Die vorherige Trennung der Leitlinien zwischen STEMI (ST-Hebungs-Infarkt) und NSTEMI (Nicht-ST-Hebungs-Infarkt) wurde aufgehoben, so dass nun erstmals eine gemeinsame Leitlinie vorliegt.
Ibanez betonte, dass die Diagnose des ACS mehrere Stufen umfasst. Zunächst wird eine Arbeitsdiagnose auf der Grundlage der klinischen Präsentation erstellt. Die finale Diagnosestellung erfolgt jedoch erst später und basiert auf den Ergebnissen der weiteren Untersuchungen.
Der Algorithmus für die Behandlung von STEMI und NSTEMI-Patient:innen wurde ohne wesentliche Veränderungen von der Vorgängerversion übernommen. Die frühe Angiografie (innerhalb von 24 Stunden) bei NSTEMI mit hohem Risiko wurde allerdings von einer Klasse-I- zur Klasse-IIa-Empfehlung herabgestuft aufgrund der Ergebnisse einer aktuellen Meta-Analyse.2 Eine weitere Neuerung betrifft Patient:innen mit einem ambulanten Herzstillstand außerhalb des Krankenhauses, die keine unmittelbare Angiographie als Routineeingriff erhalten sollen und bei denen Hyperthermie oder Fieber vermieden werden soll.
Die neue Leitlinie gibt folgende Empfehlungen für die Antikoagulation:
- STEMI mit primärer PCI (perkutane Koronarintervention)
- Klasse-I: unfraktioniertes Heparin
- Klasse-IIa: Enoxaparin und Bivalirudin
- Klasse-III: Fondaparinux
- NSTEMI mit Angiografie < 24 Stunden
- Klasse-I: unfraktioniertes Heparin
- Klasse-II: Enoxaparin
- NSTEMI mit Angiografie < 24 Stunden
Die Vorbehandlung soll bei STEMI mit Aspirin (Klasse-I) oder mit P2Y12-Inhibitoren (Klasse-IIb) erfolgen. Die 12-monatige duale Thrombozytenaggregationshemmer-Therapie (DAPT) bestehend aus Aspirin und P2Y₁₂-Inhibitor bleibt weiterhin die Standardtherapie für alle Patient:innen nach der Angiografie. Nach 12 Monaten wird eine Aspirin-Monotherapie fortgeführt.
Inzwischen stehen zahlreiche neue Daten zu alternativen DAPT-Strategien zur Verfügung, um das Blutungsrisiko zu reduzieren. Einige neue Empfehlungen zur De-Eskalation und zur Verkürzung der DAPT-Strategie bei Patient:innen mit einem hohen Blutungsrisiko wurden implementiert. Diese Alternativen kommen jedoch nur für Patient:innen in Betracht, die zu jedem Zeitpunkt ereignisfrei geblieben sind.
Zum Management der ACS bei Mehrgefäßerkrankungen gibt es einen Algorithmus mit den drei Szenarien: kardiogener Schock, STEMI und NSTEMI. Weiterhin wurde der Algorithmus zum Management des Myokardinfarkts ohne obstruktive Koronarveränderungen (MINOCA) in die Leitlinien neu aufgenommen. Die lipidsenkende Therapie soll bereits während des Krankenhausaufenthalts intensiviert und nach der Entlassung langfristig begleitet werden. Als neue Komorbidität wurde zusätzlich die Entität der Tumorerkrankungen ergänzt neben den bisherigen Empfehlungen zu den Begleiterkrankungen Diabetes und chronische Nierenkrankheiten. Der Patienten-zentrierte Ansatz stellt grundsätzlich einen Eckpfeiler der ACS-Therapie dar, wobei die Patientenaufklärung einen wichtigen Stellenwert einnimmt.
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