Insgesamt wurden 13.165 Patientinnen und Patienten in 30 Ländern rekrutiert und über einen Zeitraum von rund 4 Jahren beobachtet. Bemerkenswert ist die ausgezeichnete kardiovaskuläre Begleittherapie zu Studienbeginn, mit 86 % der Personen unter Statin- und 30 % unter SGLT2i-Therapie.2 Ebenfalls bemerkenswert ist auch die Wahl des aktiven Komparators Dulaglutid (anstelle von Placebo), dessen kardiovaskulärer Nutzen in der REWIND-Studie bereits belegt wurde. In REWIND, der bislang größten und längsten CVOT mit einem GLP1-RA, wurde eine signifikante Senkung um 12 % des kombinierten Endpunkts von Myokardinfarkt, Schlaganfall und kardiovaskulärer Mortalität erreicht, und das in einer Population, die zu einem erheblichen Teil (68,5 %) aus Primärpräventionspatientinnen und -patienten bestand.3
Damit setzt SURPASS-CVOT einen ethischen und wissenschaftlichen Standard, der sich in zukünftigen CVOT-Studien etablieren dürfte. Für eine Hochrisikopopulation mit Typ 2 Diabetes und manifester Atherosklerose ist es heute ethisch nicht mehr vertretbar, eine vierjährige kardiovaskuläre Endpunktstudie ohne wirksame GLP1-RA zu führen.
Die Ergebnisse sind vielschichtig: Tirzepatid erreichte das Kriterium der Nicht-Unterlegenheit gegenüber Dulaglutid für den primären kombinierten Endpunkt Myokardinfarkt, Schlaganfall und kardiovaskulärer Tod (HR 0,92; 95%KI [0,83; 1,01]).1 Eine formale Überlegenheit konnte nicht gezeigt werden, doch das obere 95%-Konfidenzintervall unter 1,05 gegenüber einem kardioprotektiven Vergleichsarm impliziert zugleich (unter Berücksichtigung des etablierten Placebo-Überlegenheit von Dulaglutid aus REWIND) eine indirekte Überlegenheit von Tirzepatid gegenüber Placebo.4
Beachtenswert war die nominell signifikante Reduktion der Gesamtmortalität um 16 %, die auch durch eine Reduktion nicht-kardiovaskulärer Todesfälle (insbesondere von Infektionen) getragen wurde. Renale Endpunkte und der Verlauf der eGFR-Slope fielen konsistent zugunsten von Tirzepatid aus, insbesondere in präspezifizierten Hochrisikokollektiven.
Metabolisch bestätigt SURPASS-CVOT, was kleinere Studien bereits nahegelegt hatten: Tirzepatid senkt HbA1c und Körpergewicht deutlich stärker als klassische GLP1-RA. Über 3 Jahre zeigte sich gegenüber Dulaglutid ein Gewichtsverlust von rund 12 %, der nicht nur klinisch relevant, sondern auch nachhaltig war. Parallel verbesserten sich Blutdruck und Triglyzeride, während das Hypoglykämierisiko gering blieb und im Wesentlichen auf Patientinnen und Patienten mit Insulin- oder Sulfonylharnstofftherapie beschränkt war.
Für die klinische Praxis lassen sich einige Schlüsse ziehen: Tirzepatid ist kardiovaskulär sicher, metabolisch überlegen und nephroprotektiv - Eigenschaften, die es zu einer wertvollen Option für multimodale Strategien bei Typ 2 Diabetes machen, die auch SGLT2-Inhibitoren, RAAS-Hemmer, nicht-steroidale Mineralrezeptorantagonisten und Statine einschließen. Die fehlende formale Überlegenheit für den kombinierten primären Endpunkt gegenüber Dulaglutid bremst überzogene Erwartungen, zeigt aber zugleich, dass wir uns in einer neuen therapeutischen Bandbreite bewegen: von klassischen GLP1-RA bis hin zu potenteren dualen Substanzen, deren Einsatz eine präzisere Patientenselektion erfordert.Insgesamt deuten die Daten daher weniger auf eine qualitativ neue kardioprotektive Achse hin, sondern vielmehr auf eine quantitative Verstärkung bereits bekannter Effekte. Das Nebenwirkungsprofil ähnelt dem von GLP1-RA, lediglich mit leicht erhöhter Rate gastrointestinaler Ereignisse. Dennoch erhielten nach 3 Jahren 72,7 % der Patientinnen und Patienten im Tirzepatid-Arm die 15 mg Dosis. Damit erscheint Tirzepatid eher als potenter Vertreter einer erweiterten Wirkstoffklasse denn als völlig neue Entität.
SURPASS-CVOT liefert nicht nur relevante Ergebnisse zur kardiovaskulären Sicherheit, metabolischen Überlegenheit und Nephroprotektion von Tirzepatid, sondern setzt auch einen methodischen Maßstab. Die Studie gibt zentrale Impulse für künftige kardiometabolische Endpunktstudien in einer Zeit, in der Placebo-Kontrollen oft nicht mehr vertretbar sind. Die fehlende formale Überlegenheit gegenüber Dulaglutid relativiert Erwartungen an einen „Klassenwechsel“, schmälert aber nicht den klinischen Wert: SURPASS-CVOT zeigt, dass wir am Beginn einer Phase differenzierter Inkretintherapie stehen, mit einer Bandbreite an Potenzstufen, die Patientenselektion und individuelle Strategien noch wichtiger macht.