Relevante Blutungen als Folge einer antithrombozytären Therapie können, insbesondere bei kurzfristig erforderlichen Operationen, ein großes Problem darstellen. Nun ist die Antagonisierung von Ticagrelor durch Bentracimab möglich.
Die Kombinationstherapie aus ASS und Ticagrelor stellt eine der möglichen Kombinationen in der antithrombozytären Therapie nach akutem Koronarsyndrom dar. Ticagrelor wird schnell intestinal resorbiert und bindet reversibel an den ADP-P2Y12-Rezeptor des Thrombozyten. Dies führt zu einer Konformitätsänderung, sodass ADP nicht mehr den Thrombozyten aktivieren kann. Es kann davon ausgegangen werden, dass die Thrombozytenfunktion 4 - 5 Tage nach Absetzen von Ticagrelor soweit wieder erholt ist, dass Operationen möglich sind. Bei akuten Blutungen oder dringenden Operationen kommt somit derzeit nur die Gabe von Thrombozytenkonzentraten in Frage, obwohl deren Effekt fraglich ist.
Bentracimab ist ein rekombinanter monoklonaler Antikörper, der an freies Ticagrelor mit hoher Affinität und Spezifität bindet. Während nun der Komplex aus Bentracimab und Ticagrelor eliminiert wird, kann ADP den Thrombozyten wieder aktivieren.
In der multizentrischen prospektiven Phase-3-Studie REVERSE-IT wurde basierend auf Phase-1-Daten2 untersucht, inwieweit Bentracimab das bereits gegebene Ticagrelor sicher hemmen kann. Eingeschlossen wurden 226 Patientinnen und Patienten, die unter bedrohlichen Blutungen litten oder eine dringend erforderliche Operation vor sich hatten.Ticagrelor musste bei Studieneinschluss über die vorherigen 3 Tage gegeben worden sein.
Die häufigste Operationsindikation war eine koronare Bypass-Operation in 78,7 %. Im Mittel waren die Patientinnen und Patienten 65 Jahre alt, 79 % waren männlich, 76 % waren Weiße. Der primäre Endpunkt mit signifikant erholter Thrombozytenfunktion wurde erreicht. Eine normalisierte Funktion bestand in 80,5 % nach 5-10 Minuten und in 91,2 % 30 Minuten nach Start des Bentracimab. Der sekundäre Endpunkt betraf die Hämostase, die effektiv war bei 94,3 % aller Patientinnen und Patienten, 100 % der operierten und 83,1 % der aktiv blutenden Patientinnen und Patienten.
Unerwünschte Ereignisse wurden bei 31,9 % der Fälle beobachtet, darunter 3,7 % thrombotische Ereignisse, 2,6 % davon nach 5 Tagen, somit nicht Therapie-assoziiert. Allergien wurden nicht beobachtet. Der Vorteil der Antagonisierung durch Bentracimab war für alle Subgruppen signifikant. Allein bei Nicht-Weißen, die allerdings zahlenmäßig stark unterrepräsentiert waren, war der Effekt der Hämostase nicht eindeutig.
Die Studie hatte Limitationen, nämlich das Fehlen einer Placebo-Gruppe, was nach Ansicht der Autoren ethisch nicht vertretbar gewesen wäre, und die relativ kleine Studienkohorte, die aber dennoch statistisch signifikante Ergebnisse zuließ.
Insgesamt steht somit nun ein monoklonaler Antikörper zur Verfügung, der zu einer effektiven Hemmung der Ticagrelorwirkung führt und somit mit guter Sicherheit notwendige Operationen zuläßt und bei Blutungsereignissen zu einer Stabilisierung führt. Nach Ansicht der Studienautoren und -autorinnen stellt Bentracimab eine wirkungsvolle Option zur Hemmung der Ticagrelorwirkung dar und führt damit zu einer signifikanten Reduktion von Blutungsereignissen im Falle einer notfallmäßigen Operation. Die Zulassung des Medikamentes wird nun angestrebt.