Durch Methoden der künstlichen Intelligenz können Hinweise auf das Vorliegen unterschiedlicher Erkrankungen aus dem 12-Kanal-Elektrokardiogramm (EKG) abgeleitet werden.2 Auch die Vorhersage von bestimmten Befunden aus der kardialen Bildgebung ist anhand von EKG-Daten möglich, beispielsweise das Bestehen einer eingeschränkten linksventrikulären Ejektionsfraktion.3
Eine Studie, deren Ergebnisse nun auf dem diesjährigen ESC Digital & AI Summit vorgestellt wurden, untersuchte, ob auch die Detektion unterschiedlicher Aspekte einer strukturellen Erkrankung der Herzvorhöfe („atriale Kardiomyopathie“) einzig basierend auf dieser ubiquitär verfügbaren Basisdiagnostik möglich ist. Im Fokus standen dabei Zeichen eines strukturellen sowie elektrophysiologischen Remodelings im Sinne einer linksatrialen Dilatation sowie dem Vorhandensein von sog. low-voltage areas (LVA) im elektroanatomischen Mapping. Maßgeblich einflussgebend für das Design der Studie und relevant für die Interpretation der Ergebnisse war das Ziel der Studie, ein breit anwendbares Modell basierend auf einer unselektierten Patientenkohorte aus der klinischen Routineversorgung zu entwickeln.
Als Datengrundlage der retrospektiven, monozentrischen Studie diente die digitale Routinedatenbank des Herzzentrums Leipzig, welche sowohl digitalisierte EKG-Datensätze als auch klinische Daten sowie Daten aus der kardialen Bildgebung von allen in diesem Zentrum behandelten Personen beinhaltet. Nach einer strukturierten Datenaufarbeitung und -homogenisierung wurden EKG-Datensätze von volljährigen Patientinnen und Patienten aus einem Studienzeitraum von 2016 bis 2023 identifiziert und mit klinischen Datensätzen kombiniert. Eingeschlossen wurden alle EKGs mit verfügbaren Datensätzen zu einem der beiden Endpunkte, welche innerhalb eines vordefinierten Zeitraums generiert wurden. Für die Definition einer linksatrialen Dilatation wurden Daten sowohl aus Echokardiografie als auch aus MRT-Untersuchungen genutzt. Für die Erfassung von LVA erfolgte eine supervidierte Extraktion der entsprechenden Informationen aus Berichten elektrophysiologischer Untersuchungen durch ein Large Language Model (LLM). Die jeweiligen Studiendatensätze wurden zufällig in 3 Subkohorten für die Modellentwicklung, -validierung und die abschließende Testung aufgeteilt. Für die Modelerstellung wurde die ResNet-34-Architektur mit entsprechenden Adaptationen genutzt.
Die Studienkohorten umfassten 25.145 (linksatriale Dilatation) und 3.149 Personen (LVA), welche insgesamt 66.228 und 6.955 EKGs zur Studiendatenbank beisteuerten. Die Prävalenz der beiden Endpunkte im jeweiligen Testdatensatz lag bei 48,6 % (linksatriale Dilatation) sowie 38,1 % (LVA). Die Vorhersage beider Endpunkte gelang mit hoher Zuverlässigkeit, entsprechend einer area under the receiver operating characteristic curve (AUROC) von 0,779 für die Vorhersage einer linksatrialen Dilatation bzw. einer AUROC von 0,784 für die Vorhersage von LVA.
Bei der Fokussierung auf die Prädiktion einer schwergradigen strukturellen Veränderung des linken Vorhofs mit deutlicher Dilatation konnte eine noch höhere Vorhersagegenauigkeit des Modells demonstriert werden (AUROC 0,799 bei der Differenzierung ggü. aller anderen Subgruppen bzw. 0,871 für die Differenzierung ggü. einer normalen Größe des linken Vorhofs).
Im Rahmen von Subanalysen konnte gezeigt werden, dass bestimmte EKG-Merkmale wie das Vorhandensein einer Tachykardie (Herzfrequenz >100/min) sowie das Vorhandensein von Vorhofflimmern mit einer schlechteren Vorhersagekraft der Modelle für die untersuchten Endpunkte einhergingen. Dies lässt sich möglicherweise dadurch erklären, dass die P-Wellen die Bereiche des EKGs darstellten, die für die Vorhersage aller getesteten Modelle von besonderer Bedeutung waren, wie durch sekundäre Modellanalysen gezeigt werden konnte.
Ferner wurde untersucht, ob durch eine Übertragung des auf einer größeren Datenbasis trainierten Modells mit Methoden des transfer learnings eine Verbesserung der Modellgüte des Modells mit geringerer Datenverfügbarkeit (LVA) erreicht werden konnte. Dies gelang im konkreten Fall nicht. Ferner führte eine Kombination der Modellvorhersage mit unterschiedlichen klinischen Basisvariablen in ein gemeinsames Prädiktionsmodell nicht zu einer weiteren Verbesserung der diagnostischen Güte.
Die vorliegende Arbeit konnte zeigen, dass auf Methoden der künstlichen Intelligenz basierende Modelle in der Lage sind, aus unselektierten 12-Kanal-EKGs das Vorhandensein bestimmter Aspekte der atrialen Kardiomyopathie vorherzusagen. Nach einer entsprechenden externen Validierung sind in einem prospektiven Studiensetting diverse Anwendungsmöglichkeiten denkbar.
Die Identifikation einer linksatrialen Dilatation, welche ein Risikofaktor für die Entwicklung von Vorhofflimmern, Herzinsuffizienz sowie systemischen thromboembolischen Ereignissen ist, könnte in einem ambulanten hausärztlichen Setting eine sinnvolle Ergänzung im Bereich der Prävention bzw. Früherkennung kardiovaskulärer Erkrankungen spielen und zu einer sinnvollen Ressourcenallokation weiterführender Untersuchungen bei Risikopopulationen beitragen. Darüber hinaus könnten die Modelle zu einem späteren Zeitpunkt des Behandlungspfades beispielsweise bei Personen mit nachgewiesenem Vorhofflimmern im Rahmen der Therapiesteuerung von Relevanz sein. So wäre das Wissen um eine erhöhte Wahrscheinlichkeit für das Vorliegen von LVA ein Faktor, der Einfluss auf die Auswahl eines individuell geeigneten Katheterablationsverfahrens nehmen und somit die Informationsgrundlage als Basis einer optimalen gemeinsamen Entscheidungsfindung verbessern kann.