Die hypertrophe Kardiomyopathie (HCM) tritt mit einer Prävalenz von ca. 1:500 in der Bevölkerung auf. Die HCM ist durch das Vorliegen einer maximalen linksventrikulären Wanddicke von mindestens 15 mm definiert, die nicht allein durch abnorme Belastungsbedingungen (Bluthochdruck und Aortenstenose) erklärt werden kann. Der klinische Verlauf und die Symptomatik der HCM sind hoch variabel.1
In den letzten 10 Jahren wurden ca. 1.200 Genvarianten beschrieben, die zur Entstehung der der HCM beitragen. In 40-50% der Fälle mit nachgewiesenen Gendefekten ist das MYBPC3-Gen betroffen, das somit die häufigste Ursache der erblich bedingten HCM darstellt. MYBPC3 kodiert für ein multimodulares Strukturprotein (cMyBP-C), das als Bestandteil des Sarkomers essenziell für die Aufrechterhaltung der Sarkomerstruktur und für die Regulierung der Kontraktion und Relaxation ist.2 Die Mehrheit der MYBPC3-assoziierten HCM-Mutationen ist heterozygot, und die Patienten haben häufig einen späten Krankheitsbeginn mit einem gutartigen Krankheitsverlauf. Die durchschnittliche Lebenserwartung der Betroffenen, die das junge Erwachsenenalter erreichen, unterscheidet sich kaum von der Normalbevölkerung. Allerdings kann es bei jungen Erwachsenen zum plötzlichen Herztod kommen, insbesondere bei Sportlern, oder zu einer schweren systolischen Dysfunktion oder zu Herzversagen.3
Eine biallelische Mutation des MYBPC3-Gens, die zu niedrigen cMyBP-C-Spiegeln oder zu gänzlich fehlendem cMyBP-C-Protein führt, ist durch einen sehr schweren HCM-Verlauf gekennzeichnet. Die von der MYBPC3-assoziierten Neugeborenen-Kardiomyopathie betroffenen Kinder entwickeln eine systolische Herzinsuffizienz und überleben kaum das erste Lebensjahr. Da es außer einer Herztransplantation bisher keine Behandlungsmöglichkeiten gibt, wurde das Forschungsprojekt zur Entwicklung einer MYBPC3-Gentherapie durch Lucie Carrier ins Leben gerufen.3,4
Die Gentherapie wurde in homozygoten Mäusen mit MYBPC3-Gendefekt durchgeführt. Die Tiere hatten in beiden Allelen eine beim Menschen häufig vorkommende Punktmutation für das MYBPC3-Gen, die zu einem weitgehenden Fehlen des Proteins führt. Das intakte MYBPC3-Gen wurde in einen rekombinanten Adenoviren-assoziierten Vektor Serotyp 9 (AAV9) verpackt. Tatsächlich reichte bei den neugeborenen Mäusen mit Gendefekt eine einzige systemische Verabreichung des AAV9-MYBPC3-Virus an Tag 1 nach der Geburt aus, um die Entwicklung von Herzhypertrophie und -dysfunktion zu verhindern. Während des Beobachtungszeitraums über 34 Wochen produzierten die Herzmuskelzellen rund zwei Drittel des korrekten cMyBP-C-Proteins, während es ohne die Behandlung nur etwa 10 % waren.3
Vor dem Beginn des klinischen Studienprogramms sollte die Gentherapie in einem nächsten Schritt zunächst in einem größeren Tiermodell erprobt werden. Analog zum Mausmodell wurden dafür homozygote Schweine mit MYBPC3-Gendefekt benötigt. Diese Entwicklungsstufe wurde allerdings frühzeitig abgebrochen, nachdem 2 Schwangerschaften keine Lebendgeburten ergaben.4 Trotz des fehlenden Nachweises im Großtiermodell wurde die MYBPC3-Gentherapie unter der Beteiligung der beiden Firmen DiNAQOR und BioMarin weiterentwickelt.5
Mit der MyPeak-1-Studie wurde inzwischen die erste klinische Studie zur Gentherapie der MYBPC3-assoziierten hypertrophen Kardiomyopathie mit dem AAV-basierten Wirkstoff TN-201 an der Cleveland Clinic, Ohio, begonnen. Bei der MyPeak-1-Studie handelt sich um eine multizentrische, offene, dosiseskalierende Studie zur Bewertung der Sicherheit, Verträglichkeit und klinischen Wirksamkeit einer einmaligen intravenösen Infusion von TN-201.6
In die Studie sollen zunächst 6 symptomatische Erwachsene aufgenommen werden, bei denen eine MYBPC3-assoziierte HCM diagnostiziert wurde und die einen implantierbaren Kardioverter-Defibrillator haben. Wie der Sponsor der Studie, Tenaya Therapeutics, bekanntgab, wurde der erste Patient bereits mit der Gentherapie TN-201 behandelt. Die ersten Daten der Studie werden im Jahr 2024 erwartet.7