Das residuelle, inflammatorische Risiko, trägt wesentlich zur Entstehung und Progression atherosklerotischer kardiovaskulärer Erkrankung (ASCVD) bei. Systemische Inflammation verstärkt Atherothrombose und akute Ereignisse. Biologisch steht in pro-inflammatorischen Prozessen der NLRP3-Signalweg mit den Zytokinen IL-1 und IL-6 im Zentrum. Durch IL-6 wird die hepatische Akutphase-Reaktion angestoßen, die zur systemischen Freisetzung des C-reaktiven Proteins (CRP) in der Leber führt. Während das hochsensitive CRP (hsCRP) ein etablierter Marker für residuale Inflammation ist, sprechen genetische und experimentelle Daten für eine kausale Rolle des IL-6-Pfades in der Atherothrombose. Große populationsbasierte Langzeitdaten, die den Stellenwert von IL-6 im Vergleich zu traditionellen Risikofaktoren präzise quantifizieren, waren bislang begrenzt.
Ziel der Studie war es zu untersuchen, ob IL-6 zukünftige kardiovaskuläre Ereignisse bei Personen ohne bekannte ASCVD vorhersagt, unabhängig von klassischen Risikofaktoren, und wie sich IL-6 im Vergleich zu etablierten Risikomarkern einordnet. Untersucht wurde die bislang größte Analyse zu IL-6 aus einer einzelnen Kohorte in der UK Biobank mit 49.461 Teilnehmenden und mehr als 14 Jahren Follow-up.
Analysiert wurde die UK Biobank mit Personen ≥40 Jahren ohne ASCVD und verfügbaren IL-6-Werten. Primärer Endpunkt waren MACE und der kardiovaskulärer Tod. IL-6 wurde mittels Proteomics-basierter Plattform gemessen. Statistisch kamen Kaplan-Meier und Cox-Modelle mit Adjustierung für Alter, Geschlecht, BMI, Typ-2-Diabetes, Rauchen, systolischen Blutdruck, LDL-C und Kreatinin zum Einsatz.
Die 49.461 Teilnehmenden waren im Median 58 Jahre alt, 54,9 Prozent waren Frauen, der BMI lag im Median bei 26,7 kg/m² und das LDL-C bei 136 mg/dl.
Höhere IL-6-Spiegel waren mit einer Zunahme von MACE-Ereignissen und kardiovaskulärem Tod assoziiert. Univariat sagte IL-6 MACE mit einer Hazard Ratio (HR) von 2,17 (95%-Konfidenzintervall (KI) [1,95; 2,35]; p<0,001) und kardiovaskulären Tod mit 3,14 (95%KI [2,65; 3,72]; p<0,001) voraus. Nach Adjustierung blieb die Assoziation signifikant mit einer HR 1,63 (95%KI [1,46; 1,82]; p<0,001) für MACE und 1,95 (95%KI [1,62; 2,35]; p<0,001) für kardiovaskulären Tod.
Quartilsanalysen ergaben für Q4 gegenüber Q1 ein über dreifach erhöhtes MACE-Risiko (HR 3,18; adjustiert 2,01; 95%KI [1,74; 2,31]; p<0,001) und ein über fünffach erhöhtes Risiko für kardiovaskulären Tod (HR 5,29; adjustiert 2,59; 95%KI [2,02; 3,31]; p<0.001).
In Analysen zur Bedeutung der einzelnen Parameter des multivariablen Modells zur Gesamtvorhersage der Endpunkte, zählt IL-6 in der Vorhersage von MACE und kardiovaskulärem Tod zu den stärksten Einzelprädiktoren. IL-6 lag dabei vor mehreren traditionellen Risikofaktoren einschließlich systolischem Blutdruck, LDL-Cholesterin, Diabetes, BMI, Kreatinin und Geschlecht.
Ein routinemäßiges IL-6-Screening sollte hsCRP auf Grundlage dieser Daten derzeit nicht ersetzen. Die vorliegenden Ergebnisse beruhen auf einer qualitativen, proteomics-basierten IL-6-Messung, standardisierte quantitative IL-6-Assays sind klinisch nicht breit verfügbar und ein Test für freies IL-6 fehlt. Die Daten stützen jedoch die IL-6-Achse als therapeutisches Ziel und die endgültige Einordnung hängt von laufenden kardiovaskulären Endpunktstudien ab.
Die vorliegende Kohorte aus der UK Biobank stellt eine Primärpräventionspopulation ohne weitere Ausschlusskriterien außer etablierter ASCVD dar. Diese Breite erhöht die biologische Variabilität und trotz umfassender Adjustierung können externe Einflussfaktoren nicht vollständig ausgeschlossen werden.
IL-6 ist in einer großen, populationsbasierten Kohorte ohne bekannte ASCVD ein starker Prädiktor für MACE und kardiovaskulären Tod über mehr als 14 Jahre. Unabhängig von etablierten Risikofaktoren wie Blutdruck und LDL-C zählt IL-6 in der Vorhersagekraft zu den führenden Risikoprädiktoren. Diese Daten stützen den pathophysiologischen Stellenwert der IL-6-Achse und liefern Kontext für laufende Studien zur IL-6-Inhibition bei ASCVD.
Die Ergebnisse adressieren eine zentrale Lücke in der Primärprävention. Traditionelle Risikofaktoren erklären das Ereignisrisiko nicht vollständig. Beobachtungen aus großen Studien zeigen, dass Entzündungsmarker wie hsCRP bei Statin-behandelten und auch bei gering oder nicht behandelten Patientengruppen Ereignisse teils besser prognostizieren als LDL-C. IL-6 agiert in den intrazellulären Signalwegen „upstream“ von hsCRP und besitzt kausale Relevanz für atherothrombotische Mechanismen, was durch Mendelsche Randomisierung und experimentelle Evidenz gestützt wird.
Die vorliegenden Daten ergänzen diese Evidenz um robuste populationsbasierte Langzeitassoziationen. Randomisierte große klinische Studien prüfen aktuell, ob eine gezielte IL-6-Inhibition mittels spezifischer Antikörper kardiovaskuläre Ereignisse verhindern kann.
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