Einwilligungsbogen für Ibuprofen? – Medikamenten-Aufklärung richtig gemacht

 

Die Medikamentenaufklärung ist ein zentraler Bestandteil der ärztlichen Aufklärungspflicht. Dabei ist über Nutzen, Risiken und mögliche Alternativen zu informieren. Rechtsanwalt Christian Koller erläutert praxisnah, welche Form und welche Inhalte eine ordnungsgemäße Aufklärung erfordert, was dokumentiert werden sollte und wie mit Eintrittswahrscheinlichkeiten und Off-Label-Use umzugehen ist.

Von:

Christian Koller

Fachanwalt für Medizinrecht

TACKE KOLLER

 

02.12.2025

 

Bildquelle (Bild oben): Stock Studio 4477 / Shutterstock.com

Der ärztliche Heileingriff stellt in juristischer Hinsicht bekanntlich eine Körperverletzung im Sinne des § 223 Strafgesetzbuch (StGB) dar. Verordnet nun eine Ärztin oder ein Arzt ein Medikament, steht sogar eine Form der gefährlichen Körperverletzung gemäß § 224 Abs. 1 Nr. 1 StGB im Raum, nämlich die „Beibringung von Gift oder anderen gesundheitsschädlichen Stoffen“. Um der Strafbarkeit entgegenzutreten, müssen die Patientinnen und Patienten in die Medikamentengabe einwilligen. Dies wiederum bedeutet, dass Ärztinnen und Ärzte vor der Verabreichung eines Medikaments die Betroffenen aufklären müssen, was zu folgenden praktischen Fragen führt:

 

  • Muss vor jeder Medikamentengabe ein schriftlicher Einwilligungsbogen, wie man ihn bei Operationen kennt, durchgegangen und von beiden Parteien unterschrieben werden?
  • In welcher Intensität sind die Patientinnen und Patienten aufzuklären, wenn sie beispielsweise ein herkömmliches Schmerzmittel erhalten, von dem man ausgeht, dass jede Person die Nebenwirkungen kennt?
  • Wie exakt müssen Häufigkeiten oder gar Studienergebnisse dargelegt werden?
  • Reicht der Hinweis auf den Beipackzettel aus?
  • Was ist im Rahmen des Off-Label-Use zu beachten?

Cyclosa-Entscheidung des BGH

 

Wegweisend für die Medikamentenaufklärung ist das Urteil des Bundesgerichtshofs (BGH) vom 15. März 2005 - Az. VI ZR 289/03, welches unter dem Begriff „Cyclosa“-Entscheidung bekannt wurde. Dem Richterspruch lag der Sachverhalt zugrunde, dass eine Gynäkologin der Klägerin, einer Raucherin, das Antikonzeptionsmittel Cyclosa zur Behandlung von Menstruationsbeschwerden verordnete. Die Klägerin äußerte Bedenken, da sie hormonelle Präparate in der Vergangenheit nicht gut vertragen hatte. Die Ärztin versicherte ihr, Cyclosa sei das modernste Mittel und alternativlos. Hingegen klärte sie die Patientin nicht über die Kontraindikation mit Nikotin auf. Die Packungsbeilage enthielt einen Warnhinweis: Raucherinnen über 30 Jahren hätten ein erhöhtes Risiko für Gefäßveränderungen wie Herzinfarkt oder Schlaganfall. Etwa zwei Monate nach Beginn der Einnahme erlitt die Klägerin einen Hirninfarkt, der auf die Wechselwirkung zwischen Cyclosa und Nikotin zurückgeführt wurde.

Entscheidung des BGH

 

Der BGH stellte mit seiner Entscheidung folgende Rechtsgrundsätze auf:

 

  • Allein der Warnhinweis in der Packungsbeilage reicht nicht aus.
  • Die Ärztin hätte die Klägerin persönlich und ausdrücklich über die Risiken aufklären müssen, insbesondere über die schwerwiegenden Folgen wie Schlaganfall.
  • Die Aufklärung muss so erfolgen, dass die Patientinnen und Patienten eine informierte Entscheidung treffen können – etwa ob sie das Medikament einnehmen und das Rauchen aufgeben oder auf die Einnahme verzichten.
  • Die ärztliche Aufklärungspflicht besteht unabhängig davon, wie häufig das Risiko eintritt – entscheidend ist die Schwere der möglichen Komplikation und deren Einfluss auf die Lebensführung.

 

Aus der Entscheidung sind folgende Konsequenzen für verordnende Ärztinnen und Ärzte abzuleiten:

Medikamentenaufklärung

Form der Aufklärung

 

Zunächst ist festzuhalten, dass mit den Patientinnen und Patienten vor der Verordnung immer ein persönliches Gespräch geführt werden muss. Dies ergibt sich bereits aus § 630e Abs. 2 Nr. 1 BGB, wonach die Aufklärung mündlich erfolgen muss.


Damit reicht der der alleinige Verweis auf den Beipackzettel nicht aus, zumal die Betroffenen diesen erst dann erhalten, wenn sie sich bereits für das Medikament entschieden und es nach Einreichung eines Rezepts in der Apotheke erhalten haben.


Auch die alleinige Mitgabe eines standardisierten Aufklärungsbogens, wie es früher bei Routineimpfungen noch zulässig war, wird mittlerweile aufgrund der oben zitierten Regelung des § 630e BGB als nicht mehr ausreichend angesehen. Das mündliche Gespräch ist also geboten.

Inhalt der Aufklärung

 

Es ist natürlich nicht erforderlich, dass die Ärztinnen und Ärzte mit den Betroffenen den Inhalt des Beipackzettels durchgehen und jede dort aufgelistete Nebenwirkung erläutern. Der Bundesgerichtshof fordert von den Ärztinnen und Ärzten, dass sie die eingriffsspezifischen Nebenwirkungen eines Präparats mit den Patientinnen und Patienten besprechen: 

Eingriffsspezifische Risiken Abb.: Eingriffsspezifische Risiken (Bildquelle: Christian Koller / TACKE KOLLER)

Erläuterungsbedürftig sind alle Risiken, die (1.) typischerweise bei einem Eingriff auftreten können, soweit (2.) ihr Eintritt für die Patientinnen und Patienten überraschend und besonders belastend für ihre private Lebensführung ist.


Nicht darunter fallen hingegen Nebenwirkungen, die (noch) nicht gesichert mit der Einnahme des Medikaments in Zusammenhang stehen. Für die Einnahme von SGLT-2-Hemmern bedeutet dies beispielsweise, dass über das Auftreten einer Fournier-Gangrän nicht aufgeklärt werden muss. Zwar gibt es einen Rote-Hand-Brief, der über wenige Einzelfälle berichtet. Nachdem aber derzeit die Studienlage noch keinen gesicherten Zusammenhang beschreibt, kann man noch nicht davon sprechen, dass das Risiko „typischerweise“ auftritt.


Des Weiteren muss der Risikoeintritt für die Patientinnen und Patienten überraschend und besonders belastend sein. Bleibt man bei dem Beispiel der SGLT-2-Hemmer, so mag das vermehrte Wasserlassen für eine LKW-Fahrerin ein belastender Umstand sein; für einen Büroangestellten hingegen nicht, zumal dieser Zustand durch Absetzen des Medikaments umgehend beendet werden kann.


Hingegen ist es unerheblich, wie häufig ein Risiko eintritt. Auch ein extrem seltenes Risiko ist aufklärungspflichtig, wenn es die oben bezeichneten Voraussetzungen erfüllt. So wird beispielsweise das Risiko, unter Novalgin eine Agranulozytose zu entwickeln, als sehr selten eingestuft (bis zu 1 von 10.000 Personen). Da der Eintritt jedoch für die Betroffenen äußerst belastend ist, muss zwingend hierüber aufgeklärt werden, insbesondere bei einer längeren Einnahme oder gar bei einer bekannten Metamizolunverträglichkeit.

Praxistipp

 

Nachdem jede Ärztin und jeder Arzt bestimmte Arzneimittel besonders häufig verordnet, empfiehlt es sich bei diesen arztindividuellen „Blockbustern“ zu überlegen, über welche Risiken man grundsätzlich mit den Patientinnen und Patienten sprechen sollte. Soweit ein QM-Handbuch geführt wird, könnte man in diesem die entsprechenden wichtigsten Nebenwirkungen niederlegen.

Eintrittswahrscheinlichkeit


Um Betroffene im Rahmen eines Aufklärungsgesprächs von einer notwendigen Therapie nicht abzuschrecken, sollte man auch über die Eintrittswahrscheinlichkeit von Risiken sprechen. Dabei war es lange Zeit umstritten, ob sich Ärztinnen und Ärzte dabei an den in Beipackzetteln für Medikamente verwendeten Häufigkeitsdefinitionen des Medical Dictionary for Regulatory Activities (MedDRA) zu orientieren haben. Diese sind wie folgt definiert:

 

  • sehr selten:      <0,01 %
  • selten:                 0,01 – 0,1 %
  • gelegentlich:      0,1 – 1 %
  • häufig:                1 – 10 %
  • sehr häufig:   >10 %
  • extrem selten, äußerst selten: nicht definiert

 

Legt man diese Definitionen zugrunde, dürften Ärztinnen und Ärzte ein Risiko mit dem Begriff „gelegentlich“ nur dann umschreiben, wenn die Nebenwirkung bei 1–10 von 1.000 Behandelten (0,1 – 1%) auftreten würde. Wäre das Risiko jedoch höher, würde man eine fehlerhafte Aufklärung vorwerfen können. Dem hat der BGH in seinem Urteil vom 29. Januar 2019 – AZ.: VI ZR 117/18 eine Absage erteilt. Patientinnen und Patienten müssen „im Großen und Ganzen“ über Chancen und Risiken der Behandlung aufgeklärt werden. Dabei ist es nicht erforderlich, der Person genaue oder annähernd genaue Prozentzahlen über die Möglichkeit der Verwirklichung eines Behandlungsrisikos mitzuteilen. Zwar gab der BGH dem Patienten Recht, dass ein Arzt durch die unzutreffende Darstellung der Risikohöhe ein verhältnismäßig häufig auftretendes Risiko verharmlosen könne. Der Arzt müsse sich aber nicht an die für Medikamente gebräuchlichen Häufigkeitsdefinitionen des MedDRA orientieren.


In erster Linie muss darauf geachtet werden, dass die Aufklärung für die Patientinnen und Patienten sprachlich und inhaltlich verständlich ist. Danach umfasste der von dem Arzt verwendete Begriff „gelegentlich“ auch eine Komplikationsrate von 8,71 %.


Der BGH bezog sich in diesem Zusammenhang auch auf eine Studie, welche im Deutschen Ärzteblatt veröffentlicht wurde (vgl. DÄBl. 2013, 669). Die Erhebung mit dem Titel „Verständnis von Nebenwirkungen im Beipackzettel“, hatte ergeben, dass selbst Pharmazeutinnen und Pharmazeuten sowie Ärztinnen und Ärzte in einem Arzt-Patienten-Gespräch unter „gelegentlich“ i. d. R. eine Wahrscheinlichkeit von ≤10 % verstehen.

Off-Label-Use-Verordnungen 

 

Ein Off-Label-Use eines Medikaments ist zulässig, wenn er unter sorgfältiger Abwägung der Vor- und Nachteile des nicht zugelassenen Medikaments im Vergleich zu den zugelassenen Substanzen vertretbar ist und medizinisch-sachlich begründet erscheint. Die Patientinnen und Patienten sind dabei besonders sorgfältig aufzuklären. Das betrifft nicht nur mögliche wirtschaftliche Aspekte, wie die Kostenerstattung im GKV-Bereich, sondern auch die Risikoaufklärung. Die Betroffenen müssen darauf hingewiesen werden, dass es sich um einen Medikamenteneinsatz mit möglicherweise noch unbekannten Nebenwirkungen handelt, so das OLG Hamm in seinem Urteil vom 31. Januar 2020 – I-26 U 47/19. Dies ist erforderlich, um den Patientinnen und Patienten in die Lage zu versetzen, für sich sorgfältig abzuwägen, ob sie sich nach der herkömmlichen Methode mit bekannten Risiken behandeln lassen möchten oder nach der nicht zugelassenen Methode unter besonderer Berücksichtigung der in Aussicht gestellten Vorteile und der noch nicht in jeder Hinsicht bekannten Gefahren. Es muss den Patientinnen und Patienten die Möglichkeit eröffnet werden, sich über die Gründe für die Nichtzulassung des Medikaments in Deutschland zu informieren und in ihre Entscheidungsfindung einzubeziehen. Für die Patientinnen und Patienten ist es nicht offensichtlich, ob das Fehlen einer arzneimittelrechtlichen Zulassung beispielsweise wirtschaftliche oder medizinische Gründe hat.

Dokumentation der Aufklärung

 

An dieser Stelle ist auf die hohe Bedeutung der Dokumentation hinzuweisen. Für die Risikoaufklärung tragen die Ärztinnen und Ärzte die Beweislast. Dabei hilft ihnen ihre Patientendokumentation. Ergibt sich aus dieser, dass ein Aufklärungsgespräch stattgefunden hat, so gelingen den Ärztinnen und Ärzten in einem Gerichtsprozess in der Regel der Nachweis des Aufklärungsgesprächs.


Somit stellt sich die Frage, wie ein Aufklärungsgespräch rechtssicher dokumentiert werden kann. Dabei kann von den einzelnen Ärztinnen und Ärzten nicht verlangt werden, dass sie für jedes Medikament, dass sie verordnen, einen Aufklärungsbogen verwenden (auch wenn dies für einige Arzneimittel sicherlich sinnvoll ist). Wie bereits dargelegt, muss die Aufklärung gemäß § 630e Abs. 2 Nr. 1 BGB mündlich erfolgen. Hingegen ist die Schriftform gerade nicht vorgesehen. Auf der anderen Seite schreibt § 630f Abs. 2 BGB vor, dass die Aufklärung zu dokumentieren ist.


Hieraus folgt der Merksatz, dass die Ärztinnen und Ärzte vor allem im Rahmen der Medikamententherapie dokumentieren müssen, 
nicht was sie mit den Patientinnen und Patienten, sondern dass sie mit ihnen gesprochen haben.


Damit ist ein kurzer Eintrag in der Patientendokumentation ausreichend, um das stattgefundene Gespräch zu dokumentieren. Es müssen also nicht die einzelnen Nebenwirkungen und Risiken, die die Ärztinnen und Ärzte mündlich erläutert haben, nochmals niedergelegt werden. Das Kürzel „Aufklärung Medikament“ oder ähnliches würde also genügen.


Zwar reicht in einem Gerichtsprozess die Dokumentation alleine noch nicht aus, um die korrekte Aufklärung nachzuweisen. Die Gerichte sind vielmehr verpflichtet, die aufklärenden Ärztinnen und Ärzten immer persönlich anzuhören, sei es als Zeuginnen bzw. Zeugen oder als beklagte Partei. Die Patientendokumentation hat jedoch eine starke Indizwirkung. Selbst wenn sich die aufklärenden Ärztinnen und Ärzte also nicht mehr an das konkrete Gespräche erinnern können, so werden sie immer darlegen können, wie sie üblicherweise über bestimmte Medikamente aufklären. Mit einem zusätzlichen Eintrag in der Patientendokumentation wird das Gericht den Ärztinnen und Ärzten dann auch im Einzelfall Glauben schenken, dass sie mit der Klägerin oder dem Kläger das Gespräch mit genau diesem Inhalt geführt haben.

Dokumentation der Aufklärung Abb.: Dokumentation der Aufklärung (Bildquelle: Christian Koller / TACKE KOLLER)

Zusammenfassung 

 

Zusammengefasst sind vor jeder Erstverordnung eines Medikaments folgende Punkte zu beachten:

 

  • Auch vor einer Medikamentenverordnung müssen Ärztinnen und Ärzte die Patientinnen und Patienten aufklären.
  • Entscheidend ist das mündliche Gespräch.
  • Inhaltlich sind die eingriffsspezifischen Risiken aufzuklären, die bei ihrem Eintritt für die Betroffenen besonders belastend sind.
  • Im Falle eines Off-Label-Use muss auf die Möglichkeit unbekannter Risiken hingewiesen werden.
  • Es ist zu dokumentieren, dass mit den Patientinnen und Patienten gesprochen, nicht zwingend was mit ihnen besprochen wurde.

 

Wenn diese Vorgaben eingehalten werden, können sich Ärztinnen und Ärzte gegen den Vorwurf der gefährlichen Körperverletzung erfolgreich verteidigen.

Zum Autor

Christian Koller

Christian Koller ist Fachanwalt für Medizinrecht und Lehrbeauftragter der Technischen Universität München (TUM). Sein Fokus liegt insbesondere auf Medizinischen Versorgungszentren, Arzthaftungsrecht, Arztstrafrecht und Risk Management. Seit 2009 ist er als Rechtsanwalt bei TACKE KOLLER tätig.

Bildquelle: Ronny Kretschmer / HKM

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