Starkes Übergewicht ist ein Risikofaktor für Bluthochdruck und Herz-Kreislauf-Erkrankungen. In der 2022 veröffentlichten SURMOUNT-1-Studie mit 2539 Teilnehmenden ohne Diabetes mellitus (BMI ≥ 27 kg/m2) führte der Wirkstoff Tirzepatid bei Praxismessungen zu einer erheblichen Gewichtsabnahme und einer Senkung des Blutdrucks. In der neu veröffentlichten Substudie wurde die Wirkung von Tirzepatid (5 mg, 10 mg, 15 mg) auf den Blutdruck durch ambulante 24-h-Messung zu Studienbeginn und nach 36 Wochen untersucht.1 Die Substudie umfasste 600 Teilnehmende mit normalem Blutdruck oder kontrollierter Hypertonie (mittlerer BMI zu Beginn 37,4 ± 6,8 kg/m2; 30,0% mit Hypertonie).
Der durchschnittliche systolische Blutdruck über 24 h betrug bei Studienbeginn 124,6 (± 10,4) mmHg, wobei es keine signifikanten Unterschiede zwischen den Behandlungsgruppen gab. Nach 36 Wochen zeigte sich bei allen Tirzepatid-Dosierungen eine Placebo-bereinigte Reduktion des systolischen Blutdrucks: 7,4 mmHg (5 mg), 10,6 mmHg (10 mg) und 8,0 mmHg (15 mg). Für den diastolischen Blutdruck (Ausgangswert 72,1 ±7,7 mmHg) betrugen die entsprechenden Reduktionen 2,0 mmHg, 2,9 mmHg und 0,5 mmHg.
Die Ergebnisse waren sowohl für den Tages- als auch für den Nacht-Blutdruck konsistent, wobei der nächtliche systolische Blutdruck als stärkerer Prädiktor für kardiovaskuläre und Gesamt-Todesfälle gilt als der systolische Blutdruck am Tag und über 24 h. Die Blutdrucksenkungen waren unabhängig von Ausgangsalter, Geschlecht, BMI, systolischem Blutdruck, Bluthochdruck-Status (ja/nein), Antihypertensiva-Einnahme und glykämischem Status (Prädiabetes: ja/nein).
Analysen zu Korrelation (r = 0,31; p < 0,0001) und Mediation (70 %; 95%-KI 47,0–102,6) deuteten darauf hin, dass die durch den GIP/GLP-1-Rezeptor-Agonisten induzierte Gewichtsreduktion mit der Senkung des systolischen Blutdrucks verbunden war.
Die durchschnittliche Herzfrequenz über 24 h betrug 77,4 (±8,7) Schläge pro Minute bei Studienbeginn und unterschied sich nicht zwischen den Behandlungsgruppen. In Woche 36 wurden folgende Placebo-bereinigte Anstiege der Herzfrequenz gemessen: +2,1/min (5 mg), +2,3/min (10 mg) und +5,4/min (15 mg).
Unter dem Goldstandard der bariatrischen Chirurgie war in der STAMPEDE-Studie eine Gewichtsreduktion um 18,6 kg durch bariatrische Chirurgie nach 5 Jahren mit einer Reduktion des systolischen Blutdrucks um 8,3 mmHg assoziiert.2 Eine aktuelle Meta-Analyse zu Semaglutid in der „Adipositas-Dosierung“ von 2,4 mg s.c. pro Woche an 3890 Patienten berichtet eine Reduktion des systolischen Blutdrucks um 4,8 mmHg bei einer mittleren Gewichtsreduktion von 12,2 kg.3 Die Gewichtsreduktion in SURMOUNT-1 lag zwischen 15–21 %. Die beobachtete Blutdrucksenkung unter Tirzepatid ist daher quantitativ konsistent zu den Effekten einer Reduktion des Körpergewichtes mit anderen Interventionen. Der Mehrwert der Publikation besteht in der Darstellung der 24-h-Blutdruckmessung.
In der SELECT-Studie bei Patientinnen und Patienten mit Adipositas ohne Diabetes mellitus wurden bei einer Gewichtreduktion um 9,4 % unter Semaglutid 2,4 mg eine Reduktion des systolischen Blutdrucks um 3,8 mmHg, des HbA1c um 0,3 %, des hsCRP um 39 %, des LDL-C um 5,3 % und der Triglyceride um 18,3 % beobachtet.4 Diese Blutdrucksenkung ist mit der Wirkung der Addition eines zusätzlichen Wirkstoffes in der Therapie eines Patienten mit arterieller Hypertonie vergleichbar. In experimentellen Studien wurden in Zellkulturexperimenten und Tierversuchen direkte, d. h. Gewicht-unabhängige, positive Effekte von GLP1-Rezeptor-Agonisten z. B. auf die Gefäßwand beobachtet.5 Auf den aktuellen Kongressen wird daher diskutiert, ob diese direkten Effekte auch bei Menschen klinisch relevante Effekte besitzen. Die vorliegenden Daten verdichten die Interpretation, dass die Reduktion der kardiovaskulären Ereignisse im Menschen im Wesentlichen durch die Gewichts-Reduktion – und dabei insbesondere durch die Blutdruck-Reduktion – vermittelt wird.
Unter den zahlreichen positiven Studienergebnissen stellt die Erhöhung der Herzfrequenz, welche insbesondere unter den dualen und Dreifach-Wirkstoffen dokumentiert ist, einen Diskussionspunkt dar. Eine höhere Herzfrequenz ist bei kardiovaskulären Erkrankungen mit schlechterer Prognose korreliert. In der SHIFT-Studie war bei Patientinnen und Patienten mit systolischer Herzinsuffizienz der primäre Endpunkt, die Kombination aus Herzinsuffizienz-Hospitalisierung und kardiovaskulärem Tod, pro Anstieg der Herzfrequenz um einen Schlag vom Ausgangswert um 3 % und pro Anstieg um 5 Schläge um 16 % erhöht.6 Daher sind Studien mit NuSHs bei Patientinnen und Patienten mit Adipositas und systolischer Herzinsuffizienz wichtig. Dabei ist das Ergebnis offen. Als klinischer „Netto-Effekt“ könnte die möglicherweise negative Erhöhung der Herzfrequenz durch die anderen zu erwartenden positiven Mechanismen kompensiert werden. Bis zum Vorliegen solcher Daten erscheint es jedoch sinnvoll, die Herzfrequenz bei kardiovaskulären Risikopatienten und -patientinnen unter Tirzepatid zu kontrollieren.
Zur Übersichtsseite Prävention