Die Hypercholesterinämie, also erhöhte low density lipoprotein-Cholesterol (LDL-C) und Lipoprotein (a)-Spiegel, ist der Hauptrisikofaktor für atherosklerotische Erkrankungen (ASCVD), der häufigsten Todesursache in Deutschland. Betroffene werden sowohl von niedergelassenen Kardiologinnen und Kardiologen (NK) als auch von Allgemeinmedizinerinnen und -medizinern (AM) behandelt. Anders als die Nationale Versorgungsleitlinie (NVL) empfiehlt die ESC/EAS-Leitlinie zum Management von Dyslipidämien einen LDL-C-Zielwert von < 55 mg/dL und eine Lp(a)-Testung mindestens einmal im Leben. Die NVL gibt hingegen einen LDL-C-Zielwert von < 70 mg/dL an und empfiehlt keine Lp(a)-Testung. Die Deutsche Gesellschaft für Kardiologie hat die ESC/EAS-Leitlinie anerkannt. Aber werden die Empfehlungen der Leitlinie in den unterschiedlichen Fachbereichen – AM und NK – auch konsequent umgesetzt oder gibt es Versorgungslücken? Bisher gab es keine verlässlichen Daten, wie die Versorgungsrealität in Deutschland wirklich aussieht. Das Forschungsprojekt „LipidSnapshot“ wurde entwickelt, um diese Wissenslücke zu schließen und diesen sehr wichtigen Bereich der Versorgung von Patientinnen und Patienten mit schweren kardiovaskulären Erkrankungen zu untersuchen.
Als Gemeinschaftsprojekt des Zentrums für Kardiologische Versorgungsforschung der DGK (DGK-ZfKVF), dem Bundesverband niedergelassener Kardiologen (BNK), der Deutschen Gesellschaft für Lipidologie DGFL (Lipid-Liga) e.V. und Novartis Pharma GmbH soll LipidSnapshot das Erreichen von LDL-C-Zielwerten sowie die Anzahl der Lp(a)-Bestimmung bei ASCVD-Patientinnen und -Patienten in Deutschland abhängig von der Betreuung durch NK im Vergleich zur Betreuung durch AM über einen Zeitraum von 3 Jahren in jährlichen Momentaufnahmen (= Snapshots) bewerten. Dabei sollen auch Unterschiede bei der Verordnung von lipidsenkenden Therapien (LLT) sowie geschlechts- und altersspezifische Unterschiede untersucht werden. Dafür wurden die Daten von 1.500 ASCVD-Patientinnen und -Patienten, dokumentiert von 49 niedergelassenen Kardiologinnen und Kardiologen, mit Daten von 82.375 an ASCVD-Erkrankten, dokumentiert von 996 Allgemeinmedizinerinnen und -medizinern, verglichen.
Die Ergebnisse des ersten Snapshots 2023 zeigen deutlich, dass ein Großteil der ASCVD-Patientinnen und -Patienten, vor allem in allgemeinmedizinischen Praxen, nicht adäquat versorgt wurden. Der von den Leitlinien empfohlene LDL-C-Zielwert von < 50 mg/dL wurde selten erreicht. Dabei erfolgte nur in wenigen Fällen eine Eskalation zu einer wirksameren Therapie, um den LDL-C-Spiegel weiter zu senken. Sofern eine Eskalation erfolgte und weitere LLT verschrieben wurden, war dies fast ausschließlich in kardiologischen Praxen der Fall. Unabhängig von der Fachrichtung erreichten Männer oft niedrigere mittlere LDL-C-Werte als Frauen. Dabei zeigen die Daten, dass die von AM betreuten Patientinnen im Vergleich zu den männlichen Patienten oft keine LLT erhielten. Auch die von den Leitlinien empfohlene Lp(a)-Testung fand nicht routinemäßig statt. Bei nur 3 % der Personen, die in allgemeinmedizinischen Praxen vorstellig wurden, wurde eine Messung durchgeführt. Bei den NK waren es immerhin 20 %. Die Daten zeigen außerdem, dass in diesem Fachbereich auch in einem breiteren Patientenprofil auf das Lipoprotein (a) getestet wurde. So gab es hier mehr Personen mit niedrigen Lp(a)-Spiegeln unter 30 mg/dL im Vergleich zu durch AM versorgte Patientinnen und Patienten. Tendenziell erfolgten routinemäßige Lp(a)-Testungen eher bei jüngeren Menschen und bei denjenigen, die mit PCSK9-Inhibitoren in Kombination oder als Monotherapie behandelt wurden.
Auch der zweite Snapshot, ein Jahr später, zeigte kaum Veränderungen. Lediglich 31,5 % der von NK und 14,4 % der von AM betreuten ASCVD-Patientinnen und -Patienten mit hohem Risiko wurden gemäß ESC-Leitlinie behandelt. Der Anteil an Betroffenen mit LDL-C-Werten < 55 mg/dL ist 2024 im Vergleich zu 2023 nur marginal gestiegen. Dies zeigt eine Trägheit der Therapieeskalation in Deutschland auf, dabei wurden weniger als 5 % der Patientinnen und Patienten mit PCSK9-Inhibitoren behandelt. Mit zunehmendem Alter erreichten, im Vergleich zu Männern, weniger Frauen ihren Zielwert. Die neuen Daten zeigen außerdem, dass der Anteil an weiblichen Patientinnen und Patienten mit LDL-C-Werten ≥ 130 mg/dL mit zunehmendem Alter steigt, während es bei den Männern eher Jüngere sind, die hohe LDL-C-Werte aufweisen.
Das Projekt „LipidSnapshot“ liefert zum ersten Mal verlässliche Daten, um eine Bestandsaufnahme der realen Versorgungslage beim Management von Dyslipidämien vornehmen zu können. Die Ergebnisse sind verheerend. Jede fünfte Person mit hohem ASCVD-Risiko, die in allgemeinmedizinischen Praxen betreut wird, erhält keine lipidsenkende Therapie. Auch in kardiologischen Praxen muss nachgebessert werden. Eine konsequente Umsetzung der Leitlinien-Empfehlung ist von hoher Dringlichkeit, um Todesfälle zu vermeiden. Ein dritter und letzter Snapshot in diesem Jahr wird uns noch mehr Daten liefern, um weitere Schlüsse zu ziehen und entsprechende Maßnahmen einzuleiten.