Was ist das Wolff-Parkinson-White-Syndrom?
Herzrhythmusstörungen (Arrhythmien) kommen auch bei herzgesunden Kindern vor und sind häufig harmlos. Sie können trotzdem unangenehm sein – vor allem, wenn sie mit plötzlichem Herzrasen einhergehen. Das ist auch beim Wolff-Parkinson-White-Syndrom der Fall.
Beim WPW-Syndrom gibt es neben dem normalen Leitungssystem im Herzen eine zusätzliche Verbindung zwischen Herzvorhof und Herzkammer. „Beim WPW-Syndrom besteht von Geburt an zusätzlich zum normalen Erregungsleitungssystem im Herzen eine kleine muskuläre Verbindung (akzessorische Leitungsbahn) zwischen Herzvorhof und Herzkammer“, erklärt Prof. Dr. Gabriele Hessling, Co-Leiterin der Abteilung für Elektrophysiologie am Deutschen Herzzentrum München.
Zwischen dieser Muskelfaser und dem AV-Knoten könne es zu einer Art „Kurzschluss“ kommen. Dadurch wird der normale Herzrhythmus gestört und es kommt zu anfallsartigem Herzrasen (Tachykardien). WPW tritt bei etwa ein bis drei von 1.000 Menschen auf. Die Herzrhythmusstörungen zeigen sich häufig im Kindes- oder Jugendalter, können aber auch schon bei Neugeborenen oder erst später auftreten.
Das Wolff-Parkinson-White-Syndrom tritt bei ein bis drei von 1.000 Personen auf. Die durch das WPW-Syndrom verursachten Herzrhythmusstörungen zeigen sich häufig im Kindes- oder Jugendalter, können jedoch prinzipiell bereits bei Neugeborenen oder auch erst im Erwachsenenalter auftreten.
Zur Expertin
Prof. Dr. Gabriele Hessling
Prof. Dr. Gabriele Hessling ist Co-Leiterin der Abteilung für Elektrophysiologie am Deutschen Herzzentrum München.
Das Wichtigste in Kürze
- Beim Wolff-Parkinson-White-Syndrom (WPW-Syndrom) gibt es von Geburt an eine zusätzliche Verbindung im Herzen. Sie kann den Herzrhythmus stören.
- Typisch sind plötzliche Anfälle von sehr schnellem Herzschlag, die oft von selbst wieder aufhören.
- Im Elektrokardiogramm (EKG) zeigt sich WPW häufig durch eine Deltawelle – auch wenn manche Betroffene keine Beschwerden haben.
- Meist ist WPW gutartig; bei Beschwerden oder erhöhtem Risiko hilft eine Katheterablation oft dauerhaft.
Was passiert bei WPW im Herzen?
Der natürliche Taktgeber für den Herzschlag ist der Sinusknoten, ein Geflecht aus speziellen Muskelzellen im rechten Herzvorhof. Er generiert bei Erwachsenen 60 bis 80 elektrische Impulse pro Minute. „Vom Sinusknoten breitet sich die Erregung über die Herzvorhöfe aus. Zwischen den Vorhöfen und den Herzkammern liegt der AV-Knoten (Atrioventrikularknoten), der als eine Art ‚Eingangsfilter‘ fungiert und die Erregungsleitung verzögert, damit sich immer zuerst die Vorhöfe und danach die Herzkammern kontrahieren (durch Anspannung der Muskulatur zusammenziehen)“, erklärt Prof. Hessling. Anschließend erfolgt eine schnelle Ausbreitung der elektrischen Erregung in allen Ventrikelbereichen, die sich synchron kontrahieren. So wird das Blut von den Vorhöfen in die Herzkammern und von dort aus in die Lunge („kleiner Kreislauf“) und in den Körper („großer Kreislauf“) gepumpt.
Bei Personen mit WPW-Syndrom existiert jedoch eine zusätzliche elektrische Verbindung, historisch als „Kent-Bündel“ bezeichnet. Im normalen Sinusrhythmus umgeht diese Leitungsbahn den AV-Knoten und erregt einen Teil der Kammermuskulatur vorzeitig. „Dies wird vom Patienten nicht verspürt, zeigt sich aber im EKG als kleine ‚Vorwelle‘ vor der Kammeraktion; diese wird als Deltawelle bezeichnet“, sagt Prof. Hessling. Zwischen der zusätzlichen Verbindung – Experten sprechen von einer akzessorischen Leitungsbahn – und dem AV-Knoten kann es zu einem „Kurzschluss“ kommen: Eine kreisende Erregung, durch die typische Symptome des WPW-Syndroms ausgelöst werden.
Welche Symptome treten beim WPW-Syndrom auf?
Nicht alle Personen mit einer zusätzlichen Leitungsbahn im Herzen haben auch Symptome. So wird bei manchen, die noch nie unter Herzrasen litten, im Rahmen einer Routineuntersuchung als Zufallsbefund im EKG die typische Deltawelle festgestellt. Dies wird dann als asymptomatisches WPW bezeichnet. Vom klassischen WPW-Syndrom spricht man hingegen, wenn anfallsartiges Herzrasen (Tachykardie) auftritt. Dieses Leitsymptom beschreibt plötzliche Anfälle eines ungewöhnlich schnellen Herzschlags (über 180 Schläge pro Minute), die oft von selbst wieder aufhören.
„Das kann einen hohen Leidensdruck erzeugen. Stellen Sie sich vor, Sie sitzen am Schreibtisch und bekommen plötzlich einen Puls von 200“, so Prof. Hessling. Häufig tritt das Herzrasen situationsunabhängig auf, kann aber bei manchen Menschen durch körperliche Anstrengung oder Aufregung hervorgerufen werden. „Die Tachykardien sind gutartig, können aber, wenn auch selten, weitere Symptome wie Schwindel, Brustschmerzen oder Atemnot hervorrufen“, ergänzt Prof. Hessling.
Wie wird das WPW-Syndrom diagnostiziert?
Menschen mit WPW-Syndrom haben in der Regel ein strukturell völlig gesundes Herz. Dieser positive Aspekt kann jedoch die Diagnose erschweren, da mit bildgebenden Verfahren wie Ultraschall (Echokardiographie) kein Defekt zu finden ist. Um dem Hauptsymptom Herzrasen auf den Grund zu gehen und die Herzrhythmusstörung zu erfassen, kommt stattdessen das Elektrokardiogramm (EKG) zum Einsatz. Es bildet die elektrischen Herzströme ab.
Im EKG erkennen Kardiologinnen und Kardiologen die sogenannte Deltawelle, die dem Teil der Kammermuskulatur entspricht, der über die akzessorische Leitungsbahn vorzeitig erregt wird. „Wenn Patientinnen oder Patienten von anfallsartigem Herzrasen berichten und sich dann noch im EKG die typische Deltawelle zeigt, ist die Diagnose WPW-Syndrom eindeutig“, erklärt Prof. Hessling. Schwieriger gestaltet sich die Diagnose des „verborgenen“ WPW-Syndroms, wie die Kardiologin erläutert: „Hier ist die zusätzliche Leitungsbahn lediglich während der Tachykardie (Herzrasen) aktiv und leitet Impulse ausschließlich von der Kammer zurück zum Vorhof. Dies ist im normalen Sinusrhythmus nicht zu sehen und wird nur entdeckt, wenn das EKG während einer Tachykardie durchgeführt wird.“
Was ist die Ursache von WPW?
Die Ursache für das Wolff-Parkinson-White-Syndrom liegt in der zusätzlichen angeborenen muskulären Verbindung zwischen Herzvorhof und Herzkammer. Erstmals wurde die Anomalie 1930 von den drei namensgebenden Kardiologen (Louis Wolff, John Parkinson, Paul White) im American Heart Journal beschrieben.
„Wieso während der embryonalen Entwicklung, wenn sich der fibröse AV-Klappenring ausbildet, an einer Stelle diese kleine muskuläre Struktur ‚übrig‘ bleibt, ist ungeklärt“, sagt Prof. Hessling. In den ersten beiden Lebensjahren besteht eine Chance von etwa 70 Prozent, dass sich die zusätzliche Leitungsbahn verwächst. Dann treten keine Tachykardien mehr auf und im EKG ist keine Deltawelle mehr zu sehen. Dies wird als Spontanregression bezeichnet.
Welche Folgen kann WPW haben?
In den meisten Fällen ist das WPW-Syndrom gutartig. „Das Herz der Betroffenen ist strukturell völlig gesund. Sie können daher ein ganz normales Leben führen und ohne Einschränkungen Sport treiben“, sagt Prof. Hessling. In seltenen Fällen kann es jedoch in Kombination mit Vorhofflimmern lebensgefährlich werden.
„Normalerweise fungiert der AV-Knoten als ‚Bremse‘, wenn wie beim Vorhofflimmern von den Vorhöfen gefährlich schnelle Impulse ausgehen. Bei Menschen mit ‚offenem‘ WPW-Syndrom können die hohen Frequenzen des Vorhofflimmerns jedoch über die zusätzliche Leitungsbahn auf die Herzkammern übertragen werden und zu extrem hohen Kammerfrequenzen (bis zu 300 Schläge pro Minute) führen. Diese können dann in Kammerflimmern übergehen, das durch eine Defibrillation behoben werden muss“, erklärt die Kinderkardiologin. Im schlimmsten Fall droht also ein plötzlicher Herztod. „Das Risiko ist sehr gering, aber nicht gleich null“, sagt Prof. Hessling. „Daher wird gegenwärtig eine Risikostratifizierung (Abschätzung der Gefahr von Komplikationen oder Tod) und gegebenenfalls eine Behandlung des WPW-Syndroms bei allen Menschen mit einer Deltawelle ab dem Kindes- oder Jugendalter empfohlen, an unserem Zentrum ab einem Alter von circa zwölf Jahren“, so die Medizinerin.
Wie wird das Wolff-Parkinson-White-Syndrom behandelt?
Die Behandlung hängt von Symptomen und Risikoeinschätzung ab. „Manche Menschen stört das Herzrasen kaum, wenn es nur selten auftritt. Andere leiden unter häufigen Anfällen und profitieren enorm von einer Behandlung“, sagt die Kardiologin.
Folgende Maßnahmen können in der Therapie des WPW-Syndroms zum Einsatz kommen:
Katheterablation
Eine Katheterablation kann bei symptomatischen Kindern ab einem Gewicht von 25 bis 30 Kilogramm angeboten werden. „Bei asymptomatischen Patienten ab zwölf Jahren mit ‚offenem‘ WPW im EKG wird die Katheterablation an unserem Zentrum nach Risikostratifizierung ebenfalls angeboten“, sagt Prof. Hessling. Der Eingriff dauert in der Regel zwei bis drei Stunden und erfolgt über die Leiste. Die Zusatzbahn wird dabei verödet oder vereist. „Die Erfolgsrate liegt um 90 Prozent“, berichtet die Medizinerin, die Komplikationsrate sei niedrig. Darum ist die Ablation heute die Therapie der Wahl.
Medikamentöse Therapie
Medikamente können Anfälle lindern oder im Akutfall beenden. „Bei akutem Herzrasen können etwa Betablocker zum Einsatz kommen“, sagt Prof. Hessling. Hört das Herzrasen nicht auf, müsse man in der Klinik ein Rhythmusmedikament spritzen lassen. Eine Dauermedikation sei heute selten, außer bei Säuglingen.
Vagusnerv aktivieren
Bei akutem Herzrasen können einfache Maßnahmen helfen: „Nehmen Sie eine kalte Dusche, trinken Sie ein kaltes Getränk oder machen Sie einen Handstand.“ Damit werde der Vagusnerv aktiviert und der AV-Knoten kurz blockiert. Auch das Valsalva-Manöver könne helfen: Mund und Nase zuhalten, dabei gegenatmen und pressen.
Die Kardiologin sagt: „Grundsätzlich ist es wichtig, bei der Behandlung des WPW-Syndroms das Alter, den Leidensdruck und die Lebenssituation der Betroffenen zu berücksichtigen. Gemeinsam kann so für jede Person die individuell beste Behandlungsstrategie gefunden werden.“
Fazit
Für die meisten Menschen mit Wolff-Parkinson-White-Syndrom gilt: Hinter dem plötzlich auftretenden Herzrasen steckt zwar eine angeborene Extra-Verbindung im Herzen, das Organ selbst ist aber meist gesund. Die Anfälle können sehr unangenehm sein, hören oft von allein wieder auf und lassen sich im EKG gut erkennen.
Im Alltag führt das WPW-Syndrom deshalb häufig zu keinen oder nur geringen Einschränkungen, auch Sport ist in der Regel möglich. Wenn das Herzrasen jedoch öfter kommt oder Ärztinnen und Ärzte ein höheres Risiko sehen, lässt sich die Ursache heute meist dauerhaft beseitigen – mit einem schonenden Eingriff über die Leiste, der die zusätzliche Verbindung ausschaltet.
FAQ – Häufige Fragen zum Wolff-Parkinson-White-Syndrom (WPW)
Beim WPW-Syndrom gibt es im Herzen von Geburt an eine zusätzliche Verbindung. Dadurch können elektrische Signale „Abkürzungen“ nehmen. Das kann den normalen Herzrhythmus stören und Herzrasen auslösen.
WPW ist selten. Es tritt bei etwa ein bis drei von 1.000 Menschen auf. Die ersten Beschwerden zeigen sich oft im Kindes- oder Jugendalter, können aber auch früher oder später beginnen.
Neben dem normalen Leitungssystem gibt es eine extra „Leitung“. Im Alltag merkt man davon oft nichts. Im EKG sieht man aber eine besondere Form, die sogenannte Deltawelle. Wenn ein „Kurzschluss“ zwischen normaler Leitung und Zusatzleitung entsteht, kann plötzliches Herzrasen auftreten.
Das wichtigste Zeichen ist plötzliches Herzrasen. Der Puls kann dabei sehr hoch werden (oft über 180 pro Minute). Die Anfälle kommen meist ohne Vorwarnung und hören oft von allein wieder auf. Manchmal treten auch Schwindel, Brustschmerzen oder Atemnot auf.
Nein. Manche Menschen haben zwar die zusätzliche Leitung, aber nie Herzrasen. Dann findet man WPW zufällig im EKG. Das nennt man asymptomatisches WPW.
Wenn Sie wiederholt plötzliches Herzrasen spüren, sprechen Sie mit Ihrer Ärztin oder Ihrem Arzt – vor allem, wenn Schwindel, Brustschmerz oder Ohnmacht dazukommen.