Aufklärung und Einwilligung aus strafrechtlicher Perspektive

 

Die ärztliche Aufklärungspflicht sieht eine umfassende Unterrichtung der Betroffenen über Diagnose, Behandlungsoptionen und mögliche Komplikationen vor, um das Recht auf Selbstbestimmung zu gewährleisten. Der Rubrikleiter Medizin & Recht, Prof. Michael Lindemann, und Jan Bauerkamp (Universität Bielefeld) beleuchten die zentralen Aspekte rund um Aufklärung und Patienteneinwilligung.

 

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Von:

Prof. Michael Lindemann & Jan Bauerkamp

Fakultät für Rechtswissenschaft, Universität Bielefeld

 

23.09.2025

 

Bildquelle (Bild oben): Stock Studio 4477 / Shutterstock.com

Den ärztlichen Heileingriff umgibt aus (straf-)rechtlicher Perspektive ein für die ärztliche Praxis zumindest nicht unproblematisches Spannungsfeld:

 

  • Einerseits sind die behandelnden Ärztinnen und Ärzte im Rahmen ihrer Tätigkeit verpflichtet, Patientinnen und Patienten zur Beseitigung vorhandener wie zur Abwendung drohender Schäden an Leib und Leben zu behandeln – die Vernachlässigung dieser Pflicht kann ggf. strafrechtliche Konsequenzen in Form einer Unterlassungsstrafbarkeit nach sich ziehen.
  • Andererseits ist der geforderte Heileingriff ein Eingriff in die körperliche Integrität der behandelten Person, der nur dann keine (straf-)rechtlichen Konsequenzen zeitigt, wenn die Person nach sachgerechter Aufklärung wirksam in die Behandlung eingewilligt hat. Fehlt eine solche wirksame Einwilligung – etwa infolge fehlerhafter Aufklärung oder schlicht fehlender Einwilligungserklärung –, obwohl sie der Person im Einzelfall (mangels Bewusstlosigkeit, etc.) möglich gewesen wäre, droht eine Verurteilung wegen (vorsätzlicher oder fahrlässiger) Körperverletzung (§§ 223 ff., 229 StGB) auch dort, wo der Heileingriff als solcher der lex artis entsprach.

 

Dass dies weder inkonsequent noch falsch ist, welcher Sinn der Einwilligung im strafrechtlichen Gesamtgefüge zukommt und unter welchen Voraussetzungen ein Aufklärungsmangel im Einzelfall unbeachtlich sein kann, wird klar, wenn man sich dem Thema einmal grundsätzlicher und nicht primär über die in der Praxis in großer Zahl zum Einsatz gelangenden Aufklärungsbögen nähert.

Heilen um jeden Preis? Die Rolle der Selbstbestimmung

 

Mag die Patientenaufklärung auch als bisweilen lästige, weil zeitraubende, Unterbrechung des stressigen Praxis- bzw. Behandlungsalltages empfunden werden, ist sie vor dem rechtlichen Konzept des Schutzes der körperlichen Integrität im verfassungsrechtlichen wie strafrechtlichen Gesamtgefüge doch von zentraler Bedeutung. Denn: Die grundlegende Einsicht liegt darin, dass die Gesundheit einer behandelten Person nicht absolut und von deren Willen unabhängig geschützt wird. Vielmehr korrespondiert mit dem Schutz der körperlichen Unversehrtheit das Selbstbestimmungsrecht der betroffenen Person über ihr körperliches Wohl.

Dies ist nicht zuletzt Ausfluss des Menschenbildes, das unserem Grundgesetz zugrunde liegt: Dieses sieht den Menschen als selbstbestimmtes, eigenverantwortliches Wesen, das über seine eigenen Belange im Rahmen der Rechtsordnung bestimmt. Die Gesundheit ist somit nicht als abstrakter Wert geschützt, sondern der Bestimmung und Verfügung der autonom handelnden Person unterworfen. Über die Strafbarkeit des mit einem Heileingriff verbundenen Verhaltens entscheidet nicht allein, ob der Eingriff lege artis durchgeführt wurde, sondern in letzter Konsequenz, ob Betroffene den hiermit verbundenen Beeinträchtigungen zugestimmt haben.

Konsequent zu Ende gedacht, ergibt sich hieraus auch die Notwendigkeit der ärztlichen Aufklärung: Die behandelte Person ist regelmäßig nicht in der Lage, die Tragweite, Risiken und Gefahren, aber auch den Nutzen des ärztlichen Heileingriffes ohne aufklärende Hilfe des Behandlungspersonals einzusehen. Laien können in der Regel nichts mit komplexeren medizinischen Diagnosen anfangen und schon gar nicht die hiermit verbundenen Risiken wie Therapiemöglichkeiten (und vor allem deren Risiken und Tragweite) sachgerecht abschätzen. Dieses Wissensdefizit können die behandelnden Ärztinnen und Ärzte – als diejenigen, die den rechtfertigungsbedürftigen Eingriff durchführen wollen – durch hinreichende Kontextualisierung und Erklärungen ohne Weiteres auflösen und die Betroffenen so in die Lage versetzen, ihr Selbstbestimmungsrecht kompetent auszuüben.


Insoweit ist die ärztliche Aufklärungspflicht Konsequenz eines richtig verstandenen Verhältnisses des Schutzes von Gesundheit wie Selbstbestimmungsrecht der Patientinnen und Patienten.

Voraussetzungen der rechtfertigenden Einwilligung

 

Um die mit einem Heileingriff einhergehenden Eingriffe in die körperliche Unversehrtheit zu rechtfertigen, bedarf es mithin der Einwilligung des Patienten/der Patientin. Die Wirksamkeit dieser Einwilligung ist abhängig von den im Schaubild genannten Voraussetzungen
 

Schaubild Einwilligung

Die im Praxisalltag problematischeren Voraussetzungen liegen wohl

 

  • in der Einwilligungsfähigkeit,
  • dem (Beweis des) Vorliegen(s) einer unmissverständlichen Einwilligungserklärung sowie vor allem
  • im Fehlen beachtlicher Willensmängel.

 

Während an letzterem die ärztliche Aufklärungspflicht unmittelbar ansetzt, steht die Einwilligungsfähigkeit etwa bei Kindern und Jugendlichen sowie bei denjenigen Erwachsenen infrage, die infolge der Einnahme von starken Medikamenten an (vorübergehenden) Bewusstseinseinschränkungen leiden.

Mit Blick auf die Einwilligungsfähigkeit von Jugendlichen und Kindern existieren keine starren Altersgrenzen. Vielmehr ist zu prüfen, ob die betroffene Person im Einzelfall nach ihrer geistigen und sittlichen Reife imstande ist, die Tragweite und Bedeutung der Einwilligung zu erkennen und sachgerecht zu beurteilen, d.h. sie muss in der Lage sein zu erkennen, worauf sie sich mit der Zustimmung zum Heileingriff einlässt.


Als Faustregel kann gelten, dass dies bei Kindern (bis 14 Jahre) regelmäßig nicht der Fall sein wird – vielmehr bedarf es dort der Zustimmung der gesetzlichen Vertreter (im Regelfall beide Elternteile, an die sich in diesem Fall auch die Aufklärung zu richten hat, vgl. § 630e Abs. 4 BGB). Bei einer 16- bis 17-jährigen Person hingegen kann im Einzelfall die geforderte Reife vorliegen; dann kommt es strafrechtlich nur auf ihre Einwilligung an.

Konkretes zur ärztlichen Aufklärungspflicht

 

Mit Blick auf das Informationsgefälle, das typischerweise im Arzt-Patienten-Verhältnis besteht, sind Ärztinnen und Ärzte den Patientinnen und Patienten gegenüber grundsätzlich aufklärungspflichtig und tragen so unmittelbar zur Gewährleistung freiverantwortlicher Selbstbestimmung bei. Diese Verpflichtung ist zivilrechtlich in § 630e BGB1  normiert und entfällt grundsätzlich nur, wenn und soweit die behandelte Person bereits hinreichend informiert ist (etwa bei eigener Sachkunde) oder ausdrücklich auf eine Aufklärung verzichtet (wobei der letztgenannte Fall Ausnahmecharakter tragen dürfte und insbesondere der Blankoverzicht verbreitet für unzulässig gehalten wird). Ärztinnen und Ärzten kommt mithin eine zentrale Rolle dabei zu, die Patientinnen und Patienten in die Lage zu versetzen, sich eigenverantwortlich und in Abwägung von Chancen und Risiken für oder gegen den in Rede stehenden Eingriff entscheiden zu können.

1 Bei Unklarheiten kann § 630e BGB – trotz wesensmäßigen Unterschieden zwischen Zivil- und Strafrecht – als Auffangnetz herangezogen werden. Wer die dortigen Anforderungen erfüllt, macht sich jedenfalls nicht strafbar.

Dabei sind die „wesentlichen Umstände“ zu benennen, die verständige Patientinnen und Patienten zur Entscheidungsfindung benötigen und eine für die behandelte Person zugängliche Ausdrucksweise zu nutzen; hierzu gehören gemäß § 630e Abs. 1 BGB „insbesondere Art, Umfang, Durchführung, zu erwartende Folgen und Risiken der Maßnahme sowie ihre Notwendigkeit, Dringlichkeit, Eignung und Erfolgsaussichten im Hinblick auf die Diagnose oder die Therapie“.

Das Dickicht dieser bisweilen unübersichtlichen Anforderungen lichtet sich etwas, wenn man die sog. Selbstbestimmungsaufklärung in die ihr zugehörigen Unterpunkte aufgliedert.

Selbstbestimmungsaufklärung Schema

So setzt sich die Aufklärung regelmäßig aus der Diagnoseaufklärung, der Verlaufsaufklärung und der Risikoaufklärung zusammen.

 

  • Die Diagnoseaufklärung umfasst die Mitteilung und Einführung in den ärztlichen Befund, soweit dieser für die Entscheidung über den Heilangriff wesentlich erscheint.
  • Die Verlaufsaufklärung hingegen umfasst den weiteren Fortgang des Krankheitsgeschehens einschließlich der Information über den in Rede stehenden Eingriff, dessen Art, Schwere, Umfang, Dauer sowie Misserfolgsrisiko und sichere Folgen wie Begleiterscheinungen. Erfasst sind auch mögliche alternative Behandlungsmethoden, sofern sich aus ihnen unterschiedliche Chancen und Risiken ergeben. Auch über den untherapierten Fortlauf der Erkrankung soll die behandelte Person unterrichtet werden, um so den weiteren Verlauf des Geschehens in den möglichen Variationen in wesentlichen Zügen einschätzen zu können.
  • Demgegenüber erfasst die Risikoaufklärung die Information über die mit dem Eingriff möglicherweise einhergehenden Risiken. Hierbei ist, soweit bekannt, auf die möglichen Folgen für die spezifische Lebensführung der behandelten Person einzugehen. Es kommt insgesamt weniger darauf an, die Risiken in all ihren medizinischen Dimensionen genau zu beschreiben und – vorlesungsgleich – zu erklären; auch helfen den Patientinnen und Patienten keine Darstellungen operationstechnischer Details. Vielmehr sollen sie „im Großen und Ganzen“ ein verlässliches, allgemeines und realistisches Bild über die mit dem Eingriff typischerweise verbundenen Risiken erhalten, um das Für und Wider sachgerecht abwägen zu können. Zu vermeiden ist es überdies, die vorhandenen Risiken herunterzuspielen, zu verharmlosen oder auch überzubetonen.

 

Auch wenn diese Feststellung Ärztinnen und Ärzten als typisch juristisches Lavieren erscheinen mag: Über die geforderte Informationsdichte, gerade mit Blick auf die Risikoaufklärung, kann richtigerweise nur auf der Grundlage der Umstände des Einzelfalles entschieden werden.

So wird der Rahmen notwendiger Informationen weiter, je weniger der Eingriff medizinisch indiziert ist und hängt auch von dessen Dringlichkeit ab. Fehlt es etwa, wie bei vielen kosmetischen Eingriffen, vollständig an einer medizinischen Indikation, sind die Anforderungen wesentlich strenger als bei einer absolut indizierten oder gar sofort vital indizierten Behandlung, bei denen schon rein tatsächlich wenig bis keine Zeit bleibt. In den letztgenannten Fällen kann sich die Aufklärung auf ein unerlässliches Minimum beschränken oder gar – etwa für den Fall eines/einer nicht mehr ansprechbaren Patient:in im Rahmen der mutmaßlichen Einwilligung (hierzu sogleich) – entfallen.

Hiervon abgesehen wird jedenfalls auf Risiken hinzuweisen sein, die (sehr) häufig auftreten oder besonders einschneidende Folgen für die persönliche und/oder berufliche Lebensführung der behandelten Person mit sich bringen, vor allem also besonders einschneidend sind. Auch kommt es darauf an, ob die Risiken gerade diesem Heileingriff spezifisch anhaften und inwieweit sie für die behandelte Person überraschend sind – beide Aspekte streiten für eine Aufklärungspflicht. Zudem ist die spezifische Lebenswirklichkeit der behandelten Person in die Abwägung um die Wesentlichkeit der Information einzubeziehen: So ist das, wenn auch geringe, Risiko der Lähmung einzelner Finger für Pianistinnen und Pianisten ebenso relevant wie mögliche Sprachfindungsstörungen für Juristinnen und Juristen. Über jene Komplikationen ist jedenfalls dann aufzuklären, wenn sie überraschend erscheinen.

Zwar ergibt sich im Grunde keine starre Wahrscheinlichkeitsgrenze; die Darstellung aller noch so unwahrscheinlicher Risiken würde die behandelte Person allerdings überfordern und so den eigentlichen Belangen der Aufklärung gar entgegenwirken. Eine fehlende Darstellung statistisch extrem seltener Risiken (z. B. Wachzustand während einer OP) kann daher wohl ebenso unterbleiben wie solcher, die im Rahmen der allgemeinen Lebenserfahrung liegen (z. B. die Möglichkeit einer Wundinfektion oder von Narbenbrüchen). Ebenso ist ein Aufklärungsmangel dann für die strafrechtliche Beurteilung des Eingriffs unbeachtlich, wenn er nicht mit der Tragweite des Heileingriffs und den vorhandenen Risiken zusammenhängt, sondern vor diesem Hintergrund nebensächliche Aspekte wie die Kosten der Behandlung betrifft – zivilrechtlich bleibt der/die Ärzt:in indessen auch insofern aufklärungspflichtig, vgl. § 630c Abs. 3 BGB.

Als Zweifelregelung muss eine gewissenhafte Selbstabfrage genügen: Hat der Aspekt, dessen Aufklärung in Rede steht, etwas mit der Tragweite und Bedeutung des Eingriffs zu tun bzw. kann er die Risikoeinschätzung der behandelten Person, in Anbetracht der Dringlichkeit des Eingriffs und seinen risikorelevanten Eigenarten ernsthaft beeinflussen? Bejahendenfalls ist zu einer Aufklärung zu raten.

Richtiger Zeitpunkt des Aufklärungsgesprächs

 

Unmittelbar aus dem angesprochenen Sinn einer Aufklärung folgt die Notwendigkeit, das Aufklärungsgespräch in so großem zeitlichem Abstand zu dem zu rechtfertigenden Eingriff durchzuführen, dass die behandelte Person noch frei und eigenverantwortlich über die Einwilligung entscheiden und die für und gegen den Heileingriff sprechenden Gründe hinreichend abwägen kann.


Zu vermeiden bleibt es jedenfalls, den Patientinnen und Patienten durch die zeitliche Abfolge das Gefühl zu geben, sich bereits in einem in Gang gesetzten Geschehen zu befinden, auf das ihre Entscheidung keinen Einfluss mehr hat.


Unzureichend kann allerdings auch eine verfrühte Aufklärung sein, sofern die behandelte Person hiermit Gefahr läuft, die wesentlichen Aspekte bis zur Einwilligung aus dem Blick zu verlieren. Gerade bei schwerwiegenden kardiologischen Eingriffen wird die Aufklärung nach alldem im Regelfall mehrere Tage vor Beginn der Heilbehandlung stattzufinden haben. In diese Bewertung muss allerdings auch die Dringlichkeit des Heileingriffs einfließen – bei einer Not-OP oder anderen dringlichen Eingriffen bleibt es selbstverständlich unschädlich, dass die behandelte Person kaum Bedenkzeit hat und sich im Zweifel bereits in der Klinik befindet.

Delegationsfähigkeit der Aufklärung

 

Gerade im stressigen Praxis- oder Klinikalltag ist Zeit rar. So liegt der Gedanke nahe, die Aufklärung nicht durch den Operateur oder die Operateurin, sondern durch anderes medizinisches Personal vornehmen zu lassen (sog. Delegation). Hierbei bleibt allerdings Vorsicht geboten: Im schlimmsten Falle kann eine Delegation der Aufklärung zur Unwirksamkeit der Einwilligung führen. 

Grundsätzlich gilt:

 

  • Im Regelfall erfolgt die Aufklärung durch die behandelnden Ärztinnen und Ärzte selbst.
  • Weitgehend unproblematisch ist es überdies, die Aufklärung anderen, für das jeweilige Fachgebiet zuständigen Ärztinnen und Ärzten zu überlassen (vgl. auch § 630e Abs. 2 S. 1 Nr. 1 BGB) – die behandelnden Ärztinnen und Ärzte haben hierbei allerdings nach der Rechtsprechung durch entsprechende organisatorische Maßnahmen und deren Kontrolle eine hinreichende Aufklärung zu gewährleisten. Auch ist eine Überlassung unter gleichen Voraussetzungen (insb. der Wahrung des Facharztstandards) an  andere Ärztinnen und Ärzte bzw. ärztliche Mitarbeitende, in Einzelfällen gar an Medizinstudenten und -studentinnen im Praxisjahr möglich, sofern diese den Kenntnissen und Fähigkeiten der beauftragten Person entspricht.
  • Ausgeschlossen ist jedenfalls die Delegation an Pflegepersonal, Hebammen oder anderes nicht medizinisch geschultes Personal.

Der Aufklärungsbogen als „Erstlinientherapie“?

 

Der Aufklärungsbogen ist aus der ärztlichen Praxis kaum noch wegzudenken. Betrachtet man die Notwendigkeit einer individualisierten Aufklärung, wird indes schnell klar, was in der Rechtsprechung seit jeher anerkannt ist: Der Aufklärungsbogen ersetzt kein persönliches Aufklärungsgespräch. Ohne Zweifel hat der Bogen einen gewissen Beweiswert, der dafür streitet, dass eine sachgerechte Aufklärung der behandelten Person tatsächlich stattgefunden hat; für sich genommen genügt er allerdings nicht. Vielmehr ist im persönlichen Gespräch auf die spezifischen, die behandelte Person in ihrer Situation betreffenden Aspekte (Risiken, Wahlmöglichkeiten, etc.) einzugehen, um ihr eine konkrete und umfängliche Vorstellung über ihre Situation zu vermitteln. Auch muss auf die intellektuellen und sprachlichen Verständnismöglichkeiten der behandelten Person eingegangen werden. Dies kann in einem notwendig abstrakt gehaltenen Aufklärungsbogen nicht geleistet werden; vielmehr ist jener im Rahmen einer sog. Stufenaufklärung als Fundierung mit ergänzender Funktion zum persönlichen Aufklärungsgespräch zu sehen.

Letzte Ausfahrt: Hypothetische Einwilligung

 

Wird ein für die Aufklärung wesentlicher Aspekt verschwiegen oder auch nur versehentlich nicht mitgeteilt, so hilft der Blick auf die Rechtsprechung zur sog. hypothetischen Einwilligung. Ihr liegt folgender, für das Zivilrecht in § 630h Abs. 2 S. 2 BGB normierter, Gedanke zugrunde:

Wenn eine Person in eine lege artis durchgeführte Behandlung eingewilligt hat, dem Arzt bzw. der Ärztin bei der Aufklärung allerdings ein Fehler unterläuft – also etwa ein relevanter Aspekt falsch oder gar nicht thematisiert wird – kann dies zumindest so lange nicht zur Strafbarkeit der bzw. des Aufklärungspflichtigen führen, wie die behandelte Person auch bei Aufklärung über diesen Umstand in die Behandlung eingewilligt hätte.

Die Entscheidung der behandelten Person findet ihren tatsächlichen Anhalt so nicht im falschen oder nicht dargestellten Aspekt; der Aufklärungsfehler wirkt sich also in dieser hypothetischen Betrachtung schlicht nicht aus. Da im Strafrecht der Grundsatz in dubio pro reo gilt, scheidet so eine Strafbarkeit aus, wenn zumindest nicht ausgeschlossen werden kann, dass die Person in die Behandlung auch eingewilligt hätte, wenn sie sachgemäß aufgeklärt worden wäre. Scheitern kann die Rechtfertigung indessen, wenn die behandelte Person zur Überzeugung des Gerichts plausibel darlegt, dass sie, hätte sie von dem verschwiegenen Aspekt gewusst, in einen ernsthaften Entscheidungskonflikt geraten wäre. Jedenfalls bei fahrlässigen Aufklärungsmängeln wird eine Strafbarkeit über den hier skizzierten Gedanken dennoch nicht selten auszuschließen sein.

Exkurs: Mutmaßliche Einwilligung

 

Eine Aufklärung spielt naturgemäß dort keine Rolle, wo die behandelte Person, etwa infolge einer eingetretenen Bewusstlosigkeit, nicht mehr einwilligen kann. Fehlt es für diesen Fall an einer verbindlichen Patientenverfügung (§ 1827 BGB), bleibt allein der Rückgriff auf den sog. mutmaßlichen Willen der behandelten Person. So müssen die behandelnden Ärztinnen und Ärzte – in Abstimmung mit den Angehörigen, sonstigen nahestehenden Personen oder auch einer für den Bereich der Gesundheitssorge bestellten Betreuungsperson – anhand vorhandener Indizien (vorherige Äußerungen der bzw. des/der Betroffenen, religiöse Überzeugungen, sonstige Wertvorstellungen) eine Entscheidung darüber treffen, ob der bevorstehende Heileingriff dem Willen der behandelten Person entsprechen würde. Sie haben sich also die Frage zu beantworten: Hätte die Person in die Behandlung eingewilligt, wenn sie noch faktisch dazu in der Lage dazu gewesen wäre? Bejahendenfalls wird der Eingriff dadurch gerechtfertigt.

Fazit

 

Der Einwilligung kommt eine zentrale Bedeutung bei der strafrechtlichen Bewertung des Heileingriffs zu. Die ärztliche Aufklärung sollte eine sachgerechte Beurteilung durch die behandelte Person gewährleisten. Ärztinnen und Ärzte haben zu diesem Zweck einen korrekten und realistischen Überblick über die Situation der behandelten Person, ihre Behandlungsmöglichkeiten und die hiermit verbundenen Risiken und Chancen zu geben. Ob ein Umstand aufklärungspflichtig erscheint, ist hierbei nicht selten eine Frage des Einzelfalles. Ärztinnen und Ärzte müssen sich fragen, ob dieser Aspekt die vor ihnen sitzende behandelte Person tatsächlich in ihrer Abwägung des Für und Wider des Heilangriffs beeinflussen kann. Aber auch eine versehentlich unterlassene oder unvollständig erfolgte Aufklärung ist aus strafrechtlicher Sicht noch kein zwingender Grund zur Panik: Vielmehr kann der Aufklärungsmangel unter dem Stichwort der hypothetischen Einwilligung noch unerheblich werden, wenn die behandelte Person auch in Kenntnis dieses Umstands in die Behandlung eingewilligt hätte. Um unnötige Komplikationen zu vermeiden, lautet die Devise allerdings: In dubio pro Aufklärung!

Eine Entlastung und Flexibilisierung klinischer Abläufe verspricht die telemedizinische Durchführung von Aufklärungsgesprächen. Die rechtliche Einordnung dieses Vorgehens vor dem Hintergrund der Anforderungen an Aufklärung und Einwilligung muss einem weiteren Beitrag vorbehalten bleiben, der in Kürze auf Herzmedizin.de erscheinen wird.

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Zum Autor

Prof. Michael Lindemann

Prof. Michael Lindemann ist Inhaber eines Lehrstuhls für Strafrecht, Strafprozessrecht und Kriminologie an der Universität Bielefeld. Daneben ist er Leiter der Vertrauensstelle Transplantationsmedizin, Koordinator des Bielefeld Center for Healthcare Compliance (BCHC) und Mitherausgeber und Redaktionsmitglied der Zeitschrift für Medizinstrafrecht (medstra). Prof. Lindemann ist Of Counsel der Kanzlei GNP Geiger Nitz Partner.

Bildquelle: Ronny Kretschmer / HKM

Zum Autor

Jan Bauerkamp

Jan Bauerkamp ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Lehrstuhl für Strafrecht, Strafprozessrecht und Kriminologie an der Universität Bielefeld. Seine Schwerpunkte umfassen u. a. zentrale Fragen des Strafrechts, seine verfassungsrechtlichen Bezüge und aktuelle strafrechtliche Entwicklungen.

Bildquelle: Ronny Kretschmer / HKM

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