Beim Ventrikelseptumdefekt handelt es sich um den häufigsten angeborenen Herzfehler. Welche Beschwerden das „Loch im Herzen“ hervorrufen kann und welche Therapie möglich ist.
Beim Ventrikelseptumdefekt handelt es sich um den häufigsten angeborenen Herzfehler. Welche Beschwerden das „Loch im Herzen“ hervorrufen kann und welche Therapie möglich ist.
Von Jonas Heinrich
26.05.2023
Bildquelle (Bild oben): iStock / Zukovic
In Deutschland kommen jährlich rund 8.700 Kinder mit einem Herzfehler zur Welt – 40 Prozent davon mit einem sogenannten Ventrikelseptumdefekt. Dieser ist der häufigste angeborene Herzfehler und kommt bei etwa fünf von 1.000 Lebendgeborenen vor. Vereinfacht gesagt handelt es sich dabei um ein Loch im Herzen: „Bei einem Ventrikelseptumdefekt befindet sich ein Loch oder mehrere Löcher in der Scheidewand (Septum) zwischen den beiden Hauptkammern (Ventrikeln) des Herzens“, sagt Prof. Oktay Tutarel vom Deutschen Herzzentrum München. „Kleine Löcher können lange unentdeckt bleiben, während große Löcher üblicherweise bereits im Säuglingsalter festgestellt werden.“ Normalerweise pumpt die rechte Herzkammer das sauerstoffarme Blut aus dem Körper in die Lunge, damit es dort wieder Sauerstoff aufnehmen kann. Aus der Lunge gelangt das sauerstoffreiche Blut weiter in die linke Herzkammer. Diese pumpt das Blut dann durch den Körper. Bei einem Ventrikelseptumdefekt ist dieser feste Ablauf gestört: Ein Teil des Blutes kann ungehindert von einer Kammer in die andere fließen, üblicherweise von der linken in die rechte. Die rechte Kammer pumpt dann eine größere Menge Blut in den Lungenkreislauf. Eine solche Überdurchblutung der Lunge kann den Blutdruck in den Lungengefäßen erhöhen und zu einem Lungenhochdruck (pulmonale Hypertonie) führen. In der linken Kammer führt dieses zusätzliche Blutvolumen zu einer Belastung des Herzmuskels.
Zu einem Ventrikelseptumdefekt kommt es, wenn die Herzkammerscheidewand während der vierten bis achten Schwangerschaftswoche nicht ausreichend wächst oder ihre einzelnen Abschnitte fehlerhaft zusammenwachsen. Je nachdem, an welcher Stelle der Scheidewand sich das Loch befindet, spricht man von einem muskulären Ventrikelseptumdefekt, einem membranösen Ventrikelseptumdefekt oder einem Ventrikelseptumdefekt im Einlassbereich beziehungsweise im Auslassbereich. Nicht selten treten jedoch mehrere kleine Defekte oder Löcher in der Scheidewand gemeinsam auf: Solche mehrfachen Ventrikelseptumdefekte werden auch „Swiss-Cheese-Defekte“ genannt.
Die Schwere der Symptome bei einem Ventrikelseptumdefekt hängt vor allem davon ab, wie groß die Löcher in der Scheidewand sind. „Bei sehr kleinen Löchern kann es sein, dass keinerlei Beschwerden auftreten und der Herzfehler unentdeckt bleibt. Sehr große Ventrikelseptumdefekte machen sich hingegen in der Regel schon bei Säuglingen bemerkbar. Sie trinken dann beispielsweise nicht so gut, sind schnell erschöpft und wachsen langsamer“, sagt Prof. Tutarel.
Diese Symptome können bei einem Ventrikelseptumdefekt im Säuglingsalter auftreten:
Bei Erwachsenen können die Symptome ganz unterschiedlich sein: „Von Luftnot bei Belastung bis hin zu Herzrhythmusstörungen. Größere Löcher, die lange Zeit unentdeckt bleiben, können einen Lungenhochdruck verursachen. Das ist heutzutage jedoch selten, da größere Ventrikelseptumdefekte in der Regel frühzeitig entdeckt werden“, sagt Prof. Tutarel.
Große Ventrikelseptumdefekte fallen aufgrund der typischen Symptome meist schnell nach der Geburt auf. Auch während der Schwangerschaft kann bereits im Rahmen einer pränatalen Untersuchung ein Herzfehler gefunden werden – allerdings nur dann, wenn gezielt per Ultraschall danach gesucht wird. Kleinere Ventrikelseptumdefekte werden nach der Geburt häufig beim Abhören entdeckt: „Auffällige Herzgeräusche können allerdings viele verschiedene Gründe haben. Daher untersuchen wir das Herz per Ultraschall (Echokardiografie), um die Ursache zu finden und gegebenenfalls einen Herzfehler diagnostizieren zu können“, sagt Prof. Tutarel. Der Vorteil des Herz-Ultraschalls ist, dass es patientenschonend ist und die Kardiologin oder der Kardiologe sich in kürzester Zeit ein Bild vom Zustand der Herzscheidewand machen kann. Mittels unterschiedlicher Varianten der Echokardiografie lassen sich Position und Größe des Lochs zwischen den Herzkammern hinreichend genau erfassen. Bei Menschen mit einem kleinen, symptomfreien Ventrikelseptumdefekt wird dieser häufig erst im Erwachsenenalter per Zufall im Rahmen der Abklärung anderer Symptome oder Erkrankungen entdeckt. „Bei Erwachsenen wird in einigen Fällen zudem eine Magnetresonanztomografie (MRT) durchgeführt, um ein genaueres Bild zu bekommen und beispielsweise Blutflüsse nachvollziehen zu können“, sagt Prof. Tutarel.
Die möglichen Folgen eines Ventrikelseptumdefekts hängen vor allem davon ab, wie groß das Loch in der Herzkammerscheidewand ist. Je größer der Defekt, desto größer die Blutmenge, die von links nach rechts fließt und damit der Blutfluss durch die Lunge. Bleibt ein Ventrikelseptumdefekt lange unentdeckt und unbehandelt, kann er unter Umständen zu einer Überlastung des Herzens bis hin zur lebensgefährlichen Herzschwäche (Herzinsuffizienz) führen. Zudem können die Lungengefäße durch die übermäßige Durchblutung dauerhaft geschädigt werden. Die schwerwiegendste Folge eines großen Ventrikelseptumdefekts ist die sogenannte Shunt-Umkehr: „Hierzu kommt es, wenn über eine längere Zeit ein großes Loch in der Herzkammerscheidewand besteht. Zuerst steigt der Druck in der Lunge, dann der Druck in der rechten Herzkammer, da diese gegen den hohen Lungendruck anarbeiten muss. Übersteigt der Druck in der rechten Herzkammer schließlich den in der linken, fließt sauerstoffarmes Blut in die linke Kammer und schließlich in den Körperkreislauf. Dadurch sinkt die Sauerstoffsättigung im Blut, was im sogenannten Eisenmenger-Syndrom mündet: Die körperliche Belastbarkeit nimmt ab und die Haut ist bläulicher“, sagt Prof. Tutarel. Eine Shunt-Umkehr mit Eisenmenger-Syndrom kommt heutzutage in Deutschland jedoch nur selten vor, da große Ventrikelseptumdefekte frühzeitig entdeckt und effektiv behandelt werden können.
Ob ein Ventrikelseptumdefekt behandelt werden muss, hängt davon ab, wie groß der Defekt ist und ob die betroffene Person unter Beschwerden leidet. Insbesondere bei kleinen Löchern besteht die Chance, dass sich das Problem nach der Geburt von selbst behebt: „Viele kleine Ventrikelseptumdefekte, die bei Säuglingen auftreten, wachsen von allein wieder zu“, sagt Prof. Tutarel. Zu einem solchen Spontanverschluss kommt es bei 30 Prozent der betroffenen Neugeborenen innerhalb der ersten sechs Lebensmonate – innerhalb des ersten Jahres sogar bei 60 Prozent. Danach nimmt die Wahrscheinlichkeit eines Spontanverschlusses jedoch stark ab. Größere Löcher, die Beschwerden bereiten, müssen dann operativ verschlossen werden. Um das Loch zu verschließen, nähen es die Chirurginnen und Chirurgen entweder direkt oder mit einem Gewebeflicken (Patch) zu. „Diese Operation erfolgt am offenen Herzen. Seltener ist ein interventioneller Verschluss mittels Katheter im Kindesalter“, erklärt Prof. Tutarel. Bereits nach wenigen Wochen wächst körpereigenes Gewebe über den Flicken und der Körper nimmt das Material nicht mehr als fremd wahr. Die chirurgische Korrektur eines Ventrikelseptumdefekts gehört heutzutage zu den Routineoperationen mit geringer Komplikationsquote.
Ein unbehandelter Ventrikelseptumdefekt kann aufgrund der möglichen Komplikationen die Lebenserwartung einschränken. Allerdings werden größere Löcher in der Herzkammerscheidewand heutzutage üblicherweise frühzeitig erkannt und können meist behoben werden. Nach einer erfolgreichen Operation oder einem Spontanverschluss gelten die Betroffenen als herzgesund. Sie können dann mit einer normalen Lebenserwartung und körperlichen Belastbarkeit rechnen. „Ist ein Ventrikelseptumdefekt behoben und die Stelle gut verheilt, können Betroffene – wenn keine Spätfolgen oder Komplikationen bestehen – auch wieder Sport treiben und müssen dabei nichts weiter beachten. Sie sollten lediglich stets ihre regelmäßigen Kontrolltermine wahrnehmen, damit mögliche Spätfolgen wie ein Lungenhochdruck früh erfasst und behandelt werden können“, erklärt Prof. Tutarel. Anfangs erfolgen die Kontrollen engmaschig, später – wenn keine Probleme bestehen – in größeren Abständen von zwei bis fünf Jahren. „Mit einem gut operierten Ventrikelseptumdefekt ohne Spätfolgen ist folglich ein ganz normales Leben möglich“, sagt Prof. Tutarel.