Was sind Anlass und Ziel der Publikation?
Die Implantation extrakorporaler Herz-Kreislauf-Unterstützungssysteme („extra-corporeal life support“ [ECLS]) ist eine invasive lebenserhaltende Therapiemaßnahme, die nicht selten beim therapierefraktären kardiogenen Schock bis hin zum Herz-Kreislauf-Stillstand zum Einsatz kommt. Mit der vorliegenden Publikation soll in diesem sensiblen Bereich invasiver, risikoreicher und kostenintensiver Behandlungsoptionen das Risiko einer Über- oder Fehlversorgung vermindert werden.
Was sind die wichtigsten Take-Home Messages?
- Eine ECLS-Therapie erfordert nicht nur eine adäquate Indikationsstellung zu Therapiebeginn, sondern auch während der laufenden Therapie eine regelmäßige Überprüfung des Fortbestehens der Indikation, der patientenseitigen Zustimmung und damit der Erreichbarkeit des Therapieziels insgesamt.
- Im Rahmen einer regelmäßigen interdisziplinären und interprofessionellen ECLS-Visite können die fortbestehende Erreichbarkeit des Therapieziels, die Belastungen und möglichen Komplikationen der ECLS-Therapie sowie die weiterhin bestehende patientenseitige Zustimmung zur ECLS-Therapie evaluiert und strukturiert dokumentiert werden.
Eine zentrale Abbildung aus der Publikation:
Abb.: Integration der ECLS-Visite im Rahmen der ECLS-Therapie
Was sind Herausforderungen bei der Umsetzung und mögliche Lösungen?
Die wesentlichste Herausforderung dürfte die niederschwellige Integration von Ethikstrukturen in die klinische Routine sein. Ein „Sich-Verdeutlichen“ der beiden Säulen „Indikation“ und „Patientenwille“ sowie des übergeordneten Therapieziels kann bereits durch Verbalisierung in der täglichen Visite oder im Rahmen der Dienstübergaben erfolgen. An der im Konsensuspapier vorgeschlagenen Ethikvisite können beispielsweise auch vom Behandlungsteam unabhängige Dritte teilnehmen. Wichtig ist jedoch die Einbeziehung aller an der Behandlung beteiligten Professionen (mindestens ärztlicher und pflegerischer Dienst sowie Kardiotechnik) sowie ärztliche Vertreter aus allen an der Behandlung beteiligten Disziplinen. Zur Nachvollziehbarkeit sollte eine strukturierte Dokumentation der Visiten erfolgen. Der im Konsensuspapier vorgeschlagene Visitenverlaufsbogen kann hierbei hilfreich sein.
Welche Punkte sind offengeblieben?
Die Autoren haben bei der Erstellung des Konsensuspapiers Wert auf Übersichtlichkeit gelegt: Das Papier soll eine Praxishilfe für den klinischen Alltag darstellen und generelle medizinethische Überlegungen möglichst außen vorlassen. Deswegen sind Aspekte der Verteilungsgerechtigkeit sowie der Fehl- und Überversorgung, wie sie beispielsweise im entsprechenden Positionspapier der Sektionen Ethik von DIVI und DGIIN diskutiert werden, hier außen vorgeblieben (vgl. Michalsen, A., Neitzke, G., Dutzmann, J. et al. Überversorgung in der Intensivmedizin: erkennen, benennen, vermeiden. Med Klin Intensivmed Notfmed 116, 281–294 (2021)).
Ausblick: Welche Entwicklungen zum Thema zeichnen sich ab?
Bisher war der Primat der ärztlichen Indikation stets sowohl unter Ärztinnen und Ärzten als auch unter Medizinrechtlerinnen und Medizinrechtlern unangefochten: Eine Therapie ohne rechtfertigende Indikation wird nicht durchgeführt, auch dann nicht, wenn Patient oder Zugehörige sie wünschen. Dieses Dogma wird inzwischen in der medizinrechtlichen Diskussion mitunter aufgeweicht, einzelne Stimmen innerhalb der Jurisprudenz goutieren eine (nicht-indizierte) Wunschmedizin und bringen Ärztinnen und Ärzte damit im klinischen Alltag in prekäre Situationen. Das gilt insbesondere, weil der Einsatz der ECLS im Indikationsbereich „Kardiogener Schock“ vor dem Hintergrund aktueller Daten wie aus ECLS-SHOCK immer fraglicher zu sein scheint. In der Diskussion um das Primat der ärztlichen Indikation, die momentan insbesondere unter Medizinrechtlerinnen und Medizinrechtlern geführt wird, gilt es nun ärztlicherseits Courage zu zeigen und sich Gehör zu verschaffen. Ein angemessener Einsatz von (begrenzten) Ressourcen ist sonst ebenso wenig möglich wie rechtssicheres Handeln in der Praxis.
Konsensuspapier "Ethische Aspekte im Rahmen von extrakorporalen Herz-Kreislauf-Unterstützungssystemen (ECLS)"
Literaturnachweis: Dutzmann J., Grahn H., Boeken U. et al.
Ethische Aspekte im Rahmen von extrakorporalen Herz-Kreislauf- Unterstützungssystemen (ECLS): Konsensuspapier der DGK, DGTHG und DGAI
Kardiologie 2024 · 18:353–364 https://doi.org/10.1007/s12181-024-00703-x