Die robotische Herzchirurgie erfährt derzeit eine bemerkenswerte Wiederbelebung. Europäische Herzchirurginnen und -chirurgen waren weltweit die Ersten, die robotische Techniken einsetzten. Nachdem telemanipulative Systeme bereits Ende der 1990er-Jahre erste klinische Anwendung fanden, blieb die dauerhafte Etablierung in Deutschland lange aus. Technische Hürden, fehlende Ausbildungsstrukturen, hohe Kosten und regulatorische Einschränkungen hemmten die Entwicklung erheblich. Mit dem Aufkommen strukturierter Trainingsprogramme sowie einem deutlichen technologischen Fortschritt hat sich die Situation jedoch grundlegend verändert. Das Herzzentrum Duisburg zählt zu den ersten deutschen Einrichtungen, die diese Entwicklung konsequent aufgegriffen und die robotische Herzchirurgie 2023 erfolgreich implementiert haben. Über 200 durchgeführte Eingriffe innerhalb kurzer Zeit zeigen, dass diese Technik erfolgreich im klinischen Alltag angekommen ist. Dass in diesem Jahr weitere große Zentren diese Technik einführen, unterstreicht ihre zunehmende Relevanz und Entwicklungskraft.
Technische Grundlagen robotischer Systeme
Das aktuell in der Herzchirurgie etablierte Da-Vinci-System der Firma Intuitive Surgical® ist ein telemanipulatives Operationssystem, bei dem der Operateur über eine Konsole mehrere robotische Instrumentenarme steuert. Die Konsole ermöglicht eine hochauflösende dreidimensionale Sicht auf das Operationsfeld, mit zehnfacher optischer Vergrößerung. Diese immersive Darstellung schafft eine visuelle Tiefe, die der konventionellen Endoskopie deutlich überlegen ist und anatomische Feinstrukturen präziser erkennen lässt. Die Instrumentenarme des Systems verfügen über 7 Freiheitsgrade, die das natürliche Bewegungsausmaß des menschlichen Handgelenks übertreffen. Es besteht die Möglichkeit, Bewegungsübersetzungen anzupassen. Dadurch können feinste Präparations- und Nahttechniken in engsten anatomischen Bereichen subtil durchgeführt werden. Eingebaute Tremorfilter eliminieren dabei unwillkürliche Mikrobewegungen und ermöglichen eine außergewöhnlich präzise und stabile Führung der Instrumente.
Ein weiterer wesentlicher Vorteil für den Operateur liegt in der ergonomischen Arbeitsplatzstruktur. Während in der offenen Herzchirurgie häufig lange Operationszeiten in stehender Position, mit Lupenbrille, Kopflicht und ungünstigen Körperwinkeln verbunden sind, erlaubt die robotische Konsole eine physiologisch günstige Sitzhaltung. Das Zusammenspiel aus optischer Qualität, Bewegungspräzision und ergonomischer Arbeitsweise bildet die Grundlage dafür, dass selbst komplexeste Eingriffe mit reproduzierbar hoher Qualität und Sicherheit durchgeführt werden können.
Auch das gesamte Operationsteam profitiert von der Technik. Da das Kamerabild synchron auf mehrere Monitore übertragen wird, haben alle Beteiligten denselben visuellen Zugang zum Operationsgeschehen. Dies erleichtert die Assistenz, verbessert die intraoperative Kommunikation und schafft ein besonders effektives Lernumfeld für den herzchirurgischen Nachwuchs. Robotische Systeme ermöglichen somit nicht nur eine operative Präzisionssteigerung, sondern tragen auch zu einer strukturierten, teamorientierten Arbeitsweise bei.
Robotisches OP-Setup: Patientenwagen (Roboter), Chirurgenkonsole (Steuerung), Videoturm (Bildübertragung), Kardiotechnik (Herz-Lungen-Maschine).
Klinisches Einsatzspektrum robotischer Eingriffe in der Herzchirurgie
Eine große Bandbreite kardiochirurgischer Eingriffe lässt sich heute robotisch assistiert durchführen. Bislang entfällt im Herzzentrum Duisburg etwa die Hälfte der Eingriffe auf koronare Bypassoperationen, überwiegend im Rahmen einer sogenannten robotic-assisted MIDCAB-Operation (Minimally Invasive Direct Coronary Artery Bypass). Hierbei werden eine oder beide Arteriae mammariae internae robotisch präpariert und anschließend über eine anterolaterale Minithorakotomie mit den Koronararterien anastomosiert. Meist erfolgt die Revaskularisation des Ramus interventricularis anterior (RIVA), es können jedoch auch mehrere Bypässe – vornehmlich auf das linke Koronararteriensystem – angelegt werden. Beim sogenannten TECAB-Verfahren (Totally Endoscopic Coronary Artery Bypass) wird vollständig auf eine Thorakotomie verzichtet; der Eingriff erfolgt ausschließlich über Trokare. Der hierfür erforderliche Endowrist-Stabilisator ist derzeit nur eingeschränkt verfügbar, sodass TECAB in Europa weniger als 2 % der robotisch assistierten koronaren Eingriffe ausmacht. Großes Potenzial liegt in der Kombination einer robotic-assisted MIDCAB-Operation mit einer perkutanen Koronarintervention (PCI) weiterer Gefäße im Sinne eines hybriden Revaskularisationskonzeptes.
Video 1 illustriert exemplarisch die robotische Präparation der Arteria mammaria.
Den zweitgrößten Anteil des robotischen Spektrums bilden Eingriffe an den atrioventrikulären (AV-)Klappen (ca. 40 %). Dank der beschriebenen Überlegenheit in Visualisierung und Bewegungspräzision können Mitralklappenrekonstruktionen mit exzellenten Erfolgsraten von über 90 % robotisch durchgeführt werden. Dies schließt auch die komplexesten Pathologien der Mitralklappe ein, die eine aufwendige, segmentorientierte Rekonstruktion erfordern. Ergänzend können – isoliert oder in Kombination – Rekonstruktionen der Trikuspidalklappe, endo- und epikardiale Ablationen sowie der Verschluss des linken Vorhofohrs (LAA) erfolgen.
Video 2 zeigt eine typische robotisch assistierte Mitralklappenrekonstruktion.
Weitere intrakardiale Eingriffe umfassen die Resektion benigner Tumoren, Vorhofseptumdefekt- (ASD) und Ventrikelseptumdefekt-(VSD)-Verschlüsse sowie in ausgewählten Fällen den Aortenklappenersatz. Mit zunehmender Erfahrung der Teams und weiterer technologischer Innovation ist davon auszugehen, dass sich dieses Portfolio schrittweise erweitern und um zusätzliche, heute noch als zu komplex geltende Eingriffe ergänzt wird.
Video 3 demonstriert exemplarisch die präzise Resektion eines linksatrialen Myxoms unter Verwendung der robotischen Technik.
Vorteile für Patienten und Patientinnen
Die robotische Herzchirurgie stellt die konsequente Weiterentwicklung minimalinvasiver Techniken dar und ermöglicht ein echtes „closed-chest“-Vorgehen. Auf eine Sternotomie oder Thorakotomie kann dabei vollständig verzichtet werden, eine Knochendurchtrennung findet nicht statt, und das Weichteiltrauma bleibt auf kleinste Zugangswege (Trokare; 8–12 mm große Hülsen) begrenzt. Die geringere Traumatisierung der Gewebe führt zu kleineren Wund- und Narbenflächen, geringerem Blutverlust und einem reduzierten Risiko für Wundinfektionen. Zudem entstehen weniger Pleura- und/oder Perikardverwachsungen, was potenzielle Re-Eingriffe technisch erleichtern kann. In der Regel berichten die Patientinnen und Patienten über weniger postoperative Schmerzen. Die Kombination aus reduziertem perioperativem Trauma und präziser Operationstechnik spiegelt sich in einer insgesamt niedrigeren Morbidität wider.
Sowohl die Dauer der intensivmedizinischen Behandlung als auch der stationäre Gesamtaufenthalt können zudem verkürzt werden. Die Patientinnen und Patienten erreichen schneller wieder ihre gewünschte Leistungsfähigkeit und können frühzeitiger in ihren Alltag und – sofern relevant – in das Berufsleben zurückkehren.
Wissenschaftliche Evidenz
Die wissenschaftliche Analyse und damit die Schaffung belastbarer Evidenz für die robotische Herzchirurgie macht deutliche Fortschritte. Eine PubMed-Suche („robotic cardiac surgery NOT robotic thoracic surgery“) ergibt in den vergangenen fünf Jahren fast 500 Publikationen, was die zunehmende wissenschaftliche Durchdringung des Themas widerspiegelt.
Die erste systematische europäische Erhebung aus dem Jahr 2020 dokumentiert die Ergebnisse von 2.563 robotisch assistierten Prozeduren im Zeitraum von 2016 bis 2019 mit exzellenten klinischen Resultaten. Bei 1.266 RA-MIDCAB-Eingriffen traten keine Schlaganfälle auf, die Revisionsrate aufgrund von Blutung lag bei 1,2 %, und die In-hospital-Letalität bei 0,6 %. Sehr gute Ergebnisse wurden auch für die robotische AV-Klappenchirurgie (n=945) berichtet: Die Schlaganfallrate betrug hier 0,6 %, die Revisionsrate 2,3 % und die In-hospital-Letalität 1,8 %. Die mittlere Krankenhausverweildauer lag mit 6 bis 8 Tagen signifikant unter der durchschnittlichen Verweildauer in Deutschland. Insgesamt war die beobachtete Mortalität niedriger als die gemäß EuroSCORE II erwartete Mortalität in der Gesamtstichprobe (Ratio O/E = 0,66)1.
Direkte Vergleiche der robotischen mit anderen Operationstechniken in der Herzchirurgie sind bislang rar; insbesondere randomisierte kontrollierte Studien mit harten klinischen Endpunkten stehen noch aus. Erste robuste Daten zur Mitralklappenrekonstruktion liefert eine kürzlich publizierte Analyse der Society of Thoracic Surgeons (STS) mit Daten von über 60.000 Patientinnen und Patienten. In dieser Untersuchung wurde die robotergestützte Mitralklappenrekonstruktion sowohl mit dem minimalinvasiven Vorgehen über eine anterolaterale Thorakotomie als auch mit dem konventionellen Zugang via Sternotomie verglichen. Mittels Propensity-Score-Matching erfolgte eine Adjustierung für patientenseitige Risikofaktoren. Die robotische Technik erwies sich dabei als sicheres und effizientes Verfahren mit vergleichbaren Mortalitäts- und Morbiditätsraten, jedoch geringerer Konversionsrate zum Mitralklappenersatz, kürzerer Krankenhausverweildauer und weniger Wiederaufnahmen innerhalb von 30 Tagen im Vergleich zu beiden Referenzverfahren2.
Trotz dieser vielversprechenden Daten besteht weiterhin ein Bedarf an prospektiven, insbesondere randomisierten Studien, um die robotische Herzchirurgie noch klarer zu positionieren und ihre Vorteile gegenüber etablierten Techniken eindeutig zu quantifizieren. Dies ist nicht zuletzt erforderlich, um die Technik perspektivisch auch gesundheitspolitisch und finanziell adäquat abbilden zu können. Auf europäischer Ebene haben sich daher Expertengremien und Task Forces formiert, um die Standardisierung von Indikationen, Prozeduren und Datenerhebung voranzutreiben und so die wissenschaftliche Evidenzbasis für die robotische Herzchirurgie weiter zu stärken.
Fazit und Ausblick
Die robotische Herzchirurgie ist – nach einer längeren Phase der Stagnation – in den klinischen Alltag zurückgekehrt und etabliert sich in spezialisierten Zentren sichtbar. Die ersten Erfahrungen aus Hochvolumenprogrammen zeigen, dass sich die Kombination aus überlegener Visualisierung, hochpräziser Instrumentenführung und konsequenter Minimalinvasivität in Form geringerer Morbidität, kürzerer Rekonvaleszenz und hoher Ergebnisqualität niederschlägt. Parallel dazu wächst die wissenschaftliche Evidenzbasis, auch wenn randomisierte Studien mit geeigneten klinischen Endpunkten weiterhin fehlen.
Für die kommenden Jahre ist weniger von einem disruptiven als von einem evolutionären Wandel auszugehen. Robotische Systeme werden sich zunächst vor allem als leistungsfähige Assistenzplattformen in der minimalinvasiven Herzchirurgie etablieren – eingebettet in strukturierte Trainingsprogramme, standardisierte Prozeduren und qualitätssichernde Register. Hybridkonzepte, etwa die Kombination der robotisch assistierten Bypasschirurgie mit perkutanen Interventionen, werden dabei an Bedeutung gewinnen und das therapeutische Spektrum erweitern.
Mit zunehmender technischer Weiterentwicklung ist zu erwarten, dass einzelne, klar definierte Teilschritte einer Operation – wie die Präparation der Arteria mammaria interna oder bestimmte Nahttechniken – partiell automatisiert und vom System unterstützt übernommen werden können, stets unter unmittelbarer Kontrolle der Operateurin bzw. des Operateurs. Auf absehbare Zeit bleibt der Roboter damit ein hochpräzises, „mitdenkendes“ Instrument, während die Indikationsstellung, die intraoperative Strategie und die juristische Verantwortung eindeutig beim Menschen liegen. Entscheidend für die nachhaltige Verankerung der robotischen Herzchirurgie werden neben der weiteren Evidenzgenerierung insbesondere adäquate Ausbildungsstrukturen und eine realistische gesundheitspolitische und ökonomische Abbildung dieser Technologie sein.
Zum Autor
Prof. Jochen Börgermann
Prof. Jochen Börgermann ist Spezialist für Kardiochirurgie und Chefarzt der Klinik für Herzchirurgie und Kinderherzchirurgie am Herzzentrum Duisburg des Evangelischen Klinikums Niederrhein.
Zum Autor
Edis Ljajikj
Edis Ljajikj ist Oberarzt und Facharzt für Herzchirurgie in der Klinik für Herzchirurgie und Kinderherzchirurgie am Herzzentrum Duisburg des Evangelischen Klinikums Niederrhein. Dort leitet er zudem den Bereich Robotische Herzchirurgie.
Referenzen
- S. Cerny et al. Robotic Cardiac Surgery in Europe: Status 2020. Front Cardiovasc Med. 2022 Jan 20:8:827515. doi: 10.3389/fcvm.2021.827515. eCollection 2021.
- M. Mori et al. Robotic Mitral Valve Repair for Degenerative Mitral Regurgitation. Ann Thorac Surg. 2024 Jan;117(1):96-104. doi: 10.1016/j.athoracsur.2023.07.047.