Was sind Anlass und Ziel der Publikation?
Psychosoziale Faktoren sowie psychische Störungen gewinnen als Risikofaktoren für kardiovaskuläre Erkrankungen zunehmend an Bedeutung, weil sie ihre Entstehung fördern und zur Progression beitragen. Umgekehrt können kardiovaskuläre Erkrankungen die seelische Gesundheit der Patientinnen und Patienten negativ beeinflussen. Seit der ersten Version des Positionspapiers „Bedeutung von psychosozialen Faktoren in der Kardiologie“ im Jahr 2008 und des Updates 2018 hat sich die Psychokardiologie erheblich weiterentwickelt: eine Vielzahl von Studien ergaben neue wissenschaftliche Erkenntnisse, die zum einen die Interaktion zwischen Psyche und Herz bei psychosozialen Belastungen und psychischen Störungen näher erläutern und zum anderen die Diagnostik und Therapie dieser Risikofaktoren und psychischen Veränderungen bei Patientinnen und Patienten mit Herzerkrankungen erheblich beeinflussen.
Aufgrund dessen konzentriert sich das aktuelle Positionspapier u.a. auch auf die Umsetzung in die Praxis – angefangen vom Screening auf psychosoziale Risikofaktoren über die diagnostischen Verfahren bis hin zu multimodalen Therapiekonzepten mit Sport- und Bewegungstherapie, Psychotherapie sowie die medikamentöse Behandlung. Zudem werden auch aktuelle Themen wie die psychokardiologischen Aspekte der COVID-Pandemie oder Belastungen durch psychische Traumata näher besprochen.
Was sind die wichtigsten Take-Home Messages?
- Drei Vermittlungssysteme – das autonome Nervensystem sowie endokrine und immunologische Prozesse führen bei psychosozialen Belastungen und psychischen Störungen zu Veränderungen, die Herz-Kreislauf-Erkrankungen begünstigen.
- Aufgrund der Bedeutung psychosozialer Risikofaktoren bei der Entwicklung und Progression kardiovaskulärer Erkrankungen sollten diese bei den Patientinnen und Patienten auch im Sinne der Prävention gescreent und durch eine möglichst frühzeitige Intervention behandelt werden.
- Die Indikation von Antidepressiva sollte bei Patientinnen und Patienten mit kardiovaskulären Erkrankungen auch aufgrund der kardialen Nebenwirkungen streng geprüft werden. So zeigen z. B. SSRI bei Patientinnen und Patienten mit KHK moderate bis gute antidepressive Effekte, bei herzinsuffizienten Patientinnen und Patienten jedoch keine antidepressive Wirkung.
- Sowohl die hausärztliche als auch ambulante kardiologische Grundversorgung ist für Patientinnen und Patienten mit Herz-Kreislauf-Erkrankungen sehr bedeutsam, da hier oft erstmalig psychosoziale Risikofaktoren und psychische Störungen erkannt werden.
- In der Rehabilitation stehen bereits verschiedene innovative Versorgungskonzepte für die Behandlung von kardiovaskulär Erkrankten mit psychischer Störung zur Verfügung.
- Die Psychokardiologie ist ein elementarer Bestandteil einer innovativen evidenzbasierten Kardiologie.
Die wichtigste Abbildung aus der Publikation:
Pathophysiologisches Modell zum Zusammenhang zwischen psychischen Störungen und kardiovaskulären Erkrankungen am Beispiel der Depression. (Mod. nach Deuschle M et al. 2002; Dtsch Ärztebl 99:A3332–A 3338.)
Was sind Herausforderungen bei der Umsetzung und mögliche Lösungen?
Die interdisziplinäre Zusammenarbeit mit Hausärzten, Internisten, Kardiologen als auch Psychosomatikern, Psychotherapeuten, Psychologen und Psychiatern ist bei kardial erkrankten Personen mit psychischen Störungen unbedingt notwendig. Dies gilt es auch organisatorisch umzusetzen. Hierzu ist der Aufbau eines Netzwerkes mit diesen Fachdisziplinen sehr empfehlenswert, das neben der interdisziplinären Behandlung des Erkrankten auch einem regelmäßigen Austausch sowie der Fortbildung dienen kann.
Für die Behandlung psychisch schwer belasteter Patientinnen und Patienten mit dringender Therapieindikation (z. B. nach Herztransplantation oder VAD-Implantation sowie nach ICD-Entladung) sollte eine stationäre Behandlung auf einer interdisziplinären psychokardiologischen Station angeboten werden. Hier besteht ein zunehmender Bedarf.
Auch die angemessene Finanzierung dieser speziellen psychokardiologischen Behandlungskonzepte sowohl im ambulanten als auch im stationären Bereich muss noch weiter diskutiert und geklärt werden.
Welche Punkte sind offengeblieben?
In diesem Positionspapier konnten nicht alle psychokardiologischen Aspekte umfassend abgedeckt werden, wie z. B. geschlechtsspezifische Unterschiede als auch Besonderheiten bei Betroffenen mit genetisch bedingten kardialen Erkrankungen. Auch Themen wie die psychologischen Auswirkungen der Klimakrise und der Kriegssituation sowie die langfristigen Folgen der COVID-Pandemie werden zukünftig erheblich an Bedeutung gewinnen. Hier bedarf es der weiteren psychokardiologischen Forschung, um Antworten auf offene Fragen geben zu können.
Ausblick: Welche Entwicklungen zum Thema zeichnen sich ab?
Aufgrund der zunehmenden Bedeutung psychosozialer Risikofaktoren und psychischer Störungen in allen Bereichen der Kardiologie steigt der Bedarf an psychokardiologisch fundiert ausgebildetem ärztlichen als auch nicht-ärztlichem Fachpersonal in entsprechend qualifizierten Einrichtungen sowohl im ambulanten als auch stationären Sektor, um die Vielzahl der Patientinnen und Patienten adäquat diagnostizieren und behandeln zu können.
Bedeutung von psychosozialen Faktoren in der Kardiologie – Update 2024
Literaturnachweis: Kindermann I., Köllner V., Albus C., et al.
Bedeutung von psychosozialen Faktoren in der Kardiologie – Update 2024
Kardiologie (2024) https://doi.org/10.1007/s12181-024-00708-6