Neue interdisziplinäre Behandlungsempfehlungen für Volkskrankheit Vorhofflimmern

Kürzlich wurde die erste deutsche AWMF-S3-Leitlinie Vorhofflimmern veröffentlicht – unter der Federführung der Deutschen Gesellschaft für Kardiologie (DGK) in Zusammenarbeit mit einem Gremium aus 15 Fachgesellschaften, Institutionen und Patientenvertretungen, darunter die auch Deutsche Gesellschaft für Allgemeinmedizin (DEGAM) und die Deutsche Gesellschaft für Innere Medizin (DGIM).

 

Düsseldorf, 26. Mai 2025 – Anlass für die Erstellung der Leitlinie unter der Koordination von Prof. Dr. Lars Eckardt (Münster) und Prof. Dr. Stephan Willems (Hamburg) war die zunehmende Prävalenz von Vorhofflimmern (AF) aufgrund der demographischen Entwicklung und die hohe gesundheitsökonomische Bedeutung der Erkrankung, die oft mit einer Vielzahl Begleiterkrankungen einher geht. „In Deutschland sind etwa 1,6 Millionen Menschen, also rund 2% der Bevölkerung von AF betroffen. Innerhalb der nächsten 50 Jahre wird mit einer Verdoppelung der Prävalenz gerechnet, dabei nehmen Betroffene das Gesundheitssystem mehr als doppelt so viel wie Patientinnen und Patienten ohne AF in Anspruch,“ erklärt Willems. „AF ist nicht nur die häufigste Form anhaltender Herzrhythmusstörungen, sondern auch mit einer erheblichen Morbidität verbunden. Im Sinne eines ganzheitlichen therapeutischen Ansatzes mit einem differenzierten, individuellen Management des AF, wurde die S3-Leitlinie mit einem breiten Konsens auf Basis der aktuellen wissenschaftlichen Evidenz verfasst. „Es ist sehr positiv, dass die Fachgesellschaften, Institutionen und Patientenvertretungen – trotz der unterschiedlichen Perspektiven, mit denen die verschiedenen Daten interpretiert werden – sehr gut zusammengerückt und im Rahmen der fachlichen Diskussionen viele Brücken entstanden sind,“ so Eckardt.

Empfehlung eines risikoadaptierten Screenings

In Einklang zu internationalen Leitlinien basiert die deutsche Leitlinie auf vier Grundpfeilern: Komorbiditäten/Risikofaktoren, Screening/Diagnostik, Schlaganfallschutz und AF-Therapie. Der Stellenwert von Lebensstil-assoziierten Maßnahmen wurde in einem ganzheitlichen Ansatz für die Primär- und Sekundärprävention des AF gestärkt. Damit wird den deutlichen Assoziationen zwischen AF und Übergewicht, Hypertonie, Diabetes mellitus, Schlafapnoe und körperlicher Inaktivität Rechnung getragen. Für die Diagnose des AF wird kein generelles Standard-Screening, sondern ein risikoadaptiertes Screening empfohlen. Eine späte Diagnose und verzögerte Behandlung von AF verursachen in Deutschland und Europa bei vielen Menschen vermeidbare Schlaganfälle, eine Herzinsuffizienz und kardiovaskuläre Todesfälle. Um bislang unerkanntes Vorhofflimmern mit hoher Last zu erkennen, sollen Menschen im Alter ≥75 Jahren und/oder mit erhöhtem Schlaganfallrisiko mindestens einmal mittels EKG untersucht werden. AF-Screenings für die gesamte Altersgruppe reduzierten allerdings Schlaganfälle weniger stark als erwartet, möglicherweise, da in den geprüften Programmen die Einladungen zum Screening von etwa der Hälfte der kontaktierten Personen nicht angenommen wurden. 

Individuelle Schlaganfallprophylaxe

Im Einklang mit der ESC-Leitlinie Vorhofflimmern aus dem Jahr 2024 wurde der CHA2DS2-VA-Score für die Ermittlung des Schlaganfallrisikos eingeführt. Im Gegensatz zu den internationalen Leitlinien wird für die Schlaganfallprophylaxe durch orale Antikoagulation in Deutschland nun mehr individueller Spielraum gewährt. Erfahrungsgemäß ist die Medikamenten-Adhärenz aus Unsicherheit oder Unwissenheit über Nutzen und Risiko der Therapie eher niedrig. Aus diesem Grund empfiehlt die Leitliniengruppe, die Patientinnen und Patienten in die Entscheidungsfindung für oder gegen eine orale Antikoagulation aktiv einzubeziehen. Ob Vitamin-K-Antagonisten (VKA) oder DOAK eingesetzt werden, soll individuell entschieden werden. In der Praxis werden zwar immer häufiger DOAK eingesetzt, da diese besser handhabbar und mit weniger Blutungen verbunden sind, jedoch weisen deutsche Real-World-Daten aus Registern und Beobachtungsstudien darauf hin, dass Phenprocoumon, der in Deutschland überwiegend eingesetzte Vitamin-K Antagonist, möglicherweise besser vor kardiovaskulären Ereignissen schützen könnte. Daher soll die orale Antikoagulation unter Berücksichtigung der individuellen Komorbiditäten, individuellen Lebensumstände und Anwendungsbeschränkungen ausgewählt werden. 

Vorhofflimmern als Kontinuum

In der neuen Leitlinie wird der Einsatz der Katheterablation bei paroxsymalem (unregelmäßig auftretendem) und persistierendem (dauerhaftem) AF ebenso wie bei zugrundeliegender Herzinsuffizienz gestärkt. Eine frühe und effektive Rhythmuskontrolle soll bei allen Patientinnen und Patienten mit neu diagnostiziertem AF geprüft werden. „Im Gegensatz zur ESC differenzieren wir nicht so strikt zwischen paroxsymalem und persistierendem AF. Die Übergänge sind fließend, daher betrachten wir das AF als Kontinuum. Personen mit persitierendem AF sollten nicht generell von der Rhythmuskontrolle ausgeschlossen werden. Eine frühzeitige Katheterablation von paroxysmalem AF kann zudem die Progression zu persistierendem AF verhindern,“ sagt Willems. Dies belegen auch neuere Daten, die zeigen, dass Personen mit persistierendem AF ähnlich gut von der Ablation profitieren, wie klassische Patientinnen und Patienten mit paroxsymalem AF. Bei Betroffenen mit schwerer Herzinsuffizienz empfiehlt die S3-Leitlinie, neben der leitliniengerechten Herzinsuffizienz-Therapie auch eine rhythmuskontrollierende Therapie zu erwägen, da sich AF und Herzinsuffizienz gegenseitig begünstigen können. Bei Eignung wird auch hier eine Katheterablation des AF empfohlen.

 

Die AWMF-S3-Leitlinie Vorhofflimmern enthält viele weitere Praxis-orientierte Empfehlungen für die Versorgung von betroffenen Patientinnen und Patienten von der Diagnostik bis zur Therapie. Auch eine Pocket-Leitlinie für die Kitteltasche ist bereits in Arbeit.

Kontakt

Deutsche Gesellschaft für Kardiologie

Pressesprecher: Prof. Dr. Michael Böhm (Homburg/Saar)

Pressestelle: Kerstin Kacmaz, Tel.: 0211 600 692 43

presse@dgk.org 

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