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ACC: Entzündung als Target in Prävention und Therapie

Das American College of Cardiology (ACC) betont in einem aktuellen Scientific Statement die zentrale Rolle chronischer Entzündungen bei Herz-Kreislauf-Erkrankungen.1 Gefordert werden unter anderem ein routinemäßiges hsCRP-Screening, eine höhere Awareness und die konsequente Umsetzung evidenzbasierter Strategien.

 

Dr. Berkan Kurt und Prof. Florian Kahles (Universitätsklinikum RWTH Aachen) kommentieren. 

Von:

Martin Nölke

HERZMEDIZIN-Redaktion

 

Expertenkommentar:

Dr. Berkan Kurt
Prof. Florian Kahles 
Universitätsklinikum RWTH Aachen

 

17.12.2025

Bildquelle (Bild oben): Sebastian Kaulitzki / Shutterstock.com

Die Bedeutung von Entzündungen für die Entstehung und den Verlauf kardiovaskulärer Erkrankungen rückt zunehmend in den Fokus. Das Scientific Statement des ACC soll ein aktuelles Verständnis zur Rolle chronischer, niedriggradiger Entzündungen bei kardiovaskulären Erkrankungen vermitteln und formuliert folgende Kernaussagen:

Biomarker zur Risikobewertung

Das ACC empfiehlt in der Primär- und Sekundärprävention ein ergänzendes Screening von hochsensitivem C-reaktivem Protein (hsCRP) neben der Lipidbestimmung. Weitere Entzündungsmarker wie Serum-Amyloid A, Interleukin-6 (IL-6), Fibrinogen, Leukozytenzahl, Neutrophilen-Lymphozyten-Ratio oder EPA/AA-Ratio zeigen prognostische Relevanz, bieten in der klinischen Routine jedoch keinen klaren Zusatznutzen gegenüber hsCRP. hsCRP ist der am besten charakterisierte Marker und wird konsistent in großen kardiovaskulären Outcome-Studien eingesetzt.

Bildgebung

Bildgebende Verfahren wie PET/CT und MRT zur Detektion vaskulärer Inflammation sind gemäß ACC vielversprechend in der Forschung, werden jedoch aktuell nicht für den routinemäßigen klinischen Einsatz empfohlen.

hsCRP-Screening und Entzündungshemmung in der Primärprävention

Ein einmalig gemessener hsCRP-Wert > 3 mg/l kann in der klinischen Praxis verwendet werden, um Personen mit erhöhtem Entzündungsrisiko zu identifizieren, sofern keine akute Erkrankung vorliegt. Bei erhöhtem inflammatorischen Risiko sollten frühzeitig Lebensstilmodifikationen eingeleitet werden. Wenn die hsCRP-Werte anhaltend erhöht sind, kann in der Primärprävention gemäß ACC die Einleitung oder Intensivierung einer Statintherapie unabhängig vom LDL-Cholesterin-Wert erwogen werden.

hsCRP-Screening und Entzündungshemmung in der Sekundärprävention

Bei Personen mit bestehender kardiovaskulärer Erkrankung, die mit Statinen behandelt werden oder nicht, ist hsCRP ein mindestens ebenso aussagekräftiger Prädiktor für erneute kardiovaskuläre Ereignisse wie LDL-C, berichtet das ACC. Dies unterstreiche die klinische Relevanz des sogenannten residuellen Entzündungsrisikos. Bleibt hsCRP unter Statintherapie > 2 mg/l, sollte gemäß ACC unabhängig vom LDL-Wert eine Intensivierung der Statintherapie erwogen werden.


Niedrig dosiertes Colchicin (0,5 mg/Tag) reduziert kardiovaskuläre Ereignisse bei stabiler Atherosklerose, so das ACC, und ist das erste von der US-Regulierungsbehörde FDA für diesen Zweck zugelassene antiinflammatorische Medikament. Colchicin ist additiv zur lipidsenkenden Therapie vorgesehen. Bei akuter Myokardischämie liegen jedoch keine eindeutigen Daten eines vorteilhaften Nutzens vor und Colchicin ist kontraindiziert bei schwerer Leber- oder Nierenerkrankung. Mehrere neuartige Entzündungshemmer, darunter IL-6-Inhibitoren, werden aktuell in Studien bei chronischer Niereninsuffizienz, Dialyse, HFpEF und akutem Koronarsyndrom untersucht.

Lebensstilinterventionen

Das ACC empfiehlt eine entzündungshemmende Ernährungsweise im Sinne einer mediterranen oder DASH-Diät: viel Obst, Gemüse, Vollkorn, Hülsenfrüchte, Nüsse und Olivenöl. Zudem wird empfohlen, 2–3 mal pro Woche Fisch zu essen, vorzugsweise mit hohem Gehalt an Omega-3-Fettsäuren (EPA/DHA). Rotes und verarbeitetes Fleisch, raffinierte Kohlenhydrate und zuckerhaltige Getränke sollten hingegen auf ein Minimum reduziert werden.


Des Weiteren empfiehlt das ACC ≥150 Minuten moderate oder ≥75 Minuten intensive körperliche Aktivität pro Woche, Rauchverzicht sowie die Aufrechterhaltung eines gesunden Körpergewichts.

Inflammation bei Herzinsuffizienz und anderen kardiovaskulären Erkrankungen

Bei chronischer Herzinsuffizienz können hsCRP und IL-6 zur Risikoabschätzung herangezogen werden. Omega-3-Fettsäuren (EPA + DHA) können bei Personen mit NYHA-Klasse II–IV unabhängig von Ätiologie oder LVEF ergänzend erwogen werden. Statine können laut ACC bei Personen > 60 Jahre mit ischämischer Herzinsuffizienz in Betracht gezogen werden.

Entzündungshemmende Therapie bei rezidivierender Perikarditis

Eine IL-1-Blockade kann bei ausgewählten Personen mit mehrfach rezidivierenden Episoden einer Colchicin- und Steroid-resistenten Perikarditis mit hsCRP-Werten > 10 mg/l und ohne Tuberkulose in Betracht gezogen werden. Neuartige entzündungshemmende Therapien für rezidivierende Perikarditis stellen einen wichtigen therapeutischen Fortschritt für Hochrisikopatientinnen und -patienten dar, so das ACC.

Limitationen

Das ACC weist darauf hin, dass nicht alle Studien zu entzündungshemmenden Therapien in der Sekundärprävention erfolgreich waren, aber positive Studienergebnisse erforderlich sind, bevor weitere Empfehlungen für andere Wirkstoffe ausgesprochen werden können. Darüber hinaus bleibt in erfolgreichen Studien die Wechselwirkung zwischen Entzündungen und wichtigen physiologischen Systemen oft unvollständig untersucht. Insgesamt seien die Belege für einen Zusammenhang zwischen Entzündungen und atherosklerotischen Herz-Kreislauf-Erkrankungen jedoch überzeugend und klinisch relevant.

Empfehlungen für die Forschung

Das ACC nennt mehrere relevante Forschungsfelder, z. B.:

 

  • Klärung, ob die Kombination von Entzündungsmarkern im Blut und bildgebenden Verfahren die kardiovaskuläre Risikoprädiktion verbessert
  • Durchführung großer, randomisierter Studien zu selektiver antiinflammatorischer Therapie in der Primärprävention – inklusive Patientenselektion, optimalem Timing und Behandlungsdauer
  • Identifikation krankheitsspezifischer Endotypen bei Herzinsuffizienz, die von einer Immunmodulation profitieren könnten
  • Evaluation neuer antiinflammatorischer Wirkstoffe, z. B. IL-6-Inhibitoren

„The time for action has arrived“

Angesichts der inzwischen überzeugenden Datenlage fordert das ACC, Entzündung konsequent als therapeutisches Ziel in der kardiovaskulären Medizin zu etablieren. Dazu gehöre, dass klinische Leitlinien ein systematisches Screening von Patientinnen und Patienten in der Primär- und Sekundärprävention auf hsCRP in Kombination mit LDL-C empfehlen und bei nachgewiesener atherosklerotischer Herz-Kreislauf-Erkrankung sowie Anzeichen eines residuellen Entzündungsrisikos gezielt entzündungshemmende Therapien unabhängig vom LDL-C-Spiegel berücksichtigen. Zugleich sei es notwendig, das Bewusstsein von Ärztinnen und Ärzten für die Bedeutung von Entzündungen bei Herz-Kreislauf-Erkrankungen zu schärfen. Die Einführung evidenzbasierter und leitliniengestützter entzündungshemmender Therapien in der Praxis sei durch gezielte Forschung und Implementierung zu beschleunigen.

Expertenkommentar

Das ACC setzt den richtigen Schwerpunkt: Inflammation ist kein Gegenpol zum Risiko ausgehend von Cholesterin oder Blutdruck, sondern additiv und verdient eine gleichwertige Betrachtung in Prävention und Therapie kardiovaskulärer Erkrankungen.


Besonders überzeugend ist die klare Priorisierung eines praxistauglichen Biomarker-Ansatzes, bei dem hsCRP als am besten validierter Marker das residuelle inflammatorische Risiko zuverlässig abbildet und damit klinische Entscheidungen fundiert unterstützen kann. Sowohl in Primär- als auch Sekundärprävention kardiovaskulärer Erkrankungen kann die Messung von hsCRP einen relevanten Mehrwert zur Evaluation des Risikos leisten. Residuelle Inflammation signalisiert ähnlich wie auch eine positive Familienanamnese oder ein hohes Alter, dass Individuen unter erhöhtem Risiko stehen und modifizierbare Risikofaktoren umso strenger betrachtet werden müssen. Klinisch bedeutsam ist zudem, dass Patientengruppen ohne klassische Risikofaktoren, aber mit erhöhtem hsCRP, weiterhin ein hohes Risiko haben.


So gehören Lebensstilinterventionen und die optimale lipidsenkende Behandlung zu den Grundpfeilern der kardiovaskulären Prävention. Nichtsdestoweniger häufen sich jedoch auch Ansätze zur direkten therapeutischen Adressierung von Inflammation: Niedrig dosiertes Colchicin reduziert Ereignisse bei stabiler Atherosklerose additiv zur lipidsenkenden Standardbehandlung, ohne diese zu ersetzen. Offen und wissenschaftlich spannend bleibt die gezielte Immunmodulation entlang der IL-6-Achse; laufende Studien werden klären, in welchen Populationen und Settings hier zusätzliche Risikoreduktion erreichbar ist.


Insgesamt ist die Kernbotschaft klinisch relevant und praxisnah: Entzündung stellt keine Konkurrenz dar, sondern ist komplementär zum klassischen kardiovaskulären Risiko. Durch die Bestimmung von hsCRP wird das residuelle inflammatorische Risiko sichtbar und quantifizierbar, um es im Anschluss evidenzbasiert zu adressieren.

Zur Person

Dr. Berkan Kurt

Dr. Berkan Kurt ist Clinician Scientist an der Klinik für Kardiologie, Angiologie und Internistische Intensivmedizin des Universitätsklinikums RWTH Aachen. Wissenschaftlich arbeitet er in der Arbeitsgruppe von Prof. Kahles mit dem Fokus auf Inflammation in der Klinik als Treiber kardiometabolischer Erkrankungen.

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Zur Person

Prof. Florian Kahles

Prof. Kahles ist stv. Geschäftsführender Oberarzt der Klinik für Kardiologie, Angiologie und Internistische Intensivmedizin. Er leitet als W2-Professor eine DFG-geförderte Emmy-Noether-Forschungsgruppe mit dem Fokus Inflammation bei kardiometabolischen Erkrankungen und ist stv. Sprecher der DGK-Arbeitsgruppe Herz und Diabetes (AG 23).

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Referenzen

  1. Mensah GA et al. Inflammation and Cardiovascular Disease: 2025 ACC Scientific Statement: A Report of the American College of Cardiology. J Am Coll Cardiol. Published online September 29, 2025. doi:10.1016/j.jacc.2025.08.047

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