Smartphone-Stethoskope, die Erkennung von Herzinsuffizienz anhand der Stimme, Trainings mit 3D-gedruckten oder virtuellen Herzen sowie die Früherkennung von Herz-Kreislauf-Erkrankungen anhand von Blutproben gehörten u. a. zu den Innovationen, die auf dem Kongress vorgestellt wurden.
Smartphones als digitales Stethoskop
Die App Theodor Health soll handelsübliche Smartphones in digitale Stethoskope verwandeln: Die App wird derzeit als Medizinprodukt entwickelt und soll es den Nutzenden ermöglichen, mithilfe einer KI-basierten Analyse kardiovaskuläre Erkrankungen wie Herzklappenerkrankungen oder Arrhythmien zu erkennen. Dafür können mit der App 15 Sekunden lang Herzgeräusche aufgezeichnet werden. Anschließend werden diese analysiert und die Nutzenden erhalten eine Ampelbewertung mit KI-basierten Wahrscheinlichkeitswerten. Laut Herstellerangaben erreicht das System Sensitivitäts- und Spezifitätswerte von >90 % für Herzgeräusche und übertrifft damit herkömmliche Stethoskope.
CSP-Training am virtuellen 3D-Herzen
Eine von Epicardio entwickelte 3D-Simulationsplattform des Herzens wurde um virtuelle Trainingsmöglichkeiten des Conduction System Pacing (CSP) erweitert. Sie ermöglicht das Einführen von Elektroden in ein virtuelles Herz, während in Echtzeit elektrophysiologische Signale generiert werden. Die Anwendung soll zur Verbesserung der praktischen Ausbildung beitragen und Trainingsanteile an Patientinnen und Patienten reduzieren.
KI-basierte Stimmanalyse bei Herzinsuffizienz
Um frühe Anzeichen einer Dekompensation bei chronischer Herzinsuffizienz zu erkennen, analysiert die App Vox (Fa. Noah Labs) Sprachaufzeichnungen von Betroffenen. Die Patientinnen und Patienten übermitteln kurze, standardisierte Sprachproben per handelsüblichem Mobilgerät und ein KI-Modell prüft auf physiologische Veränderungen wie pulmonale Stauung und Überwässerung, um Anzeichen einer bevorstehenden Dekompensation zu erfassen. Die Technologie wird derzeit in 4 sich ergänzenden Studien evaluiert (VAMP-HF, TIM-HF3, PRE-DETECT-HF, VAPP-HF). Die Zulassung als Medizinprodukt wird laut Hersteller in der Europäischen Union für Mitte 2026 erwartet, die Zulassung in den USA für 2027.
Mobile KI-basierte Sofortbestimmung des Lipidprofils
Das Lipidprofil daheim in wenigen Minuten mit einem Blutstropfen bestimmen, wird durch den PocDoc Healthy Heart Check ermöglicht. Dabei handelt es sich um ein Medizinprodukt, das bereits im Vereinigten Königreich (UK) zugelassen ist und landesweit in Gesundheitszentren und Apotheken eingeführt wurde. Es ist für den professionellen und für den Heimgebrauch (Preis ca. £ 20) erhältlich.
Nach der Kapillarblutentnahme wird die Probe auf eine Testkassette gegeben. Nach 7 Minuten kann das Testergebnis mit dem Mobilgerät abfotografiert werden und die Nutzenden erhalten per zugehöriger App ein umfassendes Lipidprofil (Gesamtcholesterin, HDL-Cholesterin, Non-HDL-C, LDL-C, Triglyzeride, Gesamtcholesterin-HDL-Quotient). Ergänzt um Abfragen nach Alter, Körpergröße und -gewicht, werden zudem Body-Mass-Index, „Herzalter“ und eine 10-Jahres-Risikobewertung für Herzinfarkte und Schlaganfälle ermittelt. Die Ergebnisse können direkt an Hausärztin oder Hausarzt weitergeleitet werden. Zusätzliche Services bieten klinische Unterstützung und Lebensstilberatung. Der UK-Gesundheitsdienst NHS schätzt, dass jeder digitale Gesundheitscheck 20 Minuten in der hausärztlichen Versorgung einspart. Zulassungsverfahren für Europa und die USA sind eingeleitet.
Der Summit zeigte insgesamt eine breite Palette digitaler und KI-gestützter Entwicklungen, die verschiedene Bereiche der kardiovaskulären Versorgung berühren – von der Prävention über Früherkennung und Diagnostik bis hin zur medizinischen Ausbildung.
Die beim ESC Digital & AI Summit präsentierten Innovationen verdeutlichen mit bemerkenswerter Klarheit, wie rasant sich die digitale Transformation in der kardiovaskulären Medizin entwickelt. Ob Smartphone-Stethoskope, KI-basierte Stimmanalyse, virtuelle Trainingsplattformen oder mobile Lipidprofilbestimmung – alle Beispiele eint ein zentrales Motiv: Künstliche Intelligenz bietet enorme Chancen entlang der gesamten Versorgungskette, von der Aufklärung über die Anamnese, Diagnostik und Prävention bis zur Therapieüberwachung.
Die Potenziale sind unbestreitbar. KI verspricht eine frühere und häufigere Erkennung kardiovaskulärer Erkrankungen. In mehreren Studien zeigte sich, dass Diagnosen mit KI-Unterstützung doppelt bis dreimal so häufig gestellt wurden wie nach einer herkömmlichen Untersuchung. Das unterstreicht, dass KI-gestützte Systeme bislang übersehene Befunde identifizieren können und damit wesentlich zur Risikostratifikation beitragen.
Gleichzeitig offenbart sich hier aber auch eine zentrale Herausforderung: falsch-positive Befunde. Eine hohe Rate an Fehlalarmen, wie sie bereits in einigen Studien zu KI-Tools beobachtet wurde, kann gesunde Menschen unnötig verunsichern und zu kostspieliger wie belastender Folgediagnostik führen. Dies ist kein Randphänomen, sondern ein inhärentes Risiko vieler KI-Tools.
Daher gilt: KI kann diagnostisch enorm wertvoll sein, darf aber nicht unkritisch oder wahllos eingesetzt werden. Die Validierung und klinische Einbettung müssen mit größter Sorgfalt erfolgen.
Die vorgestellten Technologien könnten langfristig zu einer Angleichung des Versorgungsniveaus zwischen kardiologischen Zentren und allgemeinmedizinischen Bereichen beitragen. KI und digitale Tools ermöglichen einen leichteren und breiteren Zugang zu spezialisierten Informationen, was insbesondere für Patientinnen und Patienten außerhalb großer Städte oder ohne unmittelbare Facharztanbindung ein enormer Fortschritt sein kann.
Wenn Screening, Prävention und Erstdiagnostik durch KI-basierte Tools verbessert werden, gelangen Betroffene früher – und zielgerichteter – in die spezialisierte Versorgung. Das schafft nicht nur mehr gesundheitliche Chancengleichheit, sondern entlastet gleichzeitig das gesamte Versorgungssystem.