COVID-19 kann zahlreiche Organe betreffen – aber begünstigt die Erkrankung auch kardiovaskuläre Ereignisse? Die bisher größte Analyse zum Thema, die jetzt in „The Lancet“ veröffentlicht wurde, spricht dafür.
COVID-19 kann zahlreiche Organe betreffen – aber begünstigt die Erkrankung auch kardiovaskuläre Ereignisse? Die bisher größte Analyse zum Thema, die jetzt in „The Lancet“ veröffentlicht wurde, spricht dafür.
Von Joana Schmidt
30.07.2021
Es ist bekannt, dass Infektionen vorübergehend das Herzinfarkt- und Schlaganfallrisiko erhöhen können. Frühere Studien deuten darauf hin, dass auch COVID-19 ein Risikofaktor für kardiovaskuläre Komplikationen sein könnte. Eine große schwedische Analyse fand jetzt weitere belastbare Hinweise für solch einen Zusammenhang.
Ein Forscherteam um Dr. Ioannis Katsoularis von der Umea Universität in Västerbotten wählte dafür zwei methodische Ansätze: eine selbstkontrollierte Fallserie (SCCS) und eine Kohortenstudie mit Kontrollpersonen. Alle schwedischen COVID-19-Fälle während der ersten sieben Monate der Pandemie wurden einbezogen, rund 87.000 Patienten, zudem mehr als 348.000 Kontrollen. Die Forscher ermittelten, welche Personen aufgrund von Herzinfarkten oder Schlaganfällen hospitalisiert werden mussten, um die Inzidenz dieser Ereignisse bei COVID-19-Patienten zu berechnen.
Für die SCCS-Analyse betrachteten die Mediziner jeweils den Monat vor und nach der SARS-CoV-2-Infektion eines Patienten, wobei die Ansteckung als Tag 0 und der folgende Monat als Risikoperiode definiert wurde. Der Zeitraum vor und nach diesen zwei Monaten diente als Kontrollperiode. Da Katsoularis und Kollegen an Tag 0 eine hohe Ereignisrate beobachteten, die zu Verzerrungen führen könnte, führten sie zwei Analysen durch, sodass Tag 0 einmal einbezogen wurde und einmal nicht.
In der SCCS-Analyse ohne Tag 0 mit einer Risikoperiode von Tag 1 bis 28 war die Inzidenz für einen Herzinfarkt in der ersten Woche nach einer COVID-19-Infektion fast um das Dreifache, in der zweiten Woche um das Zweieinhalbfache und in der dritten und vierten Woche um das 1,6-Fache erhöht. Wurde Tag 0 eingeschlossen, sodass die Risikoperiode bereits drei Tage vor der Infektion begann, war die Inzidenz für Herzinfarkte in der ersten Woche sogar um mehr als das Achtfache, in der zweiten jedoch ebenfalls um das Zweieinhalbfache und in der dritten und vierten Woche um das 1,6-Fache gesteigert.
Die entsprechende Inzidenz für ischämischen Schlaganfall war unter Ausschluss von Tag 0 in der ersten Woche nach der COVID-19-Infektion um das Dreifache, in der zweiten um knapp das Dreifache und in der dritten und vierten Woche um gut das Doppelte erhöht. Die Schlaganfallinzidenz mit Tag 0 war in der ersten Woche um mehr als das Sechsfache, in der zweiten um knapp das Dreifache und in der dritten und vierten Woche um mehr als das Doppelte gesteigert, verglichen mit der Kontrollperiode.
In der vergleichenden Analyse mit Kontrollpersonen ohne Tag 0 hatten die an COVID-19 erkrankten Patienten in den zwei Wochen nach der Infektion ein um das 3,4-Fache erhöhtes Risiko für einen Herzinfarkt, während es für einen Schlaganfall um das 3,6-Fache erhöht war. In derselben Analyse mit Tag 0 war ihr Risiko für einen Herzinfarkt im Vergleich zur Kontrollgruppe sogar um das 6,6-Fache und das Schlaganfallrisiko um das 6,7-Fache gesteigert.
„Unsere Ergebnisse legen nahe, dass COVID-19 ein unabhängiger Risikofaktor für Myokardinfarkt und ischämischen Schlaganfall ist. Das weist darauf hin, dass diese Ereignisse Teil des Krankheitsbildes von COVID-19 sind, und unterstreicht die Notwendigkeit einer Coronaimpfung“, so Katsoularis und sein Team.
Da weniger als 2,5% der COVID-19-Patienten innerhalb von zwei Tagen nach der Infektion Symptome entwickeln, sei es sehr wahrscheinlich, dass die Teilnehmer am Tag 0 tatsächlich vor ihrem Herzinfarkt oder Schlaganfall mit SARS-CoV-2 infiziert gewesen seien und dass die systemische Reaktion auf die Infektion das Ereignis ausgelöst habe, glauben die Forscher. Das Risiko für beide Ereignisse sei während der COVID-19-Infektion im Vergleich zur Kontrollperiode jedenfalls konsistent und signifikant erhöht gewesen, unabhängig davon, ob Tag 0 eingeschlossen worden sei.
Auch im Monat vor der Ansteckung mit COVID-19 war das Risiko für Myokardinfarkte und ischämische Schlaganfälle erhöht. Das sei den Forschern zufolge wahrscheinlich auf eine umgekehrte Kausalität zurückzuführen, so könnte ein kardiovaskuläres Ereignis zu eine Klinikaufnahme und dadurch zu einer nosokomialen SARS-CoV-2-Infektion geführt haben. „Dieses Ergebnis unterstreicht die Notwendigkeit, Patienten vor nosokomialem COVID-19 zu schützen“, betonen die Mediziner.
Warum Coronavirus-Infektionen das Risiko für kardiovaskuläre Erkrankungen erhöhen können, sei noch unklar, so Katsoularis und Kollegen. Denkbar seien pathophysiologische Mechanismen wie virale Pneumonien oder die Herunterregulierung von ACE2. Auch Vorhofflimmern als bekannter Schlaganfallrisikofaktor sei bei Patienten mit schwerem COVID-19 häufig.
Katsoularis I et al. Risk of acute myocardial infarction and ischaemic stroke following COVID-19 in Sweden: a self-controlled case series and matched cohort study. The Lancet 2021. https://doi.org/10.1016/ S0140-6736(21)00896-5