Beim Wolff-Parkinson-White-Syndrom besteht im Herzen eine angeborene zusätzliche Muskelfaser, die zu Herzrhythmusstörungen führen kann. Wie sich die Erkrankung erkennen und behandeln lässt.
Beim Wolff-Parkinson-White-Syndrom besteht im Herzen eine angeborene zusätzliche Muskelfaser, die zu Herzrhythmusstörungen führen kann. Wie sich die Erkrankung erkennen und behandeln lässt.
Von Jonas Heinrich
21.06.2023
Bildquelle (Bild oben): iStock / JazzIRT
Bei etwa einem Prozent aller herzgesunden Kinder treten Herzrhythmusstörungen (Arrhythmien) auf. Diese sind somit nichts Ungewöhnliches und zumeist harmlos. Arrhythmien können allerdings unangenehme Symptome bereiten und das Wohlbefinden beeinträchtigen. Auch beim sogenannten Wolff-Parkinson-White-Syndrom (WPW-Syndrom) können Herzrhythmusstörungen auftreten. „Beim WPW-Syndrom besteht von Geburt an zusätzlich zum normalen Erregungsleitungssystem im Herzen eine kleine muskuläre Verbindung (akzessorische Leitungsbahn) zwischen Herzvorhof und Herzkammer. Zwischen dieser kleinen Muskelfaser und dem ‚normalen‘ AV- Knoten kann es zu einer Art Kurzschluss kommen“, erklärt Prof. Gabriele Hessling, Co-Leiterin der Abteilung für Elektrophysiologie am Deutschen Herzzentrum München. „Dadurch wird der normale Herzrhythmus gestört und es kommt zu anfallsartigem Herzrasen (Tachykardien).“
Das Wolff-Parkinson-White-Syndrom tritt bei ein bis drei von 1.000 Personen auf. Die durch das WPW-Syndrom verursachten Herzrhythmusstörungen zeigen sich häufig im Kindes- oder Jugendalter, können jedoch prinzipiell bereits bei Neugeborenen oder auch erst im Erwachsenenalter auftreten.
Der natürliche Taktgeber für den Herzschlag ist der Sinusknoten, ein Geflecht aus speziellen Muskelzellen im rechten Herzvorhof. Er generiert bei Erwachsenen 60 bis 80 elektrische Impulse pro Minute. „Vom Sinusknoten breitet sich die Erregung über die Herzvorhöfe aus. Zwischen den Vorhöfen und den Herzkammern liegt der AV-Knoten (Atrioventrikularknoten), der als eine Art ‚Eingangsfilter‘ fungiert und die Erregungsleitung verzögert, damit sich immer zuerst die Vorhöfe und danach die Herzkammern kontrahieren (durch Anspannung der Muskulatur zusammenziehen)“, erklärt Prof. Hessling. „Anschließend erfolgt eine schnelle Ausbreitung der elektrischen Erregung in allen Ventrikelbereichen, die sich synchron kontrahieren.“ So wird das Blut von den Vorhöfen in die Herzkammern und von dort aus in die Lunge („kleiner Kreislauf“) und in den Körper („großer Kreislauf“) gepumpt.
Bei Personen mit WPW-Syndrom existiert jedoch eine zusätzliche elektrische Verbindung, historisch als „Kent-Bündel“ bezeichnet. Im normalen Sinusrhythmus umgeht diese Leitungsbahn den AV-Knoten und erregt einen Teil der Kammermuskulatur vorzeitig. „Dies wird vom Patienten nicht verspürt, zeigt sich aber im EKG als kleine ‚Vorwelle‘ vor der Kammeraktion; diese wird als Deltawelle bezeichnet“, sagt Prof. Hessling. Zwischen der zusätzlichen Verbindung – Experten sprechen von einer akzessorischen Leitungsbahn – und dem AV-Knoten kann es zu einem „Kurzschluss“ kommen: Eine kreisende Erregung, durch die typische Symptome des WPW-Syndroms ausgelöst werden.
Nicht alle Personen mit einer zusätzlichen Leitungsbahn im Herzen haben auch Symptome. So wird bei manchen, die noch nie unter Herzrasen litten, im Rahmen einer Routineuntersuchung als Zufallsbefund im EKG die typische Deltawelle festgestellt. Dies wird dann als asymptomatisches WPW bezeichnet. Vom klassischen WPW-Syndrom spricht man hingegen, wenn anfallsartiges Herzrasen (Tachykardie) auftritt. Dieses Leitsymptom beschreibt plötzliche Anfälle eines ungewöhnlich schnellen Herzschlags (über 180 Schläge pro Minute), die oft von selbst wieder aufhören. „Das kann einen hohen Leidensdruck erzeugen. Stellen Sie sich vor, Sie sitzen am Schreibtisch und bekommen plötzlich einen Puls von 200“, so Prof. Hessling. Häufig tritt das Herzrasen situationsunabhängig auf, kann aber bei manchen Menschen durch körperliche Anstrengung oder Aufregung hervorgerufen werden. „Die Tachykardien sind gutartig, können aber, wenn auch selten, weitere Symptome wie Schwindel, Brustschmerzen oder Atemnot hervorrufen“, ergänzt Prof. Hessling.
Menschen mit WPW-Syndrom haben in der Regel ein strukturell völlig gesundes Herz. Dieser positive Aspekt kann jedoch die Diagnose erschweren, da mit bildgebenden Verfahren wie Ultraschall (Echokardiographie) kein Defekt zu finden ist. Um dem Hauptsymptom Herzrasen auf den Grund zu gehen und die Herzrhythmusstörung zu erfassen, kommt stattdessen das Elektrokardiogramm (EKG) zum Einsatz. Es bildet die elektrischen Herzströme ab. Im EKG erkennen Kardiologinnen und Kardiologen die sogenannte Deltawelle, die dem Teil der Kammermuskulatur entspricht, der über die akzessorische Leitungsbahn vorzeitig erregt wird. „Wenn Patientinnen oder Patienten von anfallsartigem Herzrasen berichten und sich dann noch im EKG die typische Deltawelle zeigt, ist die Diagnose WPW-Syndrom eindeutig“, erklärt Prof. Hessling. „Schwieriger gestaltet sich die Diagnose des ‚verborgenen‘ WPW-Syndroms. Hier ist die zusätzliche Leitungsbahn lediglich während der Tachykardie (Herzrasen) aktiv und leitet Impulse ausschließlich von der Kammer zurück zum Vorhof. Dies ist im normalen Sinusrhythmus nicht zu sehen und wird nur entdeckt, wenn das EKG während einer Tachykardie durchgeführt wird.“
Die Ursache für das Wolff-Parkinson-White-Syndrom liegt in der zusätzlichen angeborenen muskulären Verbindung zwischen Herzvorhof und Herzkammer. Erstmals wurde die Anomalie 1930 von den drei namensgebenden Kardiologen (Louis Wolff, John Parkinson, Paul White) im American Heart Journal beschrieben. „Wieso während der embryonalen Entwicklung, wenn sich der fibröse AV-Klappenring ausbildet, an einer Stelle diese kleine muskuläre Struktur ‚übrig‘ bleibt, ist ungeklärt“, sagt Prof. Hessling. In den ersten beiden Lebensjahren besteht eine Chance von etwa 70 Prozent, dass sich die zusätzliche Leitungsbahn verwächst. Dann treten keine Tachykardien mehr auf und im EKG ist keine Deltawelle mehr zu sehen. Dies wird als Spontanregression bezeichnet.
In den meisten Fällen ist das WPW-Syndrom gutartig. „Das Herz der Betroffenen ist strukturell völlig gesund. Sie können daher ein ganz normales Leben führen und ohne Einschränkungen Sport treiben“, sagt Prof. Hessling. In seltenen Fällen kann es jedoch in Kombination mit Vorhofflimmern lebensgefährlich werden: „Normalerweise fungiert der AV-Knoten als ‚Bremse‘, wenn wie beim Vorhofflimmern von den Vorhöfen gefährlich schnelle Impulse ausgehen. Bei Menschen mit ‚offenem‘ WPW-Syndrom können die hohen Frequenzen des Vorhofflimmerns jedoch über die zusätzliche Leitungsbahn auf die Herzkammern übertragen werden und zu extrem hohen Kammerfrequenzen (bis zu 300 Schläge pro Minute) führen. Diese können dann in Kammerflimmern übergehen, das durch eine Defibrillation behoben werden muss“, erklärt die Kinderkardiologin. Im schlimmsten Fall droht also ein plötzlicher Herztod. „Das Risiko ist sehr gering, aber nicht gleich null“, sagt Prof. Hessling. „Daher wird gegenwärtig eine Risikostratifizierung (Abschätzung der Gefahr von Komplikationen oder Tod) und gegebenenfalls eine Behandlung des WPW-Syndroms bei allen Menschen mit einer Deltawelle ab dem Kindes- oder Jugendalter empfohlen, an unserem Zentrum ab einem Alter von circa zwölf Jahren.“
Die Behandlung des WPW-Syndroms hängt von den individuellen Symptomen und bei asymptomatischen Patienten von der Risikostratifizierung ab. Je nach Schwere und Häufigkeit der auftretenden Symptome ist der Leidensdruck unterschiedlich hoch: „Manche Menschen stört das Herzrasen kaum, wenn es nur selten auftritt. Andere leiden unter häufigen Anfällen und profitieren enorm von einer Behandlung“, sagt Prof. Hessling.
Folgende Maßnahmen können in der Therapie des WPW-Syndroms zum Einsatz kommen:
Eine Katheterablation kann bei symptomatischen Patienten bereits im Kindesalter ab einem Körpergewicht von 25 bis 30 Kilogramm angeboten werden. „Bei asymptomatischen Patienten ab zwölf Jahren mit ‚offenem‘ WPW im EKG wird die Katheterablation an unserem Zentrum nach Risikostratifizierung ebenfalls angeboten“, sagt Prof. Hessling. „Eine Indikation kann auch bei Personen, die gefährliche Berufe ausüben oder Wettkampfsport betreiben, vorliegen. Der Eingriff erfolgt unter Sedierung (Dämmerschlaf) und dauert in der Regel zwei bis drei Stunden.“ Dabei wird der Katheter über eine Vene oder Arterie in der Leiste eingeführt und bis zum Herzen vorgebracht. Mithilfe von Hochfrequenzenergie oder Kälteenergie wird die zusätzliche Muskelfaser im Herzen verödet oder vereist. Aufgrund ihrer hohen Erfolgs- und niedrigen Komplikationsrate ist die Katheterablation heute die Therapie der Wahl. „Die Erfolgsrate liegt um 90 Prozent. Heutzutage wird ab dem Kindes- bis Jugendalter die Ablation empfohlen, insbesondere auch dann, wenn im Rahmen der Risikostratifizierung ein erhöhtes Risiko für kardiale Ereignisse besteht“, sagt Prof. Hessling.
Um die Symptome des WPW-Syndroms zu lindern und die Anfälligkeit für Herzrhythmusstörungen zu senken, stehen einige Medikamente mit unterschiedlichen Wirkmechanismen zur Verfügung. Bei akutem Herzrasen können etwa Betablocker zum Einsatz kommen, um die Arrhythmie zu stoppen. „Wenn das Herzrasen nicht aufhört, muss man sich in der Klinik ein Rhythmusmedikament spritzen lassen, das die Tachykardie beendet“, erklärt Prof. Hessling. „Eine Dauermedikation ist jedoch heutzutage nicht mehr üblich, außer bei Säuglingen und kleineren Kindern. Ab dem Kindes- beziehungsweise Jugendalter wird je nach Leidensdruck und Risikoabwägung vermehrt zur Katheterablation geraten.“
Bei akutem Herzrasen kann Betroffenen zudem ein kleiner Trick Abhilfe schaffen: „Nehmen Sie eine kalte Dusche, trinken Sie ein kaltes Getränk oder machen Sie einen Handstand. Mit jeder dieser Maßnahmen aktivieren Sie Ihren Vagusnerv. Dadurch blockieren Sie kurz den AV-Knoten und stoppen somit den Erregungskreislauf, der das Herzrasen hervorruft“, sagt Prof. Hessling. Auch das sogenannte Valsalva-Manöver kann helfen: „Mund und Nase zuhalten, dabei gegenatmen und pressen“, so die Kardiologin.
Grundsätzlich ist es wichtig, bei der Behandlung des WPW-Syndroms das Alter, den Leidensdruck und die Lebenssituation der Betroffenen zu berücksichtigen. Gemeinsam kann so für jede Person die individuell beste Behandlungsstrategie gefunden werden.