In der Geschichte der Medizin gab es bereits früh Pionierinnen, die bestehende Normen in Frage stellten und als Vorbilder für kommende Generationen dienten. Eine der frühesten und symbolträchtigsten Frauen ist Agnodike, die im 4. Jahrhundert v. Chr. in Athen lebte. Dies war eine Zeit, in der es Frauen strengstens untersagt war, Medizin zu studieren oder gar auszuüben.1,2
Der Überlieferung zufolge entschloss sich Agnodike, entgegen allen Gesetzen und gesellschaftlichen Konventionen, ihren Traum dennoch zu verfolgen. Sie verkleidete sich als Mann und studierte an der Schule des Hippokrates Medizin.1 Ihre Motivation war zutiefst uneigennützig und auf das Wohl anderer fokussiert: Viele Athenerinnen weigerten sich damals – insbesondere bei gynäkologischen Problemen und Beschwerden – von männlichen Ärzten untersucht zu werden und litten dadurch vielfach unnötig an unbehandelten Krankheiten.3
Agnodike begann, diese Frauen heimlich zu behandeln. Ihr Erfolg verbreitete sich rasch unter den Frauen Athens. Doch es dauerte nicht lange und sie wurde angeklagt – zunächst wegen angeblicher Unzucht, dann wegen unerlaubter Ausübung der Medizin. In einem legendären Prozess enthüllte sie ihre wahre Identität, um ihre Unschuld zu beweisen. Zahlreiche Patientinnen erschienen daraufhin vor dem Gericht, um sie zu verteidigen, und berichteten, wie sie ihnen geholfen und vielfach auch das Leben gerettet habe. Beeindruckt von dieser Loyalität änderten die athenischen Behörden tatsächlich das Gesetz und Frauen durften fortan Heilkunst studieren und offiziell als Ärztinnen praktizieren.1,4
Obwohl die historische Authentizität nicht zweifelsfrei belegt ist, überliefert Gaius Julius Hyginus diese Geschichte in seinen Fabulae (Nr. 274).1 Sie wurde seither vielfach als Allegorie interpretiert: ein Sinnbild für den Mut, sich über unüberwindbar scheinende gesellschaftliche Schranken hinwegzusetzen und medizinische Fürsorge und Humanität über patriarchalisch geprägte gesellschaftliche Strukturen zu stellen.2,5
- Mit Agnodike beginnt somit eine Reise – sie steht am Anfang einer langen Reihe von Frauen, die durch Beharrlichkeit und Idealismus die Medizin menschlicher, gerechter und inklusiver gemacht haben. Für Ärztinnen, die heutzutage tätig sind, und auch für die „Women in Cardiology“ hat sie eine wichtige Vorreiterrolle mit hoher und bis in die heutige Zeit persistierender Symbolkraft inne.
- Sie verkörpert den Mut, trotz manifester Widerstände gegen gesellschaftliche Konventionen anzugehen und – entsprechend der eigenen Überzeugung – eigene Wege zu verfolgen, und die Überzeugung, dass Kompetenz nicht geschlechterspezifisch betrachtet werden sollte.
- Auch erinnert sie daran, dass medizinische Exzellenz und Empathie untrennbar miteinander verbunden sind.
Agnodikes Geschichte stellt ebenfalls heraus, dass echte Innovation in der Medizin dort entsteht, wo Menschen bereit sind, bestehende Grenzen zu hinterfragen – eine Haltung, die gerade in der strukturell noch immer männlich dominierten Kardiologie auch heutzutage noch eine Bedeutung hat.
Das Vermächtnis von Agnodike reicht somit bis in die heutige Zeit hinein. Sie ist ein frühes Rollenmodell dafür, wie Einzelne den Wandel anstoßen können: Mit Mut, Empathie und dem festen Glauben, dass Heilkraft geschlechterunspezifisch ausgeübt werden und allen Mitgliedern einer Gesellschaft gleichermaßen zugänglich sein sollte.
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