Die HI-PRO-Studie untersuchte den Nutzen einer verlängerten Antikoagulation bei Patientinnen und Patienten mit venöser Thromboembolie (VTE), die durch einen vorübergehenden auslösenden Faktor (z. B. Operation, Immobilisation) entstanden war, jedoch zusätzlich mindestens einen dauerhaften Risikofaktor (z. B. Adipositas, chronisch-entzündliche Erkrankung oder COPD) aufwiesen. In dieser randomisierten, doppelblinden, placebokontrollierten Studie wurden 600 Patientinnen und Patienten nach mindestens 3 Monaten Standard-Antikoagulation entweder für weitere 12 Monate mit Apixaban 2,5 mg zweimal täglich oder Placebo behandelt.
Das Ergebnis war deutlich: In der Apixaban-Gruppe kam es nur bei 1,3 % der Patientinnen und Patienten zu einem symptomatischen VTE-Rezidiv, verglichen mit 10 % in der Placebo-Gruppe (HR 0,13; p<0,001). Schwere Blutungen traten sehr selten auf (1 Person mit Apixaban, keine mit Placebo), während klinisch relevante, nicht-schwere Blutungen unter Apixaban zwar häufiger waren (4,8 % vs. 1,7 %), jedoch meist gut beherrschbar. Die Studie betont, dass die bisher übliche Einteilung in „provozierte“ vs. „unprovozierte“ VTE nicht ausreicht, um das Rückfallrisiko zu bestimmen. Persistierende Risikofaktoren nach einer „provozierten“ VTE können ein ähnlich hohes Rezidivrisiko erzeugen wie bei unprovozierten Ereignissen. Damit liefert HI-PRO ein starkes Argument für eine individualisierte Entscheidung zur verlängerten Antikoagulation in dieser spezifischen Subgruppe.
Im Vergleich zu HI-PRO untersuchte die AMPLIFY-EXTENSION-Studie eine breitere Patientengruppe – mit sowohl provokierter als auch unprovozierter VTE – und zeigte ebenfalls eine signifikante Reduktion von Rezidiven durch verlängerte Apixaban-Gabe (2,5 mg; 2 x täglich) im Vergleich zu Placebo. Allerdings war AMPLIFY nicht gezielt auf Patientinnen und Patienten mit dauerhaften Risikofaktoren fokussiert.2 HI-PRO ergänzt somit die Erkenntnisse aus AMPLIFY durch eine gezielte Analyse einer klinisch häufigen, aber bislang unterrepräsentierten Risikokonstellation.
Diese Studie schließt eine relevante Lücke in der bisherigen Leitlinienpraxis: Patientinnen und Patienten mit provozierter VTE, aber persistierenden Risikofaktoren, könnten bisher zu früh von der Antikoagulation abgesetzt worden sein. Die Ergebnisse der HI-PRO-Studie sprechen klar dafür, in dieser Subgruppe eine individuell risikoadaptierte, verlängerte Antikoagulation mit niedrig dosiertem Apixaban zu erwägen. Die niedrige Rate schwerer Blutungen ist klinisch bedeutsam, doch die erhöhte Blutungsrate im nicht-schweren Bereich muss bei der Patientenberatung berücksichtigt werden.
HI-PRO liefert starke Argumente dafür, das bisherige pauschale Vorgehen bei provozierter VTE zu überdenken und dauerhafte Risikofaktoren systematisch in die Therapieplanung einzubeziehen.
Zur Übersichtsseite ESC Congress 2025