aerztin-stethoskop-header-1929x540

Das Visibility Paradox: Warum Frauen in der Kardiologie weniger sichtbar sind – bei gleicher Kompetenz

Trotz eines stetig wachsenden Anteils von Ärztinnen im Bereich der Kardiologie bleibt ihre Sichtbarkeit in zentralen klinischen und wissenschaftlichen Rollen deutlich hinter jener der männlichen Kollegen zurück. Dieses „Visibility Paradox“ ist gut belegt und zeigt sich bei Publikationen, Kongresspräsenz und auch bei Editorial Boards und Studienleitungen. Die Datenlage zeigt: Frauen leisten einen wesentlichen Beitrag – werden aber erheblich seltener auf wissenschaftliche Veranstaltungen eingeladen oder als Expertinnen wahrgenommen.

Von:

Dr. Nina C. Wunderlich 

Rubrikleiterin Women in Cardiology

 

 

18.12.2025

Bildquelle (Bild oben): PeopleImages.com / Yuri A / Shutterstock.com

Wissenschaftliche Sichtbarkeit: persistente Unterrepräsentation

Mehrere große Analysen belegen, dass Frauen in wissenschaftlichen Führungspositionen weiterhin deutlich unterrepräsentiert sind. So stieg der Anteil weiblicher Erstautorinnen in hochrangigen medizinischen Journalen zwischen 1994 und 2014 zwar an, erreichte jedoch selbst in den jüngsten Jahren lediglich etwa 30 %, während der Anteil weiblicher Senior- oder Letztautorinnen über zwei Jahrzehnte hinweg meist unter 20 % lag.1


In kardiologischen randomisierten Studien zeigt sich ein ähnliches Bild: Frauen stellten nur 15–20 % der First Authors und etwa 10–12 % der Senior Authors.2 Auch in Late-Breaking Trials waren Frauen mit weniger als 15 % der Präsentierenden klar unterrepräsentiert.3 Eine systematische Übersicht beschreibt zudem, dass Frauen in höheren akademischen Positionen wie Associate oder Full Professorships häufig nur 20–25 % der Stellen innehatten.4


Im redaktionellen Bereich fanden Keiser et al., dass Frauen in Editorial Boards großer medizinischer Journale oftmals weniger als 20 % ausmachten.5 Neuere Daten der JAMA Network Journals zeigen weiterhin lediglich rund 30 % Frauen in redaktionellen Führungsrollen.6 Ergänzend belegt eine bibliometrische Analyse, dass Frauen global eine geringere wissenschaftliche Sichtbarkeit erfahren und je nach Fachgebiet bis zu 40 % weniger Zitierungen erhalten.7

Sichtbarkeit auf Kongressen: wenige Frauen auf großen Bühnen

Auch auf Kongressen zeigt sich eine klare Unterrepräsentation. In Late-Breaking Cardiovascular Trials sind Frauen mit 10–15 % deutlich unterrepräsentiert.3 Dies steht im Kontrast zur zunehmend ausgewogenen Geschlechterverteilung im klinischen Alltag, in dem viele Weiterbildungsjahrgänge bereits zu mehr als einem Drittel aus Frauen bestehen.

Strukturelle Ursachen des Visibility Paradox

Ein zentraler Mechanismus ist der sogenannte Homophily Bias. Silver et al. zeigten, dass über 80 % der Auszeichnungen medizinischer Fachgesellschaften an Männer vergeben wurden – trotz einer hohen Qualifikation vieler Ärztinnen.8 Zudem gelingt Frauen der Übergang in Senior-Autorenschaften deutlich seltener.1,2 Die geringere Zitierung weiblicher Wissenschaftlerinnen verstärkt diese Unterschiede zusätzlich.7

Warum Sichtbarkeit ein Qualitätsfaktor ist

Sichtbarkeit beeinflusst wissenschaftliche Erkenntnisse und klinische Versorgung. Burgess et al. argumentieren, dass Frauen in klinischen Studien weiterhin oft unter 30–35 % der eingeschlossenen Personen stellen, was die Generalisierbarkeit der Ergebnisse limitiert.9 Diverse Teams erzielen nachweislich innovativere Problemlösungen und robustere Ergebnisse.

Lösungsansätze: Wie Sichtbarkeit verbessert werden kann

Fachgesellschaften sollten transparente Expertinnen-Datenbanken etablieren, Diversity-Standards einführen und Frauen gezielt in Senior-Autorschaften sowie Studienleitungen einbinden. Sponsoring-Programme können den Karriereweg zusätzlich stärken. Individuell können Social-Media-Präsenz, gegenseitige Verstärkung und das aktive Einfordern von Führungsrollen Sichtbarkeit erhöhen.

Fazit

Frauen sind in der kardiologischen Wissenschaft, in Studienstrukturen und Führungspositionen trotz hoher Kompetenz weiterhin deutlich unterrepräsentiert – oft mit Anteilen von lediglich 10–30 %. Sichtbarkeit ist jedoch veränderbar. Durch strukturelle Reformen und aktive Förderung weiblicher Expertise kann die Kardiologie diverser, innovativer und gerechter werden.

Zur Autorin

Dr. Nina C. Wunderlich

Dr. Nina C. Wunderlich ist eine international anerkannte Expertin auf dem Gebiet der interventionellen Bildgebung. Ihr Schwerpunkt liegt auf der echokardiographischen Begleitung und Bildgebung bei Kathetereingriffen am Herz. Sie hat zahlreiche wissenschaftliche Publikationen zu diesem Thema veröffentlicht und gilt als renommierte Referentin und Meinungsführerin in diesem Bereich.
wunderlich-nina-2025-375x375px

Referenzen

  1. Filardo G, da Graca B, Sass DM, Pollock BD, Smith EB, Martinez MA. Trends and comparison of female first authorship in high impact medical journals. BMJ. 2016;352:i847.
  2. Mehran R, Kumar A, Bansal A, Shariff M, Gulati M, Kalra A. Gender and disparity in first authorship in cardiology trials. JAMA Netw Open. 2021;4(3):e211043.
  3. Holtzman JN, Kaur G, Power JE, et al. Underrepresentation of women in Late-Breaking Trials. J Womens Health. 2023;32(6):635–40.
  4. Jafari Z, Habibnezhad M, Johnstone M, Hickey E. Trends in racial and gender representation among academic faculty. J Immigr Minor Health. 2025;27(6):1107–21.
  5. Keiser J, Utzinger J, Singer BH. Gender composition of editorial boards. Lancet. 2003;362:1336.
  6. Schaechter JD, Jacobs JW, Booth GS, et al. Gender representation on JAMA Network Boards. J Womens Health. 2024;33(4):446–52.
  7. Larivière V, Ni C, Gingras Y, et al. Global gender disparities in science. Nature. 2013;504:211–3.
  8. Silver JK, Slocum CS, Bank AM, et al. Underrepresentation of women physicians among award recipients. PM&R. 2017;9:804–15.
  9. Burgess S, Zaman S, Towns C, et al. Under-representation of women in CV trials. Am Heart J. 2025;282:81–92.

Zur Übersichtsseite Women in Cardiology

Das könnte Sie auch interessieren

Dr. N. Wunderlich über die Sichtbarkeit von Ärztinnen in der Kardiologie sowie strukturelle Ursachen und mögliche Lösungsansätze.

DGK.Kardiale Bildgebung 2025 | Prof. D. Muraru summarises the takeaway messages of her keynote presentation on tricuspid valve imaging.

Die Beitragsreihe stellt bedeutende Medizinerinnen in der Geschichte vor. Dieses Mal berichten Dr. N. Wunderlich und Dr. V. Johnson über Agnodike.