Am Institute for Artificial Intelligence in Cardiovascular Medicine des Universitätsklinikums Heidelberg wird unter Leitung von Prof. Sandy Engelhardt unter anderem an Algorithmen zur Registrierung myokardialer Deformation geforscht. Dabei entstand ein Modell, welches ohne manuelle Annotation und in eigenständiger Erfolgskontrolle („self-supervised“) Bewegungsmuster in Short-axis-cine-MRT-Sequenzen erkennt. Diese werden als Kurve, dem sogenannten „Myocardial motion descriptor“ dargestellt. Sie beschreibt das globale Kontraktions- und Relaxationsverhalten der Myokardvoxel in Relation zu einem Fokuspunkt im Herzen über die Zeit eines Herzzyklus. Anhand dieser Kurve lassen sich distinktive Zeitpunkte wie Endsystole oder Enddiastole sowie drei weitere standardisiert identifizieren.2
Auf Basis dieser fünf Zeitpunkte wurde das Konzept des „Deep Aligned Strain“ entwickelt. Durch die Berechnung der Deformation (Strain) zwischen diesen definierten Zeitpunkten lässt sich ein deutlich feiner aufgelöstes und interindividuell vergleichbares Funktionsprofil gewinnen als bei alleiniger Betrachtung des Peak Strain. Die Arbeitsgruppe konnte damit ein Machine-Learning-Modell trainieren, das bei einer Kohorte an Duchenne-Muskeldystrophie erkrankten Personen von Fibrose betroffene Myokardsegmente im Sinne eines Late-Gadolinium-Kontrastmittel-Enhancements nur anhand der nativen MRT-Bilder mit hoher Genauigkeit hervorsagte.3
Auf dem diesjährigen ESC Digital & AI Summit in Berlin wurden nun erste Daten zum „Myocardial motion descriptor“ selbst und dessen möglichen diagnostischen Nutzen präsentiert.1
Zunächst wurde ein biventrikuläres Segmentierungsmodell auf dem öffentlich verfügbaren M&Ms-2-Kardio-MRT-Datensatz trainiert, um myokardiale Masken für den linken und rechten Ventrikel (LV und RV) zu erzeugen.4
Zusätzlich wurde ein Bildregistrierungsmodell auf Basis eines Convolutional Neuronal Networks entwickelt, um Vektorfelder ϕ zu generieren und damit die Grundlage für die spätere Bewegungsanalyse zu bilden.
In Anlehnung an die von Koehler et al. 2022 veröffentlichte Methode2 berechnet ein spezielles Direction-Modul für jedes Voxel xᵢ innerhalb der LV- und RV-Masken die relative Bewegungsrichtung zwischen zwei aufeinanderfolgenden Bildframes als Winkel αᵢ. Dafür wird der jeweilige Bewegungsvektor vᵢ in Beziehung zu einem Positionsvektor wi gesetzt, der die Position des Voxels xᵢ in Bezug auf einen aus der Segmentierung abgeleiteten anatomischen Referenzpunkt beschreibt. Durch anatomisches Mapping und anschließende räumliche Aggregation entstehen daraus zwei eindimensionale Kurven die Myokardbewegungsrichtung als Kosinus des Winkels αᵢ (cos(α)), dem „Myocardial motion descriptor“, und dessen Bewegungsausmaß (Betrag der Vektoren vᵢ) über einen Herzzyklus abbildet. Die Methode wurde anschließend an dem ebenfalls öffentlichen und von dem Trainingsdatensatz unabhängigen ACDC-Datensatz5 angewandt. Die resultierenden LV- und RV-Kurven wurden hinsichtlich Unterschiede zwischen gesunden Probanden (NOR) und an dilatativer (DCM) oder hypertropher Kardiomyopathie (HCM), Myokardinfarkt (MINF) oder rechtsventrikulären Auffälligkeiten (RVMP) erkrankten Personen untersucht.
Das Modell erzeugte charakteristische LV- und RV-cos(α)-Kurven, welche anschaulich die myokardialen Bewegungsmuster in Bezug auf den anatomischen Referenzpunkt darstellen. Die Kurven zeigen die maximale kontraktile Bewegung während der Systole, eine Umkehr der Bewegungsrichtung am Übergang von Systole auf Diastole und einen im folgenden zweigipfligen Verlauf als Repräsentation der frühen ventrikulären Relaxation und späteren Füllphase durch atriale Kontraktion. Die korrespondierenden Vektorkurven geben Aufschluss über die zeitliche Veränderung des Ausmaßes der Myokarddeformation im Herzzyklus.
Extremwerte wie das Minimum der LV-cos(α)-Kurve (LV cos(α) minimum NOR vs. DCM: U=26, p<0,001; NOR vs. HCM: U=27, p<0,001; NOR vs. MINF: U=30, p<0,001) sowie weitere Kurvenanteile zeigten signifikante Unterschiede zwischen der gesunden und den vorerkrankten Kohorten ohne Korrelation zur LV- oder RV-Ejektionsfraktion.
Das Modell basiert auf einem relativ kleinen Trainingsdatensatz (n = 200 MRT-Sequenzen) und die Evaluation erfolgte an einem noch kleineren unabhängigen Datensatz (n = 100 MRT-Sequenzen, je 20 pro Kohorte). Eine Konsistenz der Ergebnisse über eine größere Anzahl an Patientinnen und Patienten und weitere Datensätze hinweg bleibt offen. Beide Datensätze enthalten zudem abgesehen von den eigentlichen Bildsequenzen nur wenige zusätzliche Informationen, sodass ein Vergleich nur zwischen weit gefassten Diagnosegruppen möglich war.
Myokardiale Bewegung – ein vierdimensionaler Deformationsprozess – lässt sich mit Hilfe des vorgestellten Ansatzes auf zwei interpretierbare eindimensionale Kurven reduzieren, die Bewegungsrichtung und -ausmaß abbilden. Anhand der Auswertung konnten Unterschiede zwischen einer Kohorte von Gesunden und Kohorten von Erkrankten aufgezeigt werden.
In einem nächsten Schritt soll untersucht werden, inwiefern mechanistische Besonderheiten spezifischer Erkrankung wie etwa der diastolischen Dysfunktion im „Myocardial motion descriptor“ und der dazugehörigen Vektorkurve abgebildet werden und ob ein klinischer und prognostischer Mehrwert im Vergleich zu konventionellen Funktionsparametern besteht. Hierzu sind umfassende Datensätze mit einer größeren Anzahl an Patientinnen und Patienten und detailliertere Metadaten notwendig.