Der vollständig humanisierte monoklonale Antikörper Abelacimab hat eine duale Hemmwirkung gegen Faktor XI und seine aktive Form, Faktor XIa. In der Dosierung von 150 mg Abelacimab, einmal monatlich subkutan injiziert, wurde eine Faktor-XI-Hemmung von bis zu 98 % erreicht.1 Die Proof-of-Concept-Studie ergab eine signifikante Überlegenheit von Abelacimab für die Reduktion von postoperativen venösen Thromboembolien (VTE) gegenüber einer Standard-Vergleichstherapie mit Enoxaparin.1
Die Phase-2-Studie, AZALEA-TIMI 71, ist bisher die größte Head-to-Head-Studie mit einem Faktor-XI-Inhibitor im Vergleich zur Standardbehandlung mit Rivaroxaban. An der Studie nahmen 1.287 Patient:innen aus 95 Zentren teil (medianes Alter 74 Jahre, 44 % Frauen, medianer CHA2DS2-VASc-Score 5), die 1:1:1 in die Rivaroxaban-Gruppe (täglich 20 mg oral) oder in die beiden Abelacimab-Gruppen (entweder 150 mg oder 90 mg subkutan 1 x monatlich) randomisiert wurden. Der primäre Endpunkt war die Rate an schwerwiegenden oder klinisch relevanten nicht-schwerwiegenden Blutungen.2
Die Beobachtungsdauer der Phase-2-Studie betrug im Median 21 Monate, bevor die Studie vorzeitig abgebrochen wurde, da der primäre Endpunkt erreicht worden war. Abelicamab zeigte eine überwältigende Reduktion von schwerwiegenden oder klinisch relevanten Blutungen gegenüber Rivaroxaban.
Die Inzidenzraten für den primären Endpunkt betrugen jeweils 2,7 in der 150-mg-Abelicamab-Gruppe bzw. 1,9 in der 90-mg-Abelicamab-Gruppe gegenüber 8,1 in der Rivoraxaban-Gruppe. Die Hazard Ratio für den Vergleich mit Rivoraxaban wurde mit 0,33 (95-%-KI 0,19-0,55) für die 150-mg-Abelicamab-Gruppe (p < 0,001) und mit 0,23 (95-%-KI 0,13-0,42) für die 90-mg-Abelicamab-Gruppe (p < 0,001) bestimmt.
Abelicamab reduzierte im Vergleich zu Rivoraxaban auch alle Einzelkategorien für Blutungsereignisse, darunter schwerwiegende Blutungen (Reduktion um 74 % mit 150 mg Abelacimab und Reduktion um 81% mit 90 mg Abelacimab) und gastrointestinale Blutungen (Reduktion um jeweils 93 % sowohl mit 150 mg als auch mit 90 mg Abelacimab).
Die Angst vor Blutungen gilt als häufigster Grund, warum rund 50 % der Patient:innen mit Vorhofflimmern in den USA keine Antikoagulation mit NOAK (Nicht-Vitamin-K-abhängige Antikoagulanzien) erhalten.3 In diesem Kontext könnte der Faktor-XI-Hemmer, Abelacimab, aufgrund des niedrigen Blutungsrisikos bei vergleichbarer Wirksamkeit zu herkömmlichen NOAKs zum Gamechanger werden.
Abelacimab wurde bereits von der US-amerikanischen Arzneimittelbehörde FDA im Schnellverfahren für die Prävention von Schlaganfällen und systemischen Embolien bei Patient:innen mit Vorhofflimmern zugelassen. Mit LILAC-TIMI 76 läuft derzeit eine Placebo-kontrollierte, randomisierte, doppelblinde Phase-3-Studie. Mit ersten Ergebnissen wird voraussichtlich Anfang 2025 gerechnet.4
Laut Studienleiter, Christian Ruff vom Brigham and Women's Hospital in Boston, könnte Abelicamab einen unglaublichen Fortschritt für die Schlaganfallprophylaxe bei Menschen mit Vorhofflimmern bedeuten, falls die aktuellen Ergebnisse in den laufenden Phase-3-Studien bestätigt werden.
Die HERZMEDIZIN-REDAKTION fragte beim Experten für Antikoagulation, Prof. Kirchhof, nach: „Das Prinzip der Faktor XI Inhibition hat einen klaren Vorteil gegenüber den aktuell klinisch verfügbaren DOACs / NOAKs, die Faktor X oder Thrombin (Faktor II) inhibieren, nämlich weniger schwere Blutungen. Ob der Schutz vor Schlaganfällen ähnlich gut ist wie bei den DOACs, werden laufende Studien zeigen. Die Ankündigung von Bayer, dass die OCEANIC-AF-Studie vorzeitig gestoppt wurde, ist ein erster Hinweis darauf, dass die Wirksamkeit nicht unbedingt genau so gut sein wird. Die nächsten Jahre werden zeigen, welche Wirksamkeit diese Substanzen in der Schlaganfallsprävention bei Vorhofflimmern spielen können. Die Wirksamkeit wird nach meiner Einschätzung die Rolle dieser Substanzen in der klinischen Versorgung bestimmen."