Zeitzeugen-Interview: Prof. Hans-Carlo Kallfelz

 

Mit Zeitzeugen-Interviews möchte das Historische Archiv der DGK unter Leitung von Dr. Fokko de Haan, spannende historische Entwicklungen aufzeigen und die Lebenswege bedeutender Persönlichkeiten der Kardiologie nachzeichnen. Der Blick in die Vergangenheit hilft, den heutigen Stand und zukünftige Entwicklungen in der Welt der Kardiologie besser zu verstehen.


Im Juli 2020 sprach Dr. Foko de Haan mit Prof. Hans-Carlo Kallfelz

Von:

Dr. Fokko de Haan

Historisches Archiv der DGK

 

01.07.2020

 

Bildquelle (Bild oben): kanetmark / Shutterstock.com

Die Kindheit

 

de Haan: Sie wurden zwar in Frankfurt am Main 1933 geboren, wuchsen aber im Rheinland (Düsseldorf) auf. Daneben taucht in Ihrem CV St. Goar auf. Wie hängt das zusammen? Sind Sie Rheinländer?

 

Kallfelz: Ich würde mich schon als Rheinländer bezeichnen. In Düsseldorf besuchte ich die Grundschule und später das Görres-Gymnasium, wo ich 1953 das Abitur machte. Meine Eltern fanden es wegen der zunehmenden Bombenangriffe ratsam, 1943 die Großstadt Düsseldorf zu verlassen, und wir siedelten nach St. Goar gegenüber der Loreley um. Meine Eltern fanden, dass es für die Familie sicherer sei, dort zu wohnen, aber das war ein Trugschluss. Ich erinnere mich noch an die Tiefflieger-Angriffe im Rheintal, wobei man versuchte, Militärtransporte, die per Bahn am Rhein fuhren, zu treffen.
Mein Vater war als Marinechirurg im Lazarett nahe Wesermünde tätig, deshalb wohnten wir 1944 – 1945 in Bremerhaven, kamen dann aber wieder zurück nach Düsseldorf.

de Haan: Sie hatten mehrere Geschwister. Wie sah das Familienleben der Familie Kallfelz aus?

 

Kallfelz: Ich war der Älteste von 5 Geschwistern. Da mein Vater während des Krieges als Marinechirurg eingezogen war, gab es kaum ein Familienleben im üblichen Sinne. Mein jüngerer Bruder wurde später Metallurge, die Schwestern hatten sich nach der Schulzeit bei der Lufthansa bzw. British Airways verdungen.
Meine Mutter, eine geborene Australierin, war ausgebildete Sängerin. Sie vermittelte ihren Kindern den Blick auf andere Nationen und Kulturen.

de Haan: Spielten der Nationalsozialismus und die Kriegsjahre eine Rolle in Ihrer Kindheit?

 

Kallfelz: Da mein Vater keiner NS-Organisation angehörte, wurde ihm eine Habilitation verwehrt. Auch war es für ihn deswegen nicht möglich, in einem staatlichen oder kommunalen Krankenhaus eine angemessene Position zu erlangen. Durch die australische Nationalität meiner Mutter drohte der Familie die Internierung.

de Haan: Ihr Vater war Chirurg – hatte das Einfluss auf Ihre spätere Berufswahl als Mediziner?

 

Kallfelz: Das war wohl prägend: die berufliche Tätigkeit meines Vaters. Nur kurz hatte ich damit geliebäugelt, alte Sprachen und Sport zu studieren.

 

 

Zur Person

Prof. Hans-Carlo Kallfelz

Prof. Hans-Carlo Kallfelz gehört zu den Pionieren der modernen Kinderkardiologie in Deutschland. Sein Ziel war es, die damals ungünstige Prognose und eingeschränkte Lebensqualität von Kindern mit angeborenen Herzfehlern grundlegend zu verbessern.

Prof. Hans-Carlo Kallfelz

 

    

Ausbildung & Berufsweg

 

de Haan: Nach dem Abitur 1953 studierten Sie Medizin in Bonn, zwischenzeitlich ein Jahr in Innsbruck. Auch die MA-Zeit verbrachten Sie in Bonn bzw. Umgebung. Wie kam das?

 

Kallfelz: Ich hatte 1957 bereits mit meiner Frau eine Familie gegründet und war daher darauf angewiesen, eine Anstellung anzunehmen, die besser vergütet wurde. Das Gehalt an der Uniklinik betrug etwa 250,00 DM (≈ 130,00 €) pro Monat, und das in einem kleineren Haus etwa 400,00 DM (≈ 200,00 €) pro Monat.

 

de Haan: Nach dem Staatsexamen 1959 promovierten Sie über ein kinderkardiologisches Thema. Wieso?

 

Kallfelz: Während der vorklinischen Semester hatte mich der Oberassistent im physiologischen Institut darauf angesprochen. Mit Hilfe der Ballisto-Kardiografie versuchte ich, bei einer großen Gruppe gesunder Kinder und Jugendlicher im Alter zwischen 5 und 20 Jahren Aufschluss zu erhalten über den Altersgang und die Geschlechtsabhängigkeit von Herzschlagvolumen, Pulsfrequenz und Blutdruck.
Dadurch, dass meine Schwiegereltern eine Jugendherberge in Bad Godesberg leiteten, konnte ich da auf eine große Anzahl von Probanden zurückgreifen. Die Ergebnisse konnte ich, noch Student, 1958 auf dem Kreislaufkongress in Bad Nauheim vortragen.

de Haan: 1967 erhielten Sie die Facharztanerkennung in Pädiatrie. Während der FA-Ausbildung beschäftigten Sie sich besonders mit dem Aufbau eines kinderkardiologischen Schwerpunktes. Sie gründeten die 1. AG für Kinderkardiologie in NRW. Woher diese Überzeugung? Hatten Sie Mitstreitende?


Kallfelz: Durch meine Doktorarbeit war mein Interesse auf das Herz- und Kreislaufsystem gelenkt worden. Ich begann dann, in der Bonner Kinderklinik am Rhein mich mit dem EKG zu befassen, worüber damals noch nicht sehr viel bekannt war. Mein Chef, Prof. Hungerland, unterstützte mich großzügig bei der Erweiterung der Diagnostik.
Ein wichtiger Impuls zur Beschäftigung mit den angeborenen Herzfehlern kam durch die Contergan-Tragödie. 60 bis 70 % der Betroffenen hatten schwerwiegende Herzfehler. Weit über hundert Neugeborene mit den typischen Extremitäten-Missbildungen wurden seinerzeit in der Bonner Kinderklinik betreut.

de Haan: In den 60er Jahren waren Sie wiederholt im anglo-amerikanischen Ausland und 1965 erhielten Sie ein eigenes HK-Labor in Bonn. War das für die Ausbildung erforderlich? Würden Sie es empfehlen? Gab es Förderer?

 

Kallfelz: In Deutschland war seinerzeit nicht viel von anderen zu lernen, so dass der Weg vor allen Dingen in die amerikanischen Zentren wie z. B. San Francisco, Boston und Chicago sowie New York führte, wo es bereits für die damalige Zeit eine gut strukturierte Kinderkardiologie mit viel Erfahrung gab.
Die Amerikaner waren ausgesprochen freundlich und unterstützend.
Von 1962 bis 1965 hatten wir die Herzkatheter-Diagnostik überwiegend bei Klein- und Schulkindern im Röntgeninstitut von Prof. Janker in Bonn durchgeführt. Die äußeren Umstände erlaubten es jedoch nicht, dort auch Säuglinge zu untersuchen. Deshalb konnte ich nach Rückkehr aus den USA mit Unterstützung meines Chefs Hungerland ein eigenes Herzkatheter-Labor mit zwei Ebenen Angio-Kinematografie in der Klinik einrichten und entwickeln.
Eine Kooperation mit den Erwachsenen-Kardiologen war seinerzeit nicht möglich, schon weil die Hauptklinik oben auf dem Venusberg lag, fast 10 Kilometer entfernt. Eine gezielte Aus- und Weiterbildung im heutigen Sinne existierte nicht. Jeder, der sich mit diesem Spezialgebiet beschäftigte, war auf sich allein gestellt und musste selbst Erfahrungen sammeln. Immerhin haben wir 1966 die erste Rashkind-Ballon-Atrioseptostomie in Deutschland durchführen können mit einem von hilfreichen englischen Kollegen am Hospital for Sick Children, Great Ormond Street, London, ausgeliehenen Ballon-Katheter.

de Haan: 1974 bis 1996 waren Sie Ordinarius für Kinderkardiologie an der neu gegründeten MHH in Hannover. Besonders engagierten Sie sich für die Frühdiagnostik und -behandlung der kleinen Patientinnen und Patienten und bauten eine Intensivstation auf. Wie war die Zusammenarbeit mit der Herzchirurgie und der Kardiologie?

 

Kallfelz: 1973 erhielt ich eine apl. Professur in Bonn und 1974 einen Ruf nach Hannover. Dort entwickelten wir eine exzellente Zusammenarbeit mit den Herzchirurgen (Prof. Borst und Prof. Oelert), die unser Hauptziel, die meist sehr schwerkranken Neugeborenen und jungen Säuglinge frühzeitig und ohne Umwege operativ behandeln zu lassen, konsequent mit unterstützten. Um eine optimale postoperative Versorgung zu gewährleisten, bauten wir früh eine entsprechend ausgestattete und gut funktionierende Kinder-Intensivstation auf.
Die Erwachsenenkardiologen (Prof. Lichtlen) gestatteten mir großzügig die Benutzung des Herzkatheterlabors außerhalb ihrer Kernuntersuchungszeiten, bis wir ein eigenes Katheterlabor zur Verfügung hatten.
Nebenbei sei erwähnt, dass wegen der kleinen Gefäßverhältnisse bei Säuglingen und Kindern die Herzkatheteruntersuchungen nach der Seldinger Technik erst nach 1974 eingeführt wurden, vorher war stets eine Venae-sectio erforderlich.

 

 

Prof. Hans-Carlo Kallfelz mit einem kleinen Patienten auf der Intensivstation Prof. Hans-Carlo Kallfelz mit einem kleinen Patienten auf der Intensivstation

   

Berufspolitik

 

de Haan: Schon während Ihrer klinischen Tätigkeit, aber verstärkt in der Zeit nach Ihrer Emeritierung waren Sie sehr aktiv in der nationalen und der europäischen Gesellschaft der Kinderkardiologen, aber auch der niedersächsischen Ärztekammer. Waren Sie überzeugt, dass diese Tätigkeiten für den Ausbau der Kinderkardiologie wichtig waren? Gab es dadurch neue Impulse?


Kallfelz: Für die Weiterentwicklung der Kinderkardiologie in Deutschland, vor allem auch für die Förderung einer optimalen Versorgung von herzkranken Neugeborenen und Säuglingen fand ich neben meiner beruflichen Tätigkeit als Lehrstuhlinhaber Aktivitäten auf nationaler und internationaler (europäischer) Ebene nicht nur sinnvoll, sondern erforderlich.
Bei der Deutschen Gesellschaft für pädiatrische Kardiologie war ich viele Jahre im Vorstand tätig, einmal auch Präsident, und organisierte zwei Jahrestagungen.
In der Europäischen Gesellschaft der Kinderkardiologen (AEPC) war ich 10 Jahre im Council, u. a. als Generalsekretär und Präsident, und bei der Europäischen Kardiologischen Gesellschaft wirkte ich in der Programmkommission und in der Working Group „Angeborene Herzfehler“ mit.
Bei der niedersächsischen Ärztekammer arbeitete ich 7 Jahre in der Schlichtungsstelle für Arzthaftpflichtfragen.
Nach meiner Emeritierung dann lange Jahre in der Herzstiftung, insbesondere 10 Jahre in der Deutschen Stiftung für Herzforschung. Mein Impetus war immer, die Forschung und junge Kolleginnen und Kollegen zu fördern.

de Haan: Kinderkardiologische Lehrstühle gibt es immer weniger. Ist das eine negative Entwicklung?

 

Kallfelz: Erfolgreich kann eine Institution nur dann arbeiten, wenn eine Mindestzahl von Eingriffen und Behandlungen nicht unterschritten wird. Bei der begrenzten Zahl kinderkardiologischer Patientinnen und Patienten erscheint mir daher eine Reduzierung und Anpassung der Zentrenzahl sinnvoll.
Auch forschende Institutionen können nur existieren und erfolgreich arbeiten, wenn eine bestimmte Größe vorhanden ist. Für die klinische Betreuung der meisten Patientinnen und Patienten kann auch eine fachlich kompetent geführte, nicht-universitäre Einheit absolut ausreichend sein.

de Haan: 2004 waren Sie Gründungsmitglied der EMAH-Task-Force, die sich zusammensetzt aus Mitgliedern der DGK, DGPK und DGTHG. Spiegelt diese Entwicklung die notwendige ärztliche Zusammenarbeit wider? Könnte es Matrize sein für andere Krankheitsbilder?

 

Kallfelz: Schon 1992/1993 war die von mir gegründete Projektgruppe 9 innerhalb der DGK, übrigens in gleicher Zusammensetzung der 3 Disziplinen, angetreten, die Versorgung von Erwachsenen mit komplexen angeborenen Herzfehlern zu verbessern. Aber erst mit der Gründung der EMAH-Task Force nahm dieses Unternehmen Fahrt auf.
In meinem persönlichen Umfeld war mir stets an einer engen Kooperation mit der Kardiochirurgie und der Erwachsenenkardiologie gelegen. Nur so kann eine optimale Betreuung der Patientinnen und Patienten erfolgen. Ein wichtiges Anliegen war mir stets, Brücken zu bauen zwischen den Disziplinen.
Aus meiner Sicht kann das EMAH-Beispiel ein Vorbild sein für fachübergreifende Zusammenarbeit bei verschiedenen, aus der Kindheit stammenden Krankheitsbildern (Neurologie, Onkologie, Pneumologie, Gastroenterologie u. a.).

 

Blick auf heute

 

de Haan: In der heutigen Zeit streben junge Ärzte danach, die Ausbildungszeit möglichst kurz zu halten. Würden Sie bei der Beratung junger Ärztinnen und Ärzte zur Kinderkardiologie und evtl. EMAH-Weiterbildung raten?

 

Kallfelz: Junge Erwachsenen- oder Kinderkardiologinnen und -kardiologen sollte sich schon früh in ihrer Ausbildung fragen, ob sie sich später für die EMAH-Versorgung qualifizieren möchten. Wenn das Interesse vorhanden ist, sollte man diese Ambition unbedingt unterstützen.
Für die Erwachsenenkardiologinnen und -kardiologen ist eine EMAH-Laufbahn ungleich schwieriger, da ihnen primär die vielfältigen anatomischen und funktionellen Abweichungen der angeborenen Herzfehler nicht geläufig sind.

de Haan: Wie hält man sich fit im Alter?

 

Kallfelz: Von Kindheit an habe ich Sport getrieben und bin dabei geblieben, wobei sich die Sportarten im Laufe des Lebens geändert haben: Früher Ballspiele, Leichtathletik, insbesondere Rudern, aber auch Schwimmen und Radfahren sowie Skilaufen.
Jetzt Golf und Krafttraining im Fitness-Studio.
Daneben ist eine gesunde Ernährung ohne Nikotin sehr hilfreich.

 

Berufliche und persönliche Grundsätze:

 

  1. Verantwortung übernehmen für die beruflichen Mitarbeitenden, aber auch für die Patientinnen und Patienten und die eigene Familie.
  2. Mutig sein, bei fester Überzeugung auch schon mal ein Risiko eingehen. Den Dingen auf den Grund gehen. Keine halben Sachen machen.
  3. Bei allen Entscheidungen über den Augenblick hinaus an das Ende denken („Erst besinn’s, dann beginn’s“).

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