit Abstand das Einkommen der Eltern der potenteste Prädiktor für körperliche Aktivität war.3
Diese Untersuchungen sensibilisieren erneut für die Tatsache, dass aus dem Ausmaß einer epidemiologischen Assoziation nicht die Effektstärke einer Intervention abgeleitet werden kann, d. h. konkret ist ein Teil der positiven Effekte, die der körperlichen Aktivität in den epidemiologischen Studien zugeordnet werden, durch den stärksten kardiovaskulären Risikofaktor, den Sozialfaktoren, bedingt. Gleiches gilt möglicherweise auch für das Zigarettenrauchen. Daher ist bei einer entsprechenden Intervention eine etwas geringere Effektstärke zu erwarten, als aus den epidemiologischen Assoziationen abzuleiten ist.
Diese provokante Frage wurde durch eine aktuelle Publikation von De Bosscher et al. im European Heart Journal aufgeworfen.4 In der Master@Heart-Studie wurden 3 Personengruppen verglichen: 191 Personen mit lebenslangem intensiven Ausdauertraining, 191 Personen, welche das Ausdauertraining nach ihrem 30. Lebensjahr begonnen haben, sowie 176 gesunde Nichtathleten. Der primäre Endpunkt der Studie war die Morphologie von koronaren Plaques in der koronaren Computertomographie. Die individuelle Fitness wurde über die maximale Sauerstoffaufnahme objektiviert. Das mittlere Alter war 55 Jahre, die maximale Sauerstoffaufnahme war 159 % versus 155 % und 122 %. Die CT-Analysen zeigten eine höhere Prävalenzrate von Koronarplaques bei den lebenslangen Athleten. Tendenziell waren die Plaques auch bei den Athleten erhöht, die nach dem 30. Lebensjahr das Training aufgenommen haben. Konsistent mit diesem unerwarteten Befund waren alle Plaquetypen, d. h. auch proximale kalzifizierte und nichtkalzifizierte Plaques, erhöht.
Die Master@Heart-Studie wurde sehr intensiv diskutiert. Die positiven Effekte von körperlicher Aktivität auf die Gefäßgesundheit sind unstrittig. Gleichzeitig kann es auch bei körperlicher Aktivität möglicherweise ein „zu viel“ geben. Die alte „extreme Belastungshypothese“ besagt, dass in Form einer U-Kurve auch körperliche Aktivität mit verschiedenen gefäßrelevanten Stressoren korrelieren kann, hierzu gehören z. B. Mechanismen der systemischen Inflammation und des oxidativen Stresses, wie sie z. B. regelhaft nach Marathonläufen und anderen Extrembelastungen nachgewiesen werden können.5,6 Insbesondere für kardiovaskulär vorerkrankte Patientinnen und Patienten, wie z. B. Personen mit KHK können regelhafte Extrembelastungen daher ungünstig sein, dies zeigen z. B. auch alte Daten der Karola-Studie.7 Die wissenschaftliche Herausforderung für die Zukunft besteht u. a. darin, Serummarker zu identifizieren, die diesbezüglich eine individualisierte Trainingssteuerung ermöglichen. Weiterhin unterstreichen diese Befunde das Konzept, ein individualisiertes „Rezept“ für Bewegung auszustellen. Ein Beispiel findet sich unter folgendem Link: Universitätsklinikum Leipzig – Rezept für Bewegung
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