Telemedizinische Aufklärung – Grundlagen und Grenzen

 

In welchen Fällen ist die telemedizinische Aufklärung erlaubt und was gilt es dabei zu beachten? Der Rubrikleiter Medizin & Recht, Prof. Michael Lindemann, und Jan Bauerkamp (Universität Bielefeld) geben Auskunft.

Von:

Prof. Michael Lindemann & Jan Bauerkamp

Fakultät für Rechtswissenschaft, Universität Bielefeld

 

27.11.2025

 

Bildquelle (Bild oben): Stock Studio 4477 / Shutterstock.com

Im Klinik- und Praxisalltag ist Zeit rar. Gleichzeitig ist eine hinreichende Aufklärung der Patientinnen und Patienten über ihre Diagnose, den Heileingriff sowie die damit verbundenen Risiken unerlässlich – die wiederum durchaus zeitintensiv sein kann. Da mittlerweile z. B. Videotelefonie die Möglichkeit bietet, über größere Distanzen hinweg zu kommunizieren, ohne hierfür einen Termin im Behandlungszimmer abhalten zu müssen, liegt es nahe, in dieser Richtung nach zeitlicher Entlastung und Flexibilisierung zu suchen. Vor dem Hintergrund der an anderer Stelle schon herausgearbeiteten Relevanz der Aufklärung für die Einwilligung stellt sich allerdings die Frage, ob eine ärztliche Aufklärung über Fernkommunikationsmittel (im Folgenden: telemedizinische Aufklärung) den rechtlichen Vorgaben genügt, und welche Aspekte in dieser Hinsicht zu beachten sind. 

(Straf-)Rechtliche Situation

 

Während die zeitlichen Vorteile des Einsatzes moderner Kommunikationsmittel bei der Patientenaufklärung auf der Hand liegen, sind die rechtliche Zulässigkeit und Einzelheiten der Nutzung durchaus diskussionsbedürftig.

1. Zulässigkeit der Nutzung von Fernkommunikationsmitteln

§ 7 MBO-Ä – Behandlungsgrundsätze und Verhaltensregeln


(4) 1Ärztinnen und Ärzte beraten und behandeln Patientinnen und Patienten im persönlichen Kontakt. 2Sie können dabei Kommunikationsmedien unterstützend einsetzen. 3Eine ausschließliche Beratung oder Behandlung über Kommunikationsmedien ist im Einzelfall erlaubt, wenn dies ärztlich vertretbar ist und die erforderliche ärztliche Sorgfalt insbesondere durch die Art und Weise der Befunderhebung, Beratung, Behandlung sowie Dokumentation gewahrt wird und die Patientin oder der Patient auch über die Besonderheiten der ausschließlichen Beratung und Behandlung über Kommunikationsmedien aufgeklärt wird.

§ 7 Abs. 4 MBO-Ä legt nahe, dass berufsrechtlich eine Aufklärung zumindest dort mittels „Kommunikationsmedien“ möglich ist, wo nach den in Absatz 4 festgelegten Grundsätzen die ausschließlich telemedizinische Behandlung und Beratung zulässig ist. Maßgeblich für die Beurteilung ist demnach, ob der Medieneinsatz ärztlich vertretbar ist und hierbei die gebotene ärztliche Sorgfalt gewahrt wird. Auch jenseits dieser ausschließlich telemedizinischen Behandlung ist die Nutzung von „Kommunikationsmedien“ unterstützend zum in Satz 1 geforderten grundsätzlich persönlichen Kontakt bei der Beratung möglich.1 Eine definitive Aussage zur straf- und haftungsrechtlichen Zulässigkeit einer Aufklärung unter Nutzung von Videotelefonie, Telefon und Co. ist damit allerdings nicht verbunden.


Insofern ist ein Blick auf die zivilrechtlichen Regelungen zu Einwilligung und Aufklärung aufschlussreich.

§ 8 S. 2 MBOÄ spricht darüber hinaus für die Aufklärung vom „persönlichen Gespräch“.

§ 630e BGB – Aufklärungspflichten

(2) 1Die Aufklärung muss

 

  1. mündlich durch den Behandelnden oder durch eine Person erfolgen, die über die zur Durchführung der Maßnahme notwendige Ausbildung verfügt; ergänzend kann auch auf Unterlagen Bezug genommen werden, die der Patient in Textform erhält,
  2. so rechtzeitig erfolgen, dass der Patient seine Entscheidung über die Einwilligung wohlüberlegt treffen kann,
  3. für den Patienten verständlich sein.

 

2Dem Patienten sind Abschriften von Unterlagen, die er im Zusammenhang mit der Aufklärung oder Einwilligung unterzeichnet hat, auszuhändigen.

Der Wortlaut des § 630e Abs. 2 S. 1 Nr. 1 BGB lässt den Rechtsanwender für sich genommen allerdings im Stich und beschränkt sich auf die Normierung des sog. Mündlichkeitsprinzips. Zwar mag der Gesetzgeber hierbei ursprünglich das persönliche Gespräch im Sinn gehabt haben; zwingend ist diese Beschränkung jedoch nicht. Ob die Nutzung von Fernkommunikationsmitteln den Anforderungen genügt, hängt vielmehr davon ab, ob der Sinn des normierten Mündlichkeitsprinzips mit der konkret gewählten Kommunikationsmethode gewahrt bleibt. Demnach hat die Aufklärung zwischen Ärztinnen und Ärzten wie Patientinnen und Patienten im Grundsatz mündlich stattzufinden, um letzteren die Möglichkeit zu geben, im Zweifelsfall Rückfragen zu stellen und so einen genauen Überblick über die für die Entscheidungsfindung wesentlichen Informationen zu gewinnen. Überdies sollen auch die behandelnden Ärztinnen und Ärzte sich einen Eindruck davon verschaffen können, ob die zu behandelnde Person hinreichend informiert wurde.

 
Bedenkt man, dass bei stabiler Verbindung und hinreichender technischer Ausstattung eine nahezu versatzlose Kommunikation via Video-Telefonie möglich ist und darüber hinaus Unterlagen über einschlägige Tools parallel geteilt werden können, ist nur schwer ersichtlich, weshalb die Ziele des Mündlichkeitsprinzips nicht auch auf diesem Wege zu erreichen sein sollten. In diesem Sinne hat sich mittlerweile auch der Gesetzgeber im Zuge des Verfahrens zur Verabschiedung des Digitale-Versorgung-Gesetzes (DVG) positioniert, indem er auf eine entsprechende Ergänzung des § 630e Abs. 2 S. 1 Nr. 1 BGB mit der Begründung verzichtete, eine Aufklärung im Wege der Fernkommunikation könne bereits nach geltendem Recht erfolgen, solange die eingesetzten Telekommunikationsmittel „den unmittelbaren sprachlichen Austausch zwischen dem Patienten und dem Behandelnden“ zuließen.2


Anders als bei der Aufklärung mittels Videotelefonie dürfte sich die Situation bei der ausschließlich telefonischen Aufklärung darstellen: Hier könnte es im Einzelfall durchaus schwierig werden, die an anderer Stelle herausgearbeiteten Anforderungen an die Patientenaufklärung einzuhalten und eine hinreichende Information der behandelten Person sicherzustellen – vor allem bei komplexen Sachverhalten mit unübersichtlicheren Risiko-Nutzen-Verhältnissen. Auch mag es Ärztinnen und Ärzten in einem Telefonat im Vergleich zum persönlichen Gespräch schwerer fallen, zu beurteilen, ob Patientinnen und Patienten die Informationen tatsächlich verinnerlicht haben. Das Risiko dieser Einschätzung tragen im Zweifel die Behandelnden.


Überdies bleibt es auch in diesem Kontext beim Grundsatz der uneingeschränkten Selbstbestimmung von Patientinnen und Patienten: Der Wunsch des bzw. der Behandelten nach einem persönlichen Aufklärungsgespräch in der Praxis darf nicht unter Hinweis auf die vergleichbare Informationslage im audio-visuellen bzw. telefonischen Kontakt zurückgewiesen werden.

2 [1] BT-Drs. 19/13438, S. 70. Zuvor mit Blick auf die Verwendung von Fernkommunikationsmitteln zu Aufklärungszwecken geäußerte Bedenken bestünden „angesichts der rasant gestiegenen und noch immer steigenden technischen Qualität und gesellschaftlichen Akzeptanz von Fernkommunikationsmitteln nicht mehr“.

2. Beachtenswertes bei der Aufklärung via Fernkommunikationsmittel

Neben den allgemeinen Anforderungen, denen die ärztliche Aufklärung unterliegt, ergeben sich aus der Nutzung von Fernkommunikationsmitteln spezifische Aspekte, auf die Ärztinnen und Ärzte achten sollten.

 

  • Zuvorderst bleibt sicherzustellen, dass tatsächlich die einwilligungsbefugte Person aufgeklärt wird – mehr als im persönlichen Gespräch birgt die Fernkommunikation das Risiko der Verwechslung.
  • Behandelnde müssen überdies vorab selbstständig einschätzen, ob die Aufklärung mit dem gewählten Setting möglich ist oder der spezielle Einzelfall eine Durchführung „face-to-face“ erfordert.
  • Patientinnen und Patienten müssen ebenso wie Ärztinnen und Ärzte mit der verwendeten Technik vertraut sein, sodass sich keine technischen Hemmnisse ergeben.
  • Zu beachten ist überdies, dass den Patientinnen und Patienten auch im digitalen Raum nicht durch eine bestimmte Art der Gesprächsführung das Gefühl gegeben werden darf, bereits vor vollendeten Tatsachen zu stehen. Unbedingt zu vermeiden ist eine Atmosphäre, in der für die behandelte Person relevante Fragen nicht gestellt werden können. Die zu gewährleistende Informationsdichte verändert sich durch die Wahl des Kommunikationsmediums nicht.
  • Auch sollten – falls eine telemedizinische Aufklärung gewählt wird – die Möglichkeiten der audio-visuellen Kommunikation so weit wie möglich ausgeschöpft werden, um so eine dem persönlichen Gespräch unter Anwesenden entsprechende Informationslage zu schaffen.
  • Handelt es sich um eine ausschließlich telemedizinisch durchgeführte Behandlung, ist überdies auf die Besonderheiten jener Behandlung einzugehen – dies ist freilich kein Spezifikum der Aufklärung via Fernkommunikation, sondern Ausfluss der allgemeinen Grundsätze.


Keineswegs (!) ausreichend ist überdies die alleinige Aufklärung über Textform, also etwa via Mail versandter Aufklärungsbögen oder mithilfe von Chat-Bots. Es bleibt bei der an anderer Stelle bereits hervorgehobenen Maßgabe, dass Aufklärungsbögen allein ergänzend, nicht aber ersetzend für ein ärztliches Gespräch eingesetzt werden dürfen. Dies hat der BGH in anderem Kontext jüngst abermals bestätigt und die Relevanz der mündlichen Aufklärung so noch einmal unterstrichen.3


Einschränkend ist anzumerken, dass die vorstehend dargestellten Grundsätze bisher noch keine höchstrichterliche Bestätigung erfahren haben, weshalb im Ergebnis eine gewisse Rechtsunsicherheit verbleibt: Die höchstrichterliche Rechtsprechung hatte, soweit ersichtlich, noch keinen Fall zu beurteilen, in dem die Zulässigkeit einer mittels audio-visueller Kommunikationsmittel durchgeführten Aufklärung in Rede stand. Mit Blick auf die telefonische Aufklärung urteilte der Bundesgerichtshof im Jahr 2010 restriktiv und beschränkte die Zulässigkeit des Einsatzes auf „einfach gelagerte Fälle“.4 Welche Fälle „einfach gelagert“ sind, lässt sich naturgemäß nur schwer einheitlich feststellen. Dass die Rechtsprechung hieran angesichts der erwähnten Positionierung des Gesetzgebers und der Tatsache, dass sich der persönliche Kontakt und der Austausch via Videotelefonie in den wesentlichen Aspekten nicht maßgeblich unterscheiden, festhalten wird, darf bezweifelt werden.

3 BGH, Urteil vom 05.11.2024 – VI ZR 188/23 (nachzulesen unter https://juris.bundesgerichtshof.de/cgi-bin/rechtsprechung/document.py?Gericht=bgh&Art=en&nr=140289&pos=0&anz=1). Schon der Leitsatz erweist sich als restriktiv, wenn die ergänzende Verwendung von Aufklärungsbögen als „zur Wiederholung des Gesagten (als Gedächtnisstütze), zur bildlichen Darstellung und zur Verbesserung des Verständnisses des mündlich Erläuterten und zur Vermittlung vertiefender Informationen, die hilfreich, für das Verständnis der Risiken aber nicht unbedingt notwendig sind“ definiert wird. 
4 BGH, Urteil vom 15.06. 2010 – VI ZR 204/09 (nachzulesen unter https://juris.bundesgerichtshof.de/cgi-bin/rechtsprechung/document.py?Gericht=bgh&Art=en&nr=52599&pos=0&anz=1). Als einfach gelagerter Fall wurde hierbei die Anästhesie im Zusammenhang mit einer Leistenhernien-Operation im Alter von drei Wochen kategorisiert. Zudem hatte der Vater am Tag der Operation noch die Gelegenheit, Fragen zu stellen.

Fazit

 

Ein Bedarf an der Nutzung von Fernkommunikationsmitteln im Rahmen der Aufklärung besteht schon aus zeitökonomischen Gesichtspunkten – sowohl auf Seiten der Behandelnden als auch der Seite der Behandelten. Auch außerhalb des Berufsrechts besteht, wie gesehen, die Möglichkeit, diesem Bedarf Rechnung zu tragen und gleichzeitig die Vorgaben des Behandlungsrechts zu wahren. Leitender Gedanke für die Beurteilung der Situation sollte dabei immer sein, ob mittels des gewählten Kommunikationsmittels eine mit einem persönlichen Gespräch vergleichbare Interessen- und Informationslage geschaffen werden kann – ist die Aufklärung für Patientinnen und Patienten wirklich vergleichbar mit einem persönlichen Gespräch? Bejahendenfalls steht dem Einsatz solcher Mittel in Absprache mit den Patientinnen und Patienten nichts entgegen.

Zum Autor

Prof. Michael Lindemann

Prof. Michael Lindemann ist Inhaber eines Lehrstuhls für Strafrecht, Strafprozessrecht und Kriminologie an der Universität Bielefeld. Daneben ist er Leiter der Vertrauensstelle Transplantationsmedizin, Koordinator des Bielefeld Center for Healthcare Compliance (BCHC) und Mitherausgeber und Redaktionsmitglied der Zeitschrift für Medizinstrafrecht (medstra). Prof. Lindemann ist Of Counsel der Kanzlei GNP Geiger Nitz Partner.

Bildquelle: Ronny Kretschmer / HKM

Zum Autor

Jan Bauerkamp

Jan Bauerkamp ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Lehrstuhl für Strafrecht, Strafprozessrecht und Kriminologie an der Universität Bielefeld. Seine Schwerpunkte umfassen u. a. zentrale Fragen des Strafrechts, seine verfassungsrechtlichen Bezüge und aktuelle strafrechtliche Entwicklungen.

Bildquelle: Ronny Kretschmer / HKM

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