Quick Dive: Impfen zur kardiovaskulären Prävention

 

In unserer Reihe „Quick Dive“ stellen die Autorinnen und Autoren von Publikationen medizinischer Fachgesellschaften prägnant die wichtigsten Hintergründe und Inhalte der jeweiligen Veröffentlichung vor. Dieses Mal wird eingetaucht in:

 

Vaccination as a new form of cardiovascular prevention

European Society of Cardiology clinical consensus statement: With the contribution of the European Association of Preventive Cardiology (EAPC), the Association for Acute CardioVascular Care (ACVC), and the Heart Failure Association (HFA) of the ESC

30.06.2025 | Verfasst von: Bettina Heidecker, Peter Libby, Vassilios S Vassiliou, François Roubille, Orly Vardeny, Christian Hassager, Michael A Gatzoulis, Mamas A Mamas, Leslie T Cooper, Felix Schoenrath, Marco Metra, Offer Amir, Scott D Solomon, Ulf Landmesser, Thomas F Lüscher


Von:

Martin Nölke

HERZMEDIZIN-Redaktion

 

12.08.2025

 

Bildquelle (Bild oben): vovan / Shutterstock.com

5 Fragen an die Erstautorin

Prof. Bettina Heidecker, Deutsches Herzzentrum der Charité (DHZC)

 

Was sind Anlass und Ziel der Publikation?

 

Infektionen wie Influenza, SARS-CoV-2, Pneumokokken, RSV oder Herpes zoster erhöhen nachweislich das Risiko für kardiovaskuläre Ereignisse wie Myokardinfarkt, Schlaganfall oder Herzinsuffizienz. Ziel des ESC-Consensus-Statements war es, die aktuelle Evidenz zur Rolle von Impfungen als weitere Säule der kardiovaskulären Prävention darzustellen – neben Blutdrucksenkung, Lipidmanagement und Diabetestherapie – und praxisnahe Empfehlungen für Indikation, Timing und Zielgruppen zu geben.

 

Was sind die wichtigsten Take-Home Messages?

 

  • Impfungen gegen Influenza, SARS-CoV-2 und Pneumokokken reduzieren das Risiko von Infektionen und es gibt zunehmend Evidenz, dass Impfungen auch das kardiovaskuläre Risiko reduzieren.
  • Die Influenza-Impfung hat in der Sekundärprävention nach Myokardinfarkt (IAMI-Trial) einen deutlichen Mortalitätsvorteil gezeigt.
  • Empfehlungen gelten besonders für ältere Personen, für Patientinnen und Patienten mit koronarer Herzkrankheit, Herzinsuffizienz oder angeborenen Herzfehlern sowie für Transplantierte und Schwangere.
  • Impfungen sind insgesamt sicher; das Myokarditis-Risiko nach COVID-19-Impfung ist deutlich geringer als nach Infektion.
  • Impfangebote sollten proaktiv auch in der kardiologischen Versorgung integriert werden (z. B. während Krankenhausaufenthalten).
Vaccination as a new form of cardiovascular prevention Abb.: Krankheitserreger mit erhöhtem kardiovaskulären (CV) Risiko: Die Impfung gegen Krankheitserreger wie Influenza und Pneumokokken kann das Risiko für schwerwiegende kardiovaskuläre Ereignisse (MACE) senken. Der Nutzen ist besonders groß bei Risikogruppen wie älteren Menschen, Patientinnen und Patienten mit angeborenen Herzfehlern, nach Herztransplantation oder mit koronarer Herzkrankheit sowie bei Schwangeren. © European Society of Cardiology. European Heart Journal (2025) https://doi.org/10.1093/eurheartj/ehaf384.

Was sind Herausforderungen bei der Umsetzung und mögliche Lösungen?

 

  • Niedrige Impfquoten bei kardiovaskulären Risikopatientinnen und -patienten → Impfungen direkt während kardiologischer Klinikaufenthalte oder Praxisbesuche anbieten
  • Uneinheitliche Impfempfehlungen in verschiedenen Ländern → Harmonisierung der Leitlinien
  • Immunantwort bei Immunsuppression eingeschränkt → optimierte Zeitplanung vor Transplantationen, Hochdosis- oder adjuvantierte Impfstoffe prüfen
  • Impfzögerlichkeit → gezielte Patientenaufklärung über den nachgewiesenen Nutzen für Herz-Kreislauf-Gesundheit

 

Welche Punkte sind offengeblieben?

 

  • Unklare Evidenzlage für kardiovaskuläre Schutzwirkung weiterer Impfungen, z. B. Respiratorisches Synzytial-Virus (RSV), Humane Papillomviren (HPV)
  • Optimale Impfdosis (Standard vs. Hochdosis) und bestes Timing nach Myokardinfarkt noch nicht abschließend geklärt
  • Mechanismen der kardioprotektiven Effekte (über Infektionsvermeidung hinaus) müssen weiter erforscht werden

 

Ausblick: Welche Entwicklungen zum Thema zeichnen sich ab?

 

  • Kombinierte „Winter-Impfstoffe“ (z. B. Influenza + SARS-CoV-2 + RSV) zur Vereinfachung der Verabreichung
  • Weitere große randomisierte kontrollierte Studien (RCTs) zu RSV-, Herpes-zoster- und anderen Impfungen mit kardiovaskulären Endpunkten
  • Bessere Implementierungsstrategien (digitale Erinnerungen, Impferfassung in kardiologischen Registern)
  • Mechanistische Studien zu „trained immunity“ und antiinflammatorischen Effekten von Impfungen

Weiter zur vorgestellten Publikation:

Vaccination as a new form of cardiovascular prevention

Heidecker, B., Libby, P., Vassiliou, VS, et al. Vaccination as a new form of cardiovascular prevention: a European Society of Cardiology clinical consensus statement: With the contribution of the European Association of Preventive Cardiology (EAPC), the Association for Acute CardioVascular Care (ACVC), and the Heart Failure Association (HFA) of the ESC, European Heart Journal, 2025; ehaf384, https://doi.org/10.1093/eurheartj/ehaf384

Zur Person

Prof. Bettina Heidecker

Prof. Bettina Heidecker ist Professorin für Kardiomyopathien und Leiterin der Abteilung für Herzinsuffizienz und Kardiomyopathien am Deutschen Herzzentrum der Charité (DHZC). Ihre Forschungsschwerpunkte sind entzündliche Kardiomyopathien, Amyloidosen, Biomarker und personalisierte Medizin. Für ihre Arbeit erhielt sie zahlreiche internationale Auszeichnungen.

 

Prof. Bettina Heidecker
Bildquelle: Ronny Kretschmer / HKM

Kurzinfo: Die Formate der ESC-Publikationen

Die ESC Clinical Practice Guidelines geben die offizielle Position der ESC zu wichtigen Themen der Herz-Kreislauf-Medizin wieder. Sie basieren auf der Auswertung von wissenschaftlichen Publikationen und dem Konsens einer unabhängigen Expertengruppe. Die Dokumente enthalten standardisierte Empfehlungen für die klinische Praxis und geben den Grad der Evidenz an.

Die ESC Pocket Guidelines bieten eine kompakte, praxisorientierte Zusammenfassung der ausführlichen Leitlinien, einschließlich aller Empfehlungsklassen und Evidenzgrade.

Clinical Consensus Statements bieten Orientierung für das klinische Management zu Themen, die in bestehenden oder künftigen klinischen Leitlinien der ESC nicht oder nicht ausreichend abgedeckt werden, indem sie wissenschaftliche Erkenntnisse bewerten oder den Konsens von Expertinnen und Experten auf strukturierte Weise untersuchen.

Scientific Consensus Statements interpretieren wissenschaftliche Erkenntnisse und geben eine zusammenfassende Stellungnahme zu einem Thema ab, ohne konkrete Empfehlungen für die klinische Praxis zu geben.

Stellungnahmen umreißen und vermitteln die Position oder Richtlinien der ESC zu nichtmedizinischen Themen wie Bildung, Interessenvertretung und ethischen Überlegungen.

ESC Quality Indicators ermöglichen es Leistungserbringenden im Gesundheitswesen, valide und praktikable Messgrößen zu entwickeln, um die Qualität der kardiovaskulären Versorgung zu messen und zu verbessern sowie in einer bestimmten klinischen Situation Aspekte des Versorgungsprozesses zu beschreiben, deren Durchführung empfohlen (oder nicht empfohlen) wird.

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