Mehr als störend: Fluglärm, ein Risiko für das Herz

 

Eine aktuelle Studie zeigt, dass insbesondere nächtlicher Fluglärm mit einer beeinträchtigten Herzstruktur und -funktion und damit einhergehend mit einem höheren Risiko für schwere kardiovaskuläre Ereignisse verbunden ist. Ohne verbindliche Lärmschutzrichtlinien wird die Gefahr für die Betroffenen fortbestehen.

Von:

Prof. Thomas Münzel

Universitätsmedizin Mainz

 

24.01.2025

 

Bildquelle (Bild oben): franconiaphoto / Shutterstock.com

Verkehrslärm, darunter auch Fluglärm, ist einer der größten umweltbedingten Risikofaktoren für Morbidität und Mortalität.1 Laut der Europäischen Umweltagentur (EEA) sind über 140 Millionen Menschen in Europa regelmäßig einer Verkehrslärmbelastung von mehr als 55 dB Lden (Tag-Abend-Nacht-Pegel) ausgesetzt – einem Schwellenwert, der laut Weltgesundheitsorganisation (WHO) mit negativen gesundheitlichen Folgen verbunden ist.


Während die WHO seit Jahren einen Grenzwert von 45 dB(A) für den als besonders schädlich geltenden Nachtfluglärm empfiehlt,2 fehlen in vielen Ländern, einschließlich Europa, verbindliche gesetzliche Regelungen. Erst kürzlich erklärte der Europäische Rechnungshof, dass die EU-Städte zu laut sind, den Mitgliedstaaten aber aufgrund fehlender EU‑Lärmschutzziele der Anreiz fehlt, Lärmminderungsmaßnahmen ausreichend vorzunehmen.3

Wie Lärm das Herz belastet

 

Die physiologischen Auswirkungen von Lärm zeigt Wolfgang Babischs Modell der Lärmreaktion auf:4 Die akustischen Reize aktivieren die Hypothalamus-Hypophysen-Nebennierenrinden-Achse (HPA-Achse) und das sympathische Nervensystem. Dies führt zur Freisetzung von Stresshormonen und begünstigt kardiovaskuläre Risikofaktoren. Insbesondere Nachtfluglärm verursacht eine erhöhte Gefäßsteifigkeit, einen erhöhten Blutdruck, oxidativen Stress und eine ausgeprägtere endotheliale Dysfunktion.5 Wie zu erwarten, führt Nachtfluglärm bei Patientinnen und Patienten mit bereits nachgewiesener koronarer Herzkrankheit noch zu einer stärker ausgeprägten Verschlechterung der Gefäßfunktion.5 Bei nächtlichem Fluglärm wurde ebenfalls eine mit der Häufigkeit der Lärmereignisse zunehmende diastolische Dysfunktion nachgewiesen.6

Fluglärm und kardiales Remodeling

 

Eine aktuelle Studie von Topriceanu et al. wertete Kardio-MRT-Daten von 3.635 Fluglärm-Betroffenen aus der UK Biobank aus und stellte bei Personen mit nächtlichen Fluglärmpegeln ≥45 dB u. a. folgende Veränderungen fest:7

 

  • Größere linksventrikuläre Masse: durchschnittlich +7 % (95%-KI: 4–10 %), verbunden mit einem 32 % höherem Risiko für schwerwiegende kardiale Ereignisse (MACE)
  • Dickere Herzwände: durchschnittlich +4 % (95%-KI: 2–5 %), verbunden mit einem 17 % höherem MACE-Risiko
  • Schlechtere linksventrikuläre Dynamik – zum Beispiel zirkumferentielle Dehnung: durchschnittlich 8%ige Abnahme (95%-KI: 4–12 %), verbunden mit einem 27 % höheren MACE-Risiko

 

Eine hypothetische Person mit den typischen kardialen Veränderungen durch höhere nächtliche Fluglärmpegel könnte ein vierfach erhöhtes Risiko für MACE aufweisen. Auch bei Tag-Abend-Nacht-Pegeln ≥50 dB zeigten sich ähnliche Auswirkungen, aber mit geringeren Effektstärken.

Adipositas als Vermittler

 

Bemerkenswert ist, dass der Body-Mass-Index (BMI) und direkte Adipositas-Messungen, wie das Rumpffettvolumen, einen signifikanten Teil (25–54 %) der Beziehung zwischen Lärmexposition und negativen kardialen Auswirkungen vermittelten, insbesondere hinsichtlich LV-Masse und Dehnung. Dies deutet darauf hin, dass Adipositas eine kritische Rolle dabei spielt, wie Fluglärm die Herzgesundheit beeinflusst.


Bluthochdruck vermittelte ebenfalls einen kleineren, aber signifikanten Anteil der Beziehung, während hohe Cholesterinwerte keine wesentliche Rolle spielten. Die Auswirkungen von Lärm auf das Herz blieben konsistent, auch nach Anpassung an potenzielle Störfaktoren wie Diabetes, Lebensstilfaktoren und Umweltvariablen wie Luftverschmutzung.

Limitationen der Studie

 

Die Studie weist einige Einschränkungen auf: Trotz Anpassungen für Störfaktoren und Sensitivitätsanalysen bleibt eine Verzerrung durch unbeobachtete Variablen möglich. Die Lärmexpositionsschätzungen beziehen sich auf Zeiträume vor der Bildgebung. Dosis-Wirkungs-Beziehungen konnten aufgrund begrenzter Daten nicht untersucht werden und es fehlen mechanistische Hinweise, da keine Daten zu Biomarkern wie Entzündungen, oxidativem Stress und Herzinsuffizienz vorliegen.

Dringender Handlungsbedarf

 

Diese Studie zeigt die klinische Relevanz von Fluglärm für Herzstruktur und -funktion und hebt die Bedeutung von Fluglärm als öffentliches Gesundheitsproblem hervor – insbesondere angesichts eines prognostizierten Passagierzuwachses in Europa von fast 50 % bis 2040. Trotz dieser Entwicklung fehlen in vielen Ländern, einschließlich Europa, gesetzliche Grenzwerte für Lärmexposition, abgesehen von unverbindlichen WHO- und EEA-Empfehlungen. Dabei wird Verkehrslärm in der EU für jährlich 12.000 vorzeitige Todesfälle, 48.000 neue Fälle von ischämischer Herzkrankheit, 6,5 Millionen chronische Schlafstörungen sowie 22 Millionen Belästigungsreaktionen (Ärgerreaktionen) verantwortlich gemacht.1


Die Studienergebnisse stärken die Evidenz für einen Zusammenhang zwischen Verkehrslärm und Herz-Kreislauf-Erkrankungen und betonen die Dringlichkeit effektiver Lärmschutzmaßnahmen, um insbesondere auch vulnerable Bevölkerungsgruppen vor den gesundheitlichen Folgen chronischer Lärmexposition zu schützen. Insbesondere der Schutz vor Nachtfluglärm muss im Vordergrund stehen und Nachtflugverbote an Flughäfen von 22 Uhr bis 6 Uhr morgens müssen umgesetzt werden.

Zum Autor

Prof. Thomas Münzel

Prof. Thomas Münzel ist Seniorprofessor am Zentrum für Kardiologie an der Universitätsmedizin Mainz. Zu seinen Schwerpunkten gehören u. a. die Mechanismen und prognostische Bedeutung der endothelialen Dysfunktion. Seit vielen Jahren befasst er sich mit umweltbedingten kardiovaskulären Risikofaktoren. Zudem initiierte er die Gutenberg-Gesundheitsstudie und das Centrum für Thrombose und Hämostase (CTH) in Mainz.


Referenzen

 

  1. Europäische Umweltagentur (EEA). Environmental noise in Europe – 2020. URL: https://www.eea.europa.eu/publications/environmental-noise-in-europe (zuletzt abgerufen am 28. Dezember 2020).
  2. WHO. Environmental Noise Guidelines for the European Region. URL: http://www.euro.who.int/__data/assets/pdf_file/0008/383921/noise-guidelines-eng.pdf. Kopenhagen, Dänemark, 2018.
  3. Europäischer Rechnungshof. Sonderbericht 02/2025: Umweltbelastung in den Städten der EU – Sauberere Luft, aber immer noch zu viel Lärm. URL: https://www.eca.europa.eu/de/publications/SR-2025-02
  4. Münzel T, Sørensen M, Daiber A. Transportation noise pollution and cardiovascular disease. Nat Rev Cardiol. 2021;18(9):619-636. doi:10.1038/s41569-021-00532-5
  5. Münzel T, Kröller-Schön S, Oelze M, et al. Adverse Cardiovascular Effects of Traffic Noise with a Focus on Nighttime Noise and the New WHO Noise Guidelines. Annu Rev Public Health. 2020;41:309-328. doi:10.1146/annurev-publhealth-081519-062400
  6. Schmidt FP, Herzog J, Schnorbus B, et al. The impact of aircraft noise on vascular and cardiac function in relation to noise event number: a randomized trial. Cardiovasc Res. 2021;117(5):1382-1390. doi:10.1093/cvr/cvaa204
  7. Topriceanu CC, Gong X, Shah M, et al. Higher Aircraft Noise Exposure Is Linked to Worse Heart Structure and Function by Cardiovascular MRI. J Am Coll Cardiol. Published online December 13, 2024. doi:10.1016/j.jacc.2024.09.1217

Zur Übersichtsseite Prävention

Das könnte Sie auch interessieren

Online-Umfrage zu Adhärenz bei EMAH

DGTHG-Kongress 2025: Wiesich die Adhärenz bei EMAH steigern lässt – das wurde in einer aktuellen Online-Umfrage untersucht.

Quick Dive: Konsensuspapier zu polygenen Risikoscores

Publikationen prägnant vorgestellt – dieses Mal: Polygene Risikoscores für kardiovaskuläre Erkrankungen. Von Prof. H. Schunkert.

Adipozyten erinnern sich an Übergewicht

Welche molekularen Mechanismen sind verantwortlich für den Jo-Jo-Effekt nach einer Diät? Prof. M. Blüher kommentiert.

Laden, bitte warten.
Diese Seite teilen