Angeborene Herzfehler sind die häufigste Organfehlbildung, die ein Neugeborenes haben kann. Sie betreffen etwa ein Prozent aller Menschen – also kommt etwa jedes hundertste Baby mit einem angeborenen Gefäß- oder Herzfehler zur Welt.
Angeborene Herzfehler sind die häufigste Organfehlbildung, die ein Neugeborenes haben kann. Sie betreffen etwa ein Prozent aller Menschen – also kommt etwa jedes hundertste Baby mit einem angeborenen Gefäß- oder Herzfehler zur Welt.
Bildquelle (Bild oben): iStock / isayildiz
Von Kerstin Kropac
03.04.2023
„Bei uns war es so: Wir wussten vorher gar nichts. In keiner Untersuchung, in keinem Ultraschall hat man irgendetwas festgestellt“, erzählt der Vater der heute 30-jährigen Romina. Erst bei der Geburt des Mädchens fällt auf, dass etwas nicht stimmt. Das neugeborene Baby atmet angestrengt. Die Haut ist blau verfärbt. „Das kann vorkommen“, meint das Ärzteteam und beginnt, den Schleim aus Rominas Atemwegen zu saugen. „Das hat aber nicht geholfen“, sagt der Vater. Und dann ging die Hektik los. „Wir wussten nicht, was los war. Plötzlich hieß es nur: Die Kleine muss sofort nach Freiburg. In die Kinderklinik.“ Für die Eltern beginnt eine nervenaufreibende Zeit.
Bei einer Ultraschalluntersuchung stellt sich heraus: Romina hat einen angeborenen Herzfehler. Ein sogenanntes funktionelles Einkammerherz. Das heißt: Zwischen ihren beiden Herzkammern klafft ein großes Loch. Noch dazu ist die rechte Kammer zu klein angelegt. Das sauerstoffarme Blut kann nicht in die Lunge gepumpt werden, um dort Sauerstoff aufzunehmen. Unbehandelt – das ist allen klar – wird das kleine Mädchen sterben.
Es ist das Jahr 1993. Den Ärztinnen und Ärzten fehlt die Erfahrung im Umgang mit diesem angeborenen Herzfehler. Viele ihrer kleinen Patientinnen und Patienten sterben. Um Romina am Leben zu halten, wird ihr nur zehn Tage nach ihrer Geburt ein Shunt eingesetzt, eine künstliche Verbindung zur Lungenschlagader, damit das mit Sauerstoff angereicherte Blut in den Körper gepumpt werden kann. Eine Übergangslösung für die ersten Monate. Als Romina zwei Jahre alt ist, reicht das nicht mehr aus. Ihre Sauerstoffsättigung sinkt. Ein zweiter Eingriff ist nötig, bei dem der Blutfluss aus der oberen Körperhälfte direkt an die Lungenarterien angeschlossen wird. Doch die Eltern wissen: Auch das ist nur eine vorübergehende Maßnahme. Die letzte große Operation, die sogenannte Fontan-Operation, steht noch aus. „Die Ärztinnen und Ärzte sagten damals, dass wir versuchen sollten, den Eingriff so lange wie möglich hinauszuzögern“, sagt der Vater. „Weil die Medizin noch nicht so weit war.“
Durch die sogenannte Fontan-Operation soll das venöse, sauerstoffarme Blut aus dem gesamten Körperkreislauf am Herzen vorbei direkt in die Lunge transportiert werden. Der französische Herzchirurg Francois Fontan hat dieses Verfahren zwar bereits 1968 (in modifizierter Form) zum ersten Mal durchgeführt – allerdings nicht bei einem Kleinkind. Romina ist viereinhalb, als der Eingriff bei ihr nötig wird. Doch keiner traut sich, das Kind zu operieren. Die Eltern telefonieren mit Kliniken in ganz Europa.
„Wir haben gehört, dass man in Monaco erfolgreich ein Kind operiert hat. Also haben wir dort angefragt. Danach in einer Klinik in Großbritannien. Immer wieder bekamen wir die Antwort: zu heikel“, erzählt Rominas Vater. „Das war jedes Mal ein Schock. Weil es uns zeigte, wie riskant der Eingriff war.“ Schließlich finden sie in der Uniklinik Aachen einen Arzt, der bereit ist, die Operation zu wagen.
„In der ersten Zeit hatten wir Romina nachts immer bei uns im Bett“, erzählt der Vater. „Wir waren ständig in Hab-Acht-Stellung. Haben beobachtet, ob sich irgendwas verändert, ob sich ihre Haut blau verfärbt.“ Doch Romina bleibt stabil. Sie hat zwar eine schlechtere Sauerstoffsättigung im Blut und dadurch beim Toben etwas weniger Puste als ihre Freunde, und auch das Konzentrieren fällt ihr schwerer. Trotzdem kann sie ein ganz normales Leben führen – wie andere Kinder auch. „Wir haben ihr möglichst nichts verboten. Wir wollten ihr immer die Freiheit lassen, selbst herauszufinden, was sie kann, und was sie nicht kann“, sagt der Vater.
„Als Kind merkt man, wenn man etwas nicht kann – und hört auf“, sagt Romina heute. „Aber in der Pubertät hatte ich dann schon manchmal den Ehrgeiz, Dinge zu schaffen, oder den Wunsch, etwas unbedingt zu machen. Achterbahn fahren zum Beispiel. Und das habe ich dann auch gemacht.“ Manchmal überfordert sie ihr Herz. Dann färben sich ihre Lippen blau. Sie fühlt sich erschöpft und muss eine Pause einlegen. Mittlerweile kann die Versicherungsangestellte sehr gut abschätzen, was sie sich zutrauen kann – und was nicht.
Romina treibt regelmäßig Sport, fährt Ski – sie unternimmt alles, was auch ihre herzgesunden Freunde machen. „Aber eben in meinem Tempo. Und das ist manchmal etwas langsamer“, sagt Romina. Dennoch hat sie das Gefühl, ein normales Leben führen zu können. „Nur im Sommer, wenn wir 40 Grad haben, ist jede Bewegung anstrengend“, sagt sie. Dass sie regelmäßig Herzmedikamente einnehmen und alle sechs Monate zur Kardiologin muss, empfindet Romina nicht als Einschränkung. Erst als sie den Wunsch hatte, selbst ein Kind zu bekommen, wurde ihre Herzerkrankung noch einmal zum Risikofaktor.
Es haben noch nicht viele Patientinnen mit Rominas Herzfehler das Erwachsenenalter erreicht. Dementsprechend wenig Erfahrung gibt es mit Schwangerschaften und Geburten. „Ich habe das mit meiner Ärztin, Frau Prof. Stiller, besprochen. Sie hat eine Herzkatheteruntersuchung durchgeführt und schließlich gemeint, wir könnten das Risiko eingehen. Klar war das heikel, aber ich wollte unbedingt ein Kind haben“, sagt Romina.
Um ihr Herz zu stärken, war sie erst in einer Reha-Maßnahme und hat im Abschluss viermal pro Woche Sport getrieben. „So – zusammen mit einer sehr guten ärztlichen Betreuung – hat alles gut geklappt“, sagt sie und strahlt. Bei der Entbindung selbst ist ein Kardiologe anwesend – und auch ein Anästhesist, der sich mit dem Einkammerherz auskennt. „Für uns Eltern war das noch einmal richtig aufregend“, sagt Rominas Vater. Dann lächelt auch er und schaukelt liebevoll seinen gesunden Enkel auf dem Schoß.
Prof. Brigitte Stiller, Ärztliche Direktorin der Klinik für Angeborene Herzfehler und Pädiatrische Kardiologie des Universitäts-Herzzentrums Freiburg-Bad Krozingen, ist die Kardiologin von Romina. Sie betreute die junge Frau auch während der Schwangerschaft.
Prof. Brigitte Stiller: „Wir sprechen von einem angeborenen Herzfehler, wenn bereits im Mutterleib eine Fehlprogrammierung in der Herzentwicklung des Fötus stattgefunden hat. Diese kann die Herzkammern, -klappen oder Blutgefäße betreffen. Häufig treten auch kombinierte Formen auf. Das Spektrum dieser Fehlbildungen ist sehr groß – es reicht von unkomplizierten, leicht behandelbaren Formen bis zu sehr schweren Herzerkrankungen, die lebensbedrohlich sein können.“
Prof. Stiller: „Genau kann man das leider noch nicht sagen. Als Ursachen kommen genetische Faktoren, aber auch mütterliche Erkrankungen wie Diabetes oder Infektionskrankheiten in Frage. Auch Alkohol in der Frühschwangerschaft und die Einnahme bestimmter Medikamente erhöhen das Risiko. Da ist noch weitere Forschung nötig.“
Prof. Stiller: „In Deutschland kommen pro Jahr etwa 8000 Kinder mit einem Herzfehler zur Welt. Knapp die Hälfte von ihnen hat sehr schwere Herzfehler, an denen sie vor etwa 50 Jahren noch gestorben wären. Mittlerweile erreichen mehr als 90 Prozent dieser Kinder das Erwachsenenalter. Viele Ärzte und Ärztinnen sind auf diese neue Patientengruppe wenig vorbereitet, da es die Gruppe von Erwachsenen mit angeborenen Herzfehlern (EmaH) bis vor wenigen Jahren noch nicht gab.“
Prof. Stiller: „Heutzutage stellen wir viele angeborene Herzfehler schon pränatal, also vor der Geburt, durch eine Ultraschalluntersuchung fest. Für die betroffenen Eltern biete ich in der Klinik regelmäßig individuelle Beratungen an. Dort erkläre ich ausführlich, welches Herzproblem vorliegt und wie es sich voraussichtlich entwickeln wird. Ob und wann beispielsweise Operationen nötig werden – oder nicht. Viele harmlosere Herzfehler fallen auch erst nach Monaten oder Jahren auf, wenn das Herz zum Beispiel bei Vorsorgeuntersuchungen auffällige Geräusche macht. Als Romina 1993 geboren wurde, war die Pränataldiagnostik noch nicht so weit – damals hat man meist erst durch die Blauverfärbung der Haut gemerkt, dass etwas nicht stimmt.“
Prof. Stiller: „Dieser Herzfehler fällt meistens schon bei den Voruntersuchungen während der Schwangerschaft auf. Dann muss man den Eltern leider sagen, dass ein beschwerlicher Weg vor ihnen liegt, weil auch heute noch mindestens drei Operationen nötig sind, damit der Blutkreislauf ihres Kindes funktionieren kann. Gleichzeitig versuchen wir, die Eltern auch emotional auf das Leben mit einem herzkranken Kind vorzubereiten.“
Prof. Stiller: „Das ist natürlich sehr belastend. Oft ist die Folge, dass Kinder mit angeborenen Herzfehlern von ihren Eltern in ihrem Tun sehr eingeschränkt werden. Auch wenn der Herzfehler objektiv kein Problem mehr darstellt, findet häufig eine Überprotektion statt. Das führt langfristig zu einer reduzierten Frustrationstoleranz bei den Kindern. Es gibt Untersuchungen, die zeigen, dass das spätere lebenslange Bindungsverhalten dieser Kinder schwieriger ist als bei der Normalbevölkerung. Da müssen wir als Kinderärzte und Kinderärztinnen den Eltern, Kindern, Jugendlichen und jungen Erwachsenen das richtige Selbstvertrauen in ihr Herz und ihre Belastbarkeit vermitteln.
Prof. Stiller: „Erwachsene mit angeborenen Herzfehlern haben oft einen höheren Versorgungsaufwand als andere Patienten und Patientinnen, weil auch nicht-medizinische Aspekte eine Rolle spielen – wie die Berufs- oder Sportwahl. Manche benötigen auch eine psychologische Mitbetreuung, je nachdem, wie komplex der Herzfehler und wie stabil die Psyche der Betroffenen ist.“
Prof. Stiller: „Viele müssen regelmäßig blutverdünnende Medikamente einnehmen – dann sollten sie zum Beispiel eher keinen verletzungsträchtigen Beruf wählen. Liegen bestimmte Rhythmusstörungen vor, raten wir davon ab, beispielsweise als Dachdecker zu arbeiten. Leiden die Betroffenen unter einer Herzschwäche, einer Herzinsuffizienz, oder ist ihre Belastbarkeit eingeschränkt, helfen wir dabei, einzuschätzen, was sie sich zutrauen können. Dann machen wir mit diesen jungen Erwachsenen Belastungsuntersuchungen, sodass wir genau sagen können, wie stark sie körperlich eingeschränkt sind. Das Ziel ist immer, dass jeder das machen kann, was ihm am meisten Freude bereitet. Und dann müssen wir schauen, ob und wie man das hinkriegt.“
Prof. Stiller: „Das hängt immer von der Fehlbildung ab. Romina zum Beispiel würde – selbst wenn sie hart trainieren würde – keine sportlichen Höchstleistungen schaffen.“
Prof. Stiller: „Man muss über die Einnahme bestimmter Medikamente nachdenken. Einige können in der Schwangerschaft und Stillzeit Nebenwirkungen haben. Zudem geht eine Schwangerschaft mit einer erheblichen zusätzlichen Kreislaufbelastung einher – und zwar nicht erst im letzten Drittel, sondern schon relativ früh. Das Herz muss ein Viertel mehr arbeiten. Und das dauerhaft! Da ist eine enge und gute Betreuung wichtig. Wir haben Romina damals intensiv untersucht und genau mit ihr besprochen, wo die Risiken liegen.“
Prof. Stiller: „Sie sollten auf eine gesunde Ernährung und ausreichend Bewegung achten, weil ein Übergewicht das Herz und das schwächere Kreislaufsystem belasten. Auch die Lunge muss gepflegt und gut erhalten werden – die Betroffenen sollten also nicht rauchen. Alkoholexzesse könnten zu Rhythmusstörungen führen. Zudem müssen die verschriebenen Medikamente regelmäßig und ein Leben lang genommen werden. Dennoch sagen viele Erwachsene mit angeborenen Herzfehlern, dass sie sich gesund und kaum eingeschränkt fühlen.“