Neun Hot-Line-Sitzungen zeigen beim diesjährigen ESC-Kongress die Ergebnisse aus 30 erstmals präsentierten Studien im Bereich der Herz-Kreislauf-Medizin. Insgesamt wurden 3752 Abstracts eingereicht, 315 davon kamen aus Deutschland. Nur die USA hatte mit 344 Abstracts mehr Einreichungen. Mit großem Interesse werden zudem die Präsentationen von fünf ESC Clinical Practice Guidelines erwartet.
ESC-Präsident Prof. Franz Weidinger stellte in der Eröffnungspressekonferenz die ESC-Strategie für 2023 bis 2028 vor: „Kardiovaskuläre Ereignisse sind weltweit mit ca. 18 Mio. Todesfällen pro Jahr nach wie vor die häufigste Todesursache“. Auf dem Kongress sollen neue umfassende Daten von der ESC und der Oxford-Universität zur "Burden of Disease" vorgestellt werden, die die Notwendigkeit von Gesundheitsplänen im Bereich der kardiovaskulären Erkrankungen auf nationaler und europäischer Ebene unterstreichen.
In den kommenden Tagen berichten die Rubrikenherausgeber:innen und die Redaktion von Herzmedizin.de sowie freie Fachautor:innen vom ESC mit Video-Interviews aus Amsterdam und Textbeiträgen aus dem Fachkreis der Kardiologie.
ESC-Leitlinien-Updates
Gleich zu Beginn des Kongresses werden die neuen und aktualisierten ESC Clinical Practice Guidelines veröffentlicht. Präsentiert und auf Herzmedizin.de kommentiert werden u. a. die erste internationale Leitlinie, die alle Subtypen der Kardiomyopathie abdeckt, sowie Empfehlungen zur Behandlung von Herz-Kreislauf-Erkrankungen bei Patient:innen mit Diabetes und eine gezielte Aktualisierung der Herzinsuffizienz-Leitlinien 2021.
Letztere wäre durch den parallelen Start von zwei großen Studien bereits am Tag ihrer Veröffentlichung veraltet gewesen, so Prof. John McMurray, Vorsitzender des Programmausschusses des ESC-Kongresses, bei der heutigen Eröffnungspressekonferenz. Durch die Aktualisierung berücksichtige die Leitlinie neue Erkenntnisse zur Behandlung von Patient:innen mit HFpEF oder Herzinsuffizienz mit leicht reduzierter Ejektionsfraktion.
Ausgewählte Studien im Überblick
Verbessert Semaglutid die Herzinsuffizienz-Symptomatik?
Die meisten Herzinsuffizienz-Betroffenen mit erhaltener Ejektionsfraktion (HFpEF) weisen einen adipösen Phänotyp auf. Es gibt jedoch keine spezifische Therapie für diese Kombination. Die STEP-HFpEF-Studie untersucht, ob der GLP-1-Rezeptor-Agonist Semaglutid bei dieser Patientengruppe nicht nur zur Gewichtsreduktion beiträgt, sondern auch zur Verbesserung der Herzinsuffizienz-Symptome.
Wie nützlich Antikoagulation bei AHRE ist
Die NOAH-AFNET-6-Studie prüfte die orale Antikoagulation bei Patient:innen mit atrialen Hochfrequenzepisoden (AHRE). Es ist bekannt, dass lang anhaltendes Vorhofflimmern zu einem hohen Schlaganfallrisiko führt, welches durch die Behandlung mit Antikoagulantien effektiv und sicher reduziert werden kann. Doch gilt das auch bei AHRE? Beim ESC werden robuste Daten vorgelegt, die zeigen, warum die Studie 2022 frühzeitig abgebrochen wurde.
Das Potenzial von intravenösem Eisen bei HFrEF
Eisenmangel kommt bei Patient:innen mit Herzinsuffizienz und reduzierter Ejektionsfraktion (HFrEF) häufig vor. Die Therapie mit intravenösem Eisen scheint die Symptome und die Belastungstoleranz zu verbessern. HEART-FID ist mit Abstand die bisher größte Studie, die diese Behandlung analysiert. Es werden sich klare Schlussfolgerungen über die Rolle dieser Therapie bei HFrEF erhofft.
ECMO vs. no ECMO
Bei infarktbedingtem kardiogenem Schock wird zunehmend ein „Extracorporeal Life Support“ (ECLS) durch venoarterielle extrakorporale Membranoxygenierung (VA-ECMO) eingesetzt. Bislang fehlen jedoch große, randomisierte Studien zum klinischen Nutzen. Insbesondere in Bezug auf den Sterblichkeitsvorteil werden die Ergebnisse der ECLS-SHOCK-Studie mit Spannung erwartet.
Besser OCT oder Angiographie bei PCI?
Die ILUMIEN-IV-Studie stellt die Frage nach dem optimalen Ansatz in der kardialen Bildgebung bei perkutaner Koronarintervention (PCI). Untersucht wurde die Überlegenheit einer durch optische Kohärenztomographie (OCT) gesteuerten Stentimplantationsstrategie im Vergleich zu einer angiographiegesteuerten Stentimplantationsstrategie.
Umstritten: Vorgehen zur vollständigen Revaskularisierung
Ob eine sofortige vollständige Revaskularisierung einer stufenweisen vollständigen Revaskularisierung bei stabilen Patient:innen mit ST-Streckenhebung (STEMI) und Mehrgefäßerkrankung / “Multi-Vessel Disease” (MVD) unterlegen ist, untersucht die MULTISTARS-AMI-Studie.
Vorhofflimmern-Ablation bei terminaler Herzinsuffizienz sinnvoll?
Die rechtzeitige Versorgung mit einem linksventrikulären Hilfssystem (LVAD) beziehungsweise einem Spenderherz spielt bei Herzinsuffizienz im Endstadium eine zentrale Rolle. Die CASTLE-HTx-Studie prüft, ob die Ablation von Vorhofflimmern die Mortalität und Morbidität während der Wartezeit für eine Transplantation (HTx) beeinflusst und die Zeit bis zur LVAD-Implantation verlängern kann.
Frühzeitige Einleitung von Dapagliflozin bei akuter Herzinsuffizienz
Die DICTATE-AHF-Studie untersucht die Wirksamkeit und Sicherheit von Dapagliflozin bei akuter Herzinsuffizienz. Das Ziel besteht darin, die Wirksamkeit und Sicherheit des Behandlungsbeginns mit Dapagliflozin innerhalb der ersten 24 Stunden nach dem Krankenhausaufenthalt bei Patient:innen mit Acute Heart Failure (AHF) im Vergleich zur üblichen Behandlung zu bewerten.
Weitere Highlights
Neben den Hot-Lines werden unter anderem die wichtigsten Informationen aus der Late-Breaking-Session am 25. August zum Register für Herzklappenerkrankungen (Registries on valvular Heart Disease) zusammengefasst und kommentiert sowie die neuesten Erkenntnisse aus unterschiedlichen ePoster-Präsentationen der vier Tage auf Herzmedizin.de vorgestellt.
Ein umfassendes Update im Anschluss an den ESC-Kongress erhalten Sie nach dem Kongress außerdem am 30. August 2023 beim “Leipziger Kardiologengespräch” mit Prof. Ulrich Laufs und Prof. Holger Thiele. Hier finden Sie weitere Informationen zum Hybrid-Event.