Ein Ischämienachweis im Belastungstest wird häufig als Indiz für ein erhöhtes kardiovaskuläres Risiko und die Notwendigkeit einer revaskularisierenden Behandlung interpretiert. Eine neue Studienanalyse relativiert aber anscheinend diese Sichtweise: Ihre Autoren konnten keine Beziehung zwischen dem Nachweis belastungsinduzierter Ischämien und der Häufigkeit von kardiovaskulären Ereignissen sowie von kardialen Funktionsverschlechterungen im Zeitraum von zehn Jahren feststellen - egal, ob die Patienten in der Folge rein medikamentös oder zusätzlich per Revaskularisation (koronarinterventionell oder bypasschirurgisch) behandelt worden waren.
Die neue Langzeitanalyse einer brasilianischen Forschergruppe um Dr. Whady Hueb vom Instituto do Coração [InCor] in São Paulo basiert auf retrospektiv ausgewerteten Daten der monozentrischen MASS-II-Studie (Medicine, Angioplasty, or Surgery Study). In dieser Studie waren bereits zwischen 1995 und 2000 insgesamt 611 klinisch stabile Patienten mit gesicherter koronarer Mehrgefäßerkrankung und normaler linksventrikulärer Funktion aufgenommen und per Zufallszuteilung einer rein medikamentösen Therapie oder einer zusätzlichen perkutanen Koronarintervention (PCI) bzw. Bypass-Operation zugeführt worden.
Die aktuelle Analyse stützt sich auf Daten von 535 Teilnehmern im
mittleren Alter von knapp 60 Jahren, die zu Studienbeginn einen
Belastungstest absolviert hatten. Damit wurden bei 270 Patienten
Ischämien dokumentiert, bei 265 dagegen nicht. In Abhängigkeit vom
Testergebnis wurde dann die Häufigkeit von kardiovaskulären Ereignissen
(Tod, Myokardinfarkt und Revaskularisation wegen refraktärer Angina
pectoris) im Verlauf der nächsten zehn Jahre analysiert (mittlere
Follow-up-Dauer 11,4 Jahre).
Wie Hueb und seine Kollegen berichten, konnte für diesen Zeitraum
keine Assoziation zwischen initial dokumentierten Ischämien und
konsekutiv aufgetretenen kardiovaskulären Ereignissen festgestellt
werden (Hazard Rate 1,00; 95% CI, 0,80-1,27, p = 0,95 nach
multivariabler Adjustierung). Dabei ist zu bedenken, dass die
MASS-II-Autoren bei ihrer Analyse nur Existenz oder Nicht-Existenz von
Ischämien, nicht aber deren quantitatives Ausmaß und Schweregrad
berücksichtigt haben.
Bei 320 Teilnehmern waren echokardiografische Nachuntersuchung vorgenommen worden. Die Analyse der Echo-Befunde ergab, dass auch bezüglich einer leichten Abnahme der linksventrikulären Auswurffraktion nach zehn Jahren kein nennenswerter Unterschied zwischen Patienten mit und ohne initial dokumentierte Belastungsischämie bestand (p=0,97). Diese Ergebnisse sind im Übrigen unabhängig davon, welcher der drei Behandlungsstrategien die Patienten zugeteilt worden waren.
Die Annahme, dass der Nachweis von Ischämien ein Marker für ein höheres Risiko und eine Indikation für revaskularisierende Maßnahmen sei, werde durch die Studienergebnisse nicht gestützt, schlussfolgern die Autoren um Hueb. Ischämien resultierten aus einem Zusammenspiel unter Beteiligung von Gefäßen, Läsionen und Myokard. Sie seien wohl eher eine Konsequenz dieses komplexen Zusammenspiels und anscheinend per se kein ursächlicher Faktor für kardiale Funktionsverschlechterungen und kardiovaskuläre Ereignisse, so die Studienautoren.
Die neuen Ergebnisse der MASS-II-Studie zur Beziehung zwischen Belastungsischämie und Langzeitprognose sind im Vorfeld der für Ende dieses Jahres erwarteten Ergebnisse der großen ISCHEMIA-Studie auf besonderes Interesse gestoßen. ISCHEMIA soll bekanntlich die definitive Antwort auf die Frage geben, welche Behandlungsstrategie – optimale medikamentöse Therapie allein oder in Kombination mit interventioneller oder koronarchirurgischer Revaskularisation – bei Patienten mit stabiler KHK und dokumentierter mittel- bis schwergradiger Ischämie im Belastungstest die beste ist.
Der primäre Endpunkt dieser Studie, an der mehr als 5.000 KHK-Patienten beteiligt sind, ist eine Kombination der Ereignisse kardiovaskulär verursachter Tod, Myokardinfarkt, Hospitalisierung wegen instabiler Angina oder Herzinsuffizienz sowie Wiederbelebung nach Herzstillstand.