Der vollhumane PCSK9-Antikörper Evolocumab hat bereits in früheren Studien (u. a. FOURIER) gezeigt, dass er bei Patientinnen und Patienten mit einem vorangegangenen Myokardinfarkt, Schlaganfall oder symptomatischer peripherer arterieller Verschlusskrankheit die Rate von schwerwiegenden unerwünschten kardiovaskulären Ereignisse (MACE) reduziert. Unklar war bislang, ob und in welchem Ausmaß dieser Effekt auch für Patientinnen und Patienten gilt, die noch kein klinisches kardiovaskuläres Ereignis erlitten haben, jedoch aufgrund von Atherosklerose oder Diabetes ein erhöhtes Risiko aufweisen.
VESALIUS-CV war eine internationale, doppelblinde, randomisierte, placebokontrollierte Phase-3-Studie. Eingeschlossen wurden 12.257 Patientinnen und Patienten mit Atherosklerose oder Diabetes ohne vorangegangenen Myokardinfarkt oder Schlaganfall. Das mediane Alter betrug 66 Jahre, 43 % waren Frauen, und 93 % waren weiß. Die mediane Nachbeobachtungszeit betrug 4,6 Jahre. Zu den Einschluss-Kriterien gehörte ein LDL-Cholesterin ≥90 mg/dl trotz optimierter lipidsenkender Standardtherapie. Die Studienteilnehmenden wurden im Verhältnis 1:1 auf Evolocumab 140 mg s.c. alle 2 Wochen oder Placebo randomisiert. Die primären Endpunkte waren der 3-Punkt-MACE aus Tod infolge koronarer Herzkrankheit, Myokardinfarkt oder ischämischem Schlaganfall, und ein 4-Punkt-MACE: 3-Punkt-MACE plus Ischämie-bedingte Revaskularisation.
Eine Atherosklerose war bei 67 % der Teilnehmenden dokumentiert (davon 45 % mit KHK ohne Myokardinfarkt, 10 % mit zerebrovaskulärer Erkrankung ohne Schlaganfall und 17 % mit peripherer arterieller Verschlusskrankheit). 33 % hatten keine manifeste Atherosklerose, aber wiesen Risikofaktoren auf. 58 % der Teilnehmenden litten an Diabetes, 49 % hatten einen Diabetes mit hohem kardiovaskulärem Risiko. 92 % der Patientinnen und Patienten erhielten eine Lipid-senkende Therapie, 72 % ein hochintensives Regime. 87 % nahmen Statine ein, 68 % in hoher Intensität, und 20 % erhielten zusätzlich Ezetimib. Zu Studienbeginn lag das LDL-C bei 122 mg/dl (IQR 104–149).
Der Verlauf der Lipide unter Studienmedikation wurden in einer Lipid-Sub-Study (n=2.014) kontrolliert. Nach 48 Wochen betrug der LDL-C Median unter Placebo 109 mg/dL (IQR 86–144 mg/dl) und in der Evolocumab-Gruppe 45 mg/dL (IQR 26–73 mg/dl) entsprechend einer LDL-C Reduktion um 55 % bzw. um 63 mg/dl absolut.
Ein 3-Punkt-MACE trat bei 336 Patientinnen und Patienten (6,2 %) in der Evolocumab-Gruppe auf, verglichen mit 443 Ereignissen (8,0 %) unter Placebo. Dies entspricht einer relativen Risikoreduktion von 25 % (HR 0,75; 95%KI [0,65; 0,86]; p<0,001). Für den erweiterten 4-Punkt-MACE lag die Ereignisrate bei 13,4 % unter Evolocumab und 16,2 % unter Placebo, entsprechend einer Risikosenkung um 19 % (HR 0,81; 95%KI [0,73; 0,89]; p<0,001).
Auch bei den sekundären Endpunkten zeigten sich konsistente Vorteile. Das Risiko für Myokardinfarkt wurde um 36 %, für Revaskularisationen um 21 % und für kardiovaskulären Tod um 21 % gesenkt. Ein Trend zeigte sich zudem bei ischämischem Schlaganfall (HR 0,79; p=0,062). Bemerkenswert war insbesondere eine deutliche numerische Reduktion der Gesamtsterblichkeit um 20 % (434 [7,9 %] vs. 539 [9,7 %], HR 0,80; 95%KI [0,70; 0,91]).
In den berichteten Subgruppen der Patienten-Charakteristika zeigten sich keine wesentlichen Heterogenitäten der Effektstärke. Zwischen den Gruppen zeigte sich auch kein Unterschied im Auftreten von unerwünschten Ereignissen und der Sicherheit. Evolocumab wurde insgesamt sehr gut vertragen.
Die VESALIUS-CV-Studie belegt, dass eine PCSK9-Inhibition mit Evolocumab auch bei Patientinnen und Patienten mit niedrigerem Risiko als in den bisherigen Studien getestet das Risiko für kardiovaskuläre Ereignisse und Sterblichkeit reduziert.
VESALIUS-CV ist eine Meilensteinstudie. Die für den PCSK9-Hemmer Evolocumab dokumentierte Risiko-Reduktion pro LDL-C Senkung liegt genau auf der CTT-Regressionslinien, d. h. sie entspricht den Effekten der großen Statin-Studien. Dies unterstreicht erneut die Kausalität der Beziehung von LDL-C und kardiovaskulären Ereignissen. VESALIUS-CV zeigt auch erneut, warum eine Unterteilung von Patientinnen und Patienten in eine sogenannte „Primärprävention“ und sog. „Sekundärprävention“ überholt ist. Diese Dichotomie entspricht nicht der kontinuierlichen Pathogenese der Atherosklerose. VESALIUS-CV dokumentiert eindrucksvoll, dass Menschen mit vaskulärem Risiko, die noch keinen Herzinfarkt hatten, mindestens genauso stark von einer zusätzlichen Lipid-Senkung profitieren wie Personen nach einem Infarkt. Ähnliche Ergebnisse hatte schon die CLEAR-Outcome-Studie. Der Mechanismus ist eine Delipidierung und Stabilisierung von atherosklerotischen Plaques, diese übersetzt sich nach einigen Monaten in eine Reduktion von Herzinfarkten und nachfolgend dann bei ausreichend langer Beobachtungsdauer in eine Reduktion der Sterblichkeit. Die absolute Risikoreduktion ergibt sich aus dem individuellen Risiko und dem Ausmaß der LDL-C Senkung. Je höher das Risiko und je höher das LDL-C, desto größer der absolute Effekt der Cholesterinsenkung. In diesem Zusammenhang wurde diskutiert, warum in VESALIUS-CV das Ausgangs-LDL-C trotz der sehr guten medikamentösen Therapie bei 122 mg/dl lag. Mögliche Erklärungen umfassen die eingeschränkte Verfügbarkeit von Kombinations-Therapien und insbesondere PCSK9-Hemmern bei Rekrutierung. Die Subgruppen-Analysen zeigen, dass die Lipid-senkende Hintergrundtherapie keinen Einfluss auf die beobachtete Effektstärke hatte.
Besonders eindrucksvoll in VESALIUS-CV ist die Reduktion der Herzinfarkte um ein Drittel (36 %; p<0,0001) und der Gesamtsterblichkeit um 20 %. Nach den Regeln des New England Journal of Medicine für hierarchisches Testen wird in der Publikation kein p-Wert ausgewiesen, wenn nach einer prospektiv festgelegten Reihenfolge der Analyse der sekundären Endpunkte eine vorher betrachtete Komponente die Irrtumswahrscheinlichkeit von 5 % überschreitet. Die absolute Reduktion der Gesamt-Sterblichkeit von 9,7 % auf 7,9 % ist klinisch substantiell und mit einem nominalen p-Wert von 0,0005 auch statistisch robust.
Zusammengefasst unterstreicht VESALIUS-CV damit nicht nur das Konzept der Risiko-adaptierten LDL-C-Senkung der EAS/ESC-Leitlinien, sondern auch die Empfehlung, bei besonders hohem Risiko das LDL-C unter 40 mg/dl zu senken.
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