Neben der kausalen Rolle von LDL-Cholesterin in der Entstehung von Atherosklerose1 stellt Inflammation die zweite bedeutsame Ursache für die Entwicklung atherosklerotischer Läsionen dar, trägt insbesondere durch die Instabilisierung einer Plaque und deren Rupturgefahr zu kardiovaskulären (CV) Ereignissen bei2. Als ein Marker systemischer Inflammation ist das C-reaktive Protein (CRP) mit kardiovaskulären Ereignissen assoziiert3.
Mehrere große randomisiert-prospektive Studien haben eine Reduktion kardiovaskulärer Ereignisse durch eine antiinflammatorische Therapie in Patienten mit erhöhter Inflammation (erhöhtes CRP) zeigen können, u. a. durch Statintherapie4, Hemmung der Neutrophilen-Aktivität durch Colchicin5 oder Interleukin 1 – Inhibition durch Canakinumab6. Bis auf die Statintherapie finden die genannten anti-inflammatorischen Ansätze, teilweise wegen erhöhter Infektionsrate und fehlender Reduktion der Gesamtsterblichkeit, jedoch keine breite klinische Anwendung.
Akute inflammatorische Erkrankungen können durch Begünstigung einer Plaqueruptur insbesondere in Patientinnen und Patienten mit bekannter Atherosklerose zu CV-Ereignissen, v. a. Myokardinfarkten, führen. Zusätzliche Effekte einer akuten Infektion sind u. a. eine Erhöhung der Herzfrequenz und pro-thrombotische Effekte. Bereits seit langem ist die Assoziation insbesondere von Atemwegsinfekten7 mit darauffolgenden kardiovaskulären Ereignissen bekannt. In der Woche nach einer Influenza-Infektion fand sich ein 6-fach erhöhtes Risiko für Myokardinfarkte8.
Die dargestellten Zusammenhänge führten zu der Hypothese, dass ein Schutz vor Atemwegserkrankungen durch Impfung vor kardiovaskulären Ereignissen schützen könnte. Bereits vor über 10 Jahren zeigte eine Metaanalyse kleiner randomisiert-prospektiver Studien an insgesamt n = 6.735 Patientinnen und Patienten, dass eine Influenza-Impfung mit einer Reduktion von CV-Ereignissen assoziiert war9. Insbesondere bei Patientinnen und Patienten mit stattgehabtem akuten Koronarsyndrom fand sich eine 55%ige Reduktion der Ereignisrate. Auch rezentere Analysen zeigen einen starken protektiven Effekt einer Influenzaschutzimpfung insbesondere in der frühen Phase nach Myokardinfarkt, wenn das absolute CV-Risiko am höchsten ist10. In der internationalen IAMI-Studie wurden n = 2.571 Patientinnen und Patienten randomisiert, innerhalb 72 Stunden nach Myokardinfarkt innerhalb der Saison eine Influenzaschutzimpfung zu erhalten. Die Impfung reduzierte den primären Endpunkt (Tod, Myokardinfarkt, Stentthrombose innerhalb 12 Monate) um 28 %, wobei sich vor allem eine Reduktion der Gesamt- und kardiovaskulären Sterblichkeit fand11. In der chronischen Phase der Herzinsuffizienz zeigen dänische Beobachtungsdaten eine 18%ige Reduktion der Gesamt- und CV-Mortalität12.
Aufgrund der Evidenz erhält die jährliche Influenzaschutzimpfung in den Leitlinien zur langfristigen Therapie von Patientinnen und Patienten nach akutem13 und in chronischem Koronarsyndrom14 eine Klasse-IA-Empfehlung.
Der o. g. Hypothese folgend, könnte auch die Impfung gegen SARS-CoV-2 zu einer Reduktion von CV-Ereignissen führen. Eine Assoziation zwischen einer Covid19-Erkrankung und CV-Ereignissen ist bekannt15. Diesbezügliche Daten oder gar Leitlinien-Empfehlungen fehlen (noch).
Neben Influenza- und Parainfluenza-Viren stellen auch Respiratorische Synzitial-Viren (RSV) eine Ursache schwerer Atemwegserkrankung insbesondere bei kardial vorerkrankten Patientinnen und Patienten dar16. Seit dem Sommer 2023 sind zwei Totimpfstoffe zur Vakzinierung gegen RSV für Erwachsene von der Europäischen Arzneimittelbehörde (EMA) zugelassen. Die deutschen infektiologischen und pulmologischen Fachgesellschaften riefen in einem Positionspapier zur Empfehlung ab 60 Jahren auf17.
In seinem rezenten Epidemiologischen Bulletin von August 2024 hat das Robert-Koch-Institut erstmals eine Empfehlung zur Impfung gegen RSV für Patientinnen und Patienten ab 75 Jahren und denjenigen ab 60 Jahren mit schwerer kardiopulmonaler Vorerkrankung aufgenommen18. Eine Impfung wird, ähnlich wie die Influenza-Schutzimpfung, mit der zusammen sie erfolgen kann, im Spätsommer oder Herbst empfohlen. Nach heutigem Kenntnisstand ist keine jährliche Immunisierung notwendig; erste Daten deuten auf einen mindestens 2-jährigen Impfschutz hin, so dass diese z. Zt. als Einmalimpfung empfohlen wird.
Impfungen werden in der kardiologischen Therapie benötigt. Insbesondere der Schutz vor Atemwegsinfektionen, zuvorderst der Influenza, ist in der Verhinderung kardiovaskulärer Ereignisse evidenzbasiert und in Leitlinien mit einer Klasse-IA-Empfehlung belegt. Die relative Risikoreduktion einer einmal jährlichen subkutanen Injektion liegt hierbei in derselben Größenordnung wie die 365 Mal jährliche Einnahme einer cholesterinsenkenden Tablette oder eine Thrombozytenaggregationshemmung. Letztlich handelt es sich bei der Impfung im Vergleich zu anderen Maßnahmen um eine sehr kosteneffiziente Möglichkeit zur Verhinderung kardiologischer Komplikationen. Postuliert wird die jährliche Influenza- und SARS-CoV-2-Schutzimpfung neben einer optimalen LDL-Cholesterinkontrolle, um ein hohes Lebensalter zu erreichen19. Die Impfraten der Bevölkerung in Deutschland sind im internationalen Vergleich allerdings niedrig20, so dass Aufklärungs- und Impfarbeit gefordert werden darf. Nachbarländer (Dänemark) konnten hier z. B. durch den Versand von Informationsbriefen über kardiovaskuläre Erkrankungen direkt an die Patientinnen und Patienten eine Steigerung der (bereits hohen) Impfrate erreichen21. Auch die Vakzinierung gegen weitere respiratorische Erreger, wie RSV und Pneumokokken schützt vulnerable kardial erkrankte Patientinnen und Patienten. Die Impfungen sind einfach durchführbar, von den gesetzlichen und privaten Krankenkassen vergütet, und auch in der kardiologischen Praxis problemlos umzusetzen.
Aufgeführt sind die aus kardiovaskulärer Sicht wichtigsten Schutzimpfungen. Die übrigen vom Robert-Koch-Institut empfohlenen Impfungen (Herpes-Zoster-Schutzimpfung, Auffrischung z. B. von Tetanus/Diphterie alle 10 Jahre, einmalig mit Pertussis-/ggf. Polio-Auffrischimpfung), sollten ebenso mit Vollendung des 60. Lebensjahres bzw. bei relevanten Vorerkrankungen erfolgen (s. auch STIKO-Impfkalender).