Die aktuellen ESC/EAS-Leitlinien empfehlen niedrige LDL-C-Zielwerte (< 55 mg/dl bei CVD oder sehr hohem CVD-Risiko und < 70 mg/dl bei hohem CVD-Risiko) und LDL-C-Reduktionen ≥ 50 %, die allerdings nicht immer durch die Therapie mit Statinen erreicht werden können.1 Die Langzeittherapie mit dem neuen PCSK9-Inhibitor Lerodalcibep könnte dazu beitragen, dass ein höherer Anteil an Hochrisiko-Patientinnen und -Patienten die neuen LDL-C-Zielwerte erreicht. In der vorhergehenden Studie LIBerate-HeFH senkte Lerodalcibep die LDL-C-Werte nach 24 Wochen um 59 % bei Patientinnen und Patienten mit heterozygoter familiärer Hypercholesterinämie (HeFH).
Die randomisierte Placebo-kontrollierte doppelblinde Phase-3-Studie LIBerate-HR wurde an 66 Kliniken in 11 Ländern durchgeführt. Zu den Einschlusskriterien gehörte ein LDL-C ≥ 70 mg/dl bei maximal verträglicher Statintherapie und bestehender CVD oder ein LDL-C ≥ 100 mg/dl bei einem sehr hohen CVD-Risiko. Die Patientinnen und Patienten erhielten 2:1 randomisiert entweder Lerodalcibep (300 mg sc q4w) oder Placebo über 52 Wochen. Als primärer Endpunkt wurden die LDL-C-Spiegel an Woche 52 erfasst.
Insgesamt wurden 922 Personen (mittleres Alter 64,5 Jahre; 45 % Frauen) in die Lerodalcibep-Gruppe (n = 615) oder in die Placebo-Gruppe (n = 307) randomisiert. Lerodalcibep reduzierte signifikant den mittleren LDL-C-Spiegel um 56,2 % (95%-KI -60,5; -51,9%) im Vergleich zu Placebo (p < 0,001). 90 % der Teilnehmenden erreichten sowohl eine Senkung des LDL-C-Wertes um ≥ 50 % als auch die empfohlenen LDL-C-Zielwerte. Mit Ausnahme von Reaktionen an der Injektionsstelle war das Sicherheitsprofil von Lerodalcibep vergleichbar zu Placebo. Die Reaktionen an der Injektionsstelle wurden als mild bis moderat eingestuft und kamen zwar häufiger in der Lerodalcibep-Gruppe vor (6,9 % vs. 0,3 %), führten aber nicht häufiger zum Behandlungsabbruch gegenüber Placebo (4,2 % vs. 4,6 %).
Die Ergebnisse der LIBerate-HR-Studie bestätigten die Wirksamkeit und Sicherheit von Lerodalcibep über 52 Wochen bei Personen mit CVD oder hohem CVD-Risiko unter Statintherapie und unterstützen die Langzeitanwendung des neuen PCSK9-Inhibitors. Allerdings ist zu beachten, dass noch nicht alle Studien des umfangreichen Programms zu Lerodalcibep abgeschlossen sind, und die weiteren Ergebnisse, insbesondere zur Immunogenität bei Langzeitanwendung über mehr als 2 Jahre, abgewartet werden müssen.
Aktuell befinden sich verschiedene pharmakologische Innovationen zur Therapie von Lipidstoffwechselerkrankungen in klinischer Entwicklung. Die Substanz Lerodalcibep besteht aus einem Adnektin (oder Monobody). Hierbei handelt es sich um ein synthetisch hergestelltes Protein, welches an ein Antigen, hier PCSK9, binden kann. Im Unterschied zu Antikörpern sind Adnektine strukturell nicht von Immunglobulinen, sondern von dem Glykoprotein Fibronektin abgeleitet. Daher sind Adnektine deutlich kleiner als Antikörper, sie enthalten weder Metallionenbindungsstellen noch eine zentrale Disulfidbrücke.
Lerodalcibep ist ein Fusionsprotein aus einem PCSK9-bindenden Adnektin an humanes Serumalbumin. Der klinische Vorteil dieses Fusionsproteins im Vergleich zu Antikörpern ist eine bessere Löslichkeit und eine längere Halbwertszeit. Dies übersetzt sich in ein geringeres Volumen für die subkutane Injektion (300 mg Lerodalcibep in 1,2 ml) und eine Applikation einmal pro Monat. Die LDL-C-Senkung zusätzlich zu oraler Therapie liegt in der Größenordnung von Evolocumab und Alirocumab. Die positiven Ergebnisse der LIBerate-HR-Studie sind konsistent mit den anderen Studien zu Lerodalcibep und sprechen dafür, das klinische Entwicklungsprogramm weiterzuführen.