de Haan: Nach dem Abitur 1953 studierten Sie Medizin in Bonn, zwischenzeitlich ein Jahr in Innsbruck. Auch die MA-Zeit verbrachten Sie in Bonn bzw. Umgebung. Wie kam das?
Kallfelz: Ich hatte 1957 bereits mit meiner Frau eine Familie gegründet und war daher darauf angewiesen, eine Anstellung anzunehmen, die besser vergütet wurde. Das Gehalt an der Uniklinik betrug etwa 250,00 DM (≈ 130,00 €) pro Monat, und das in einem kleineren Haus etwa 400,00 DM (≈ 200,00 €) pro Monat.
de Haan: Nach dem Staatsexamen 1959 promovierten Sie über ein kinderkardiologisches Thema. Wieso?
Kallfelz: Während der vorklinischen Semester hatte mich der Oberassistent im physiologischen Institut darauf angesprochen. Mit Hilfe der Ballisto-Kardiografie versuchte ich, bei einer großen Gruppe gesunder Kinder und Jugendlicher im Alter zwischen 5 und 20 Jahren Aufschluss zu erhalten über den Altersgang und die Geschlechtsabhängigkeit von Herzschlagvolumen, Pulsfrequenz und Blutdruck.
Dadurch, dass meine Schwiegereltern eine Jugendherberge in Bad Godesberg leiteten, konnte ich da auf eine große Anzahl von Probanden zurückgreifen. Die Ergebnisse konnte ich, noch Student, 1958 auf dem Kreislaufkongress in Bad Nauheim vortragen.
de Haan: 1967 erhielten Sie die Facharztanerkennung in Pädiatrie. Während der FA-Ausbildung beschäftigten Sie sich besonders mit dem Aufbau eines kinderkardiologischen Schwerpunktes. Sie gründeten die 1. AG für Kinderkardiologie in NRW. Woher diese Überzeugung? Hatten Sie Mitstreitende?
Kallfelz: Durch meine Doktorarbeit war mein Interesse auf das Herz- und Kreislaufsystem gelenkt worden. Ich begann dann, in der Bonner Kinderklinik am Rhein mich mit dem EKG zu befassen, worüber damals noch nicht sehr viel bekannt war. Mein Chef, Prof. Hungerland, unterstützte mich großzügig bei der Erweiterung der Diagnostik.
Ein wichtiger Impuls zur Beschäftigung mit den angeborenen Herzfehlern kam durch die Contergan-Tragödie. 60 bis 70 % der Betroffenen hatten schwerwiegende Herzfehler. Weit über hundert Neugeborene mit den typischen Extremitäten-Missbildungen wurden seinerzeit in der Bonner Kinderklinik betreut.
de Haan: In den 60er Jahren waren Sie wiederholt im anglo-amerikanischen Ausland und 1965 erhielten Sie ein eigenes HK-Labor in Bonn. War das für die Ausbildung erforderlich? Würden Sie es empfehlen? Gab es Förderer?
Kallfelz: In Deutschland war seinerzeit nicht viel von anderen zu lernen, so dass der Weg vor allen Dingen in die amerikanischen Zentren wie z. B. San Francisco, Boston und Chicago sowie New York führte, wo es bereits für die damalige Zeit eine gut strukturierte Kinderkardiologie mit viel Erfahrung gab.
Die Amerikaner waren ausgesprochen freundlich und unterstützend.
Von 1962 bis 1965 hatten wir die Herzkatheter-Diagnostik überwiegend bei Klein- und Schulkindern im Röntgeninstitut von Prof. Janker in Bonn durchgeführt. Die äußeren Umstände erlaubten es jedoch nicht, dort auch Säuglinge zu untersuchen. Deshalb konnte ich nach Rückkehr aus den USA mit Unterstützung meines Chefs Hungerland ein eigenes Herzkatheter-Labor mit zwei Ebenen Angio-Kinematografie in der Klinik einrichten und entwickeln.
Eine Kooperation mit den Erwachsenen-Kardiologen war seinerzeit nicht möglich, schon weil die Hauptklinik oben auf dem Venusberg lag, fast 10 Kilometer entfernt. Eine gezielte Aus- und Weiterbildung im heutigen Sinne existierte nicht. Jeder, der sich mit diesem Spezialgebiet beschäftigte, war auf sich allein gestellt und musste selbst Erfahrungen sammeln. Immerhin haben wir 1966 die erste Rashkind-Ballon-Atrioseptostomie in Deutschland durchführen können mit einem von hilfreichen englischen Kollegen am Hospital for Sick Children, Great Ormond Street, London, ausgeliehenen Ballon-Katheter.
de Haan: 1974 bis 1996 waren Sie Ordinarius für Kinderkardiologie an der neu gegründeten MHH in Hannover. Besonders engagierten Sie sich für die Frühdiagnostik und -behandlung der kleinen Patientinnen und Patienten und bauten eine Intensivstation auf. Wie war die Zusammenarbeit mit der Herzchirurgie und der Kardiologie?
Kallfelz: 1973 erhielt ich eine apl. Professur in Bonn und 1974 einen Ruf nach Hannover. Dort entwickelten wir eine exzellente Zusammenarbeit mit den Herzchirurgen (Prof. Borst und Prof. Oelert), die unser Hauptziel, die meist sehr schwerkranken Neugeborenen und jungen Säuglinge frühzeitig und ohne Umwege operativ behandeln zu lassen, konsequent mit unterstützten. Um eine optimale postoperative Versorgung zu gewährleisten, bauten wir früh eine entsprechend ausgestattete und gut funktionierende Kinder-Intensivstation auf.
Die Erwachsenenkardiologen (Prof. Lichtlen) gestatteten mir großzügig die Benutzung des Herzkatheterlabors außerhalb ihrer Kernuntersuchungszeiten, bis wir ein eigenes Katheterlabor zur Verfügung hatten.
Nebenbei sei erwähnt, dass wegen der kleinen Gefäßverhältnisse bei Säuglingen und Kindern die Herzkatheteruntersuchungen nach der Seldinger Technik erst nach 1974 eingeführt wurden, vorher war stets eine Venae-sectio erforderlich.