Der Umgang mit Patientenverfügungen

 

Die Vornahme ärztlicher Maßnahmen oder deren Unterlassen kann potenziell eine Strafbarkeit und/oder eine zivilrechtliche Schadensersatzpflicht der behandelnden Personen begründen. Im Regelfall ist das Verhalten jedoch durch die Einwilligung des Patienten bzw. der Patientin gerechtfertigt und bleibt daher ohne rechtliche Konsequenzen. Wenn die Person zum Entscheidungszeitpunkt nicht einwilligungsfähig ist, kann die Patientenverfügung weiterhelfen. Was es dabei zu beachten gilt, erläutern Rubrikleiter Medizin & Recht, Prof. Michael Lindemann, und Jana Michna (Universität Bielefeld).

Von:

Prof. Michael Lindemann & Jana Michna

Fakultät für Rechtswissenschaft, Universität Bielefeld

 

27.10.2025

 

Bildquelle (Bild oben): Stock Studio 4477 / Shutterstock.com

Kann die von einer medizinisch indizierten Maßnahme betroffene Person aufgrund ihrer im Entscheidungszeitpunkt bestehenden Einwilligungsunfähigkeit keine ausdrückliche Einwilligung erteilen, soll ihr Wille dennoch Berücksichtigung finden. Eine Möglichkeit hierfür eröffnet die Patientenverfügung, in welcher die Entscheidung über die Zustimmung zu oder die Ablehnung von ärztlichen Maßnahmen antizipiert werden kann. Dies dient der Verwirklichung des verfassungsrechtlich in Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 und Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG geschützten Selbstbestimmungsrechts. Wie aus der Sicht des ärztlichen Personals mit einer solchen Verfügung umzugehen ist, soll in diesem Beitrag erläutert werden.

 

Zunächst einmal ist zu prüfen, ob sämtliche Voraussetzungen für eine wirksame Patientenverfügung vorliegen. Ist dies der Fall, ist sie für alle in den Entscheidungsprozess über die Vornahme oder das Unterlassen medizinischer Maßnahmen involvierten Personen (Ärzte und Ärztinnen, Betreuer und Betreuerinnen, Bevollmächtigte, Gerichte) verbindlich und der in ihr vermerkte Patientenwille umzusetzen. Sollte es an Wirksamkeitsvoraussetzungen fehlen, wird die Äußerung des Verfügenden regelmäßig dennoch bei der sodann vorzunehmenden Ermittlung des mutmaßlichen Willens gemäß § 1827 Abs. 2 BGB zu berücksichtigen sein.

Patientenverfügung - Adressaten

Besteht im Zeitpunkt der Entscheidung über die Umsetzung des in der Patientenverfügung festgehaltenen Willens keine Betreuung in Gesundheitsangelegenheiten, sind die behandelnden Ärzte und Ärztinnen im Falle des Vorliegens einer wirksamen Patientenverfügung nicht verpflichtet, beim Betreuungsgericht die Einrichtung einer Betreuung anzuregen. Sie haben die Wirksamkeitsprüfung und Auslegung der Patientenverfügung demnach selbst durchzuführen. Besteht allerdings bereits eine Betreuung, so darf nicht ohne Hinzuziehung der betreuenden Person gehandelt werden. Dabei sind die medizinisch indizierten Maßnahmen im Wege eines dialogischen Prozesses unter Berücksichtigung des Patientenwillens zu erörtern.

Unaufschiebbare Maßnahmen

 

Anderes gilt, wenn es sich bei der medizinisch indizierten Maßnahme um eine unaufschiebbare handelt. In diesen Fällen können die Ärzte und Ärztinnen die Patientenverfügung ohne Konsultation weiterer Adressaten und Adressatinnen auslegen und ggf. anwenden. Bestehen konkrete Zweifel an der Wirksamkeit der Patientenverfügung und kann diese Fragestellung nicht schnell genug gerichtlich geklärt werden, ist die Patientenverfügung allerdings als unwirksam zu behandeln und der mutmaßliche Patientenwille auf anderem Wege zu ergründen.

Wirksamkeitsvoraussetzungen (im Zeitpunkt des Verfassens der Patientenverfügung)

  • Volljährigkeit (Vollendung des 18. Lebensjahrs, § 2 BGB)
  • Einwilligungsfähigkeit
  • Schriftform, § 126 BGB (mindestens eigenhändige Unterschrift)
  • Bestimmtheit
  • Kein Widerruf
  • Einwilligungsunfähigkeit im Zeitpunkt der Entscheidung über die medizinisch indizierte Maßnahme

Einwilligungsfähigkeit

 

Für eine wirksame Patientenverfügung muss die verfügende Person im Zeitpunkt des Verfassens einwilligungsfähig gewesen sein.

 

Einwilligungsfähigkeit ist die natürliche Einsichts- und Steuerungsfähigkeit der betroffenen Person.

 

Eine Person gilt als einwilligungsfähig, wenn sie nach ihrer geistigen und sittlichen Reife die Bedeutung und Tragweite des Eingriffs und seiner Gestattung zu ermessen vermag. Die verfügende Person muss somit die medizinische Maßnahme nach ihrer Art, Bedeutung, Tragweite und ihren Risiken erfasst haben und in der Lage gewesen sein, ihren Willen hiernach zu bestimmen. Die Einwilligungsfähigkeit muss sich auf die konkreten ärztlichen Maßnahmen beziehen, die von der Patientenverfügung umfasst sein sollen. Liegen keine gegenteiligen Anhaltspunkte vor, ist bei einer volljährigen Person von ihrer Einwilligungsfähigkeit im Zeitpunkt der Errichtung der Patientenverfügung auszugehen.

Einwilligungsfähigkeit bei psychischen Erkrankungen

 

Bei Vorliegen psychischer Erkrankungen der die Patientenverfügung errichtenden Person, muss ihre Einwilligungsfähigkeit im Zeitpunkt der Errichtung der Verfügung möglicherweise genauer geprüft werden, um etwaige Selbstschädigungen durch unerkannt unwirksame Patientenverfügungen auszuschließen. Dabei ist allerdings zu beachten, dass es keine allgemeine Beurteilung des Vorliegens oder Nichtvorliegens der Einwilligungsfähigkeit bezogen auf psychische Erkrankungen gibt. Bestehen bei der Errichtung der Verfügung bereits Zweifel über die Einwilligungsfähigkeit oder soll die Rechtssicherheit für einen späteren Zeitpunkt erhöht werden, kann ein ärztliches Attest oder Kurzgutachten über das Vorliegen der Einwilligungsfähigkeit der Patientenverfügung beigefügt werden.

Bestimmtheit

 

Des Weiteren muss die Patientenverfügung hinreichend bestimmt sein. Das bedeutet, dass in ihr eine bestimmte ärztliche Maßnahme umschrieben werden muss. Dies gilt unabhängig von der Art und dem Stadium einer Erkrankung (§ 1827 Abs. 3 BGB), umfasst somit nicht nur Fragen am Lebensende einer Person. Zum einen muss die konkrete Behandlungssituation, in der eine medizinische Maßnahme vorgenommen oder unterlassen werden soll, bestimmt beschrieben worden sein. Gemeint ist der konkrete Gesundheitszustand der Person. 


Beispiel: eindeutige medizinische Feststellung dergestalt, dass keine Aussicht auf Wiedererlangung des Bewusstseins besteht 

 

Zum anderen muss die gewünschte oder unerwünschte ärztliche Maßnahme ihrer Art nach bestimmt beschrieben worden sein.

 

Beispiele: künstliche Ernährung, Beatmung, Dialyse, Organersatz, Wiederbelebung, Verabreichung von Medikamenten

 

Dabei ist selbstverständlich nicht dieselbe Präzision wie bei einer Einwilligung in die Vornahme einer dem Patienten bzw. der Patientin unmittelbar angebotenen Behandlungsmaßnahme zu erwarten. Dennoch muss der Wille der verfügenden Person durch Auslegung zweifellos feststellbar sein. Dabei sind unter Umständen weitere Erkenntnisquellen, wie beispielsweise Angehörige oder nahestehende Personen, heranzuziehen. Da eine Patientenverfügung zeitlich unbegrenzt gilt, kann ihre Errichtung unter Umständen lange zurückliegen. Und weil Patienten und Patientinnen medizinischen Fortschritt bei der Errichtung ihrer Verfügung nicht antizipieren können, muss in diesen Fällen geprüft werden, ob die Übertragung auf die aktuelle Person durch Auslegung möglich ist und die Person am vorher geäußerten Willen festhalten möchte.


Achtung: Nicht verzichtet werden kann auf die sogenannte Basisbetreuung: eine menschenwürdige Unterbringung, Körperpflege sowie das Stillen von Hunger und Durst auf natürlichem Wege. Zudem darf die Patientenverfügung nicht an Bedingungen geknüpft sein. 

Beispiel (BGH, Beschluss vom 14.11.2018 – XII ZB 107/18, NJW 2019, 600)


„Für den Fall, dass ich (…) aufgrund von Bewußtlosigkeit oder Bewußtseinstrübung (…) nicht mehr in der Lage bin, meinen Willen zu äußern, verfüge ich:

 

Solange eine realistische Aussicht auf Erhaltung eines erträglichen Lebens besteht, erwarte ich ärztlichen und pflegerischen Beistand unter Ausschöpfung der angemessenen Möglichkeiten. Dagegen wünsche ich, dass lebensverlängernde Maßnahmen unterbleiben, wenn medizinisch eindeutig festgestellt ist,

 

  • dass ich mich unabwendbar im unmittelbaren Sterbeprozess befinde, bei dem jede lebenserhaltende Therapie das Sterben oder Leiden ohne Aussicht auf Besserung verlängern würde, oder
  • dass keine Aussicht auf Wiedererlangung des Bewußtseins besteht, oder
  • dass aufgrund von Krankheit oder Unfall ein schwerer Dauerschaden des Gehirns zurückbleibt, oder
  • dass es zu einem nicht behandelbaren, dauernden Ausfall lebenswichtiger Funktionen meines Körpers kommt.

 

Behandlung und Pflege sollen in diesen Fällen auf die Linderung von Schmerzen, Unruhe und Angst gerichtet sein, selbst wenn durch die notwendige Schmerzbehandlung eine Lebensverkürzung nicht auszuschließen ist. Ich möchte in Würde und Frieden sterben können, nach Möglichkeit in meiner vertrauten Umgebung.

 

Aktive Sterbehilfe lehne ich ab. Ich bitte um menschliche und seelsorgerische Begleitung.“

In diesem Beispielsfall musste geprüft werden, ob ein Abbruch der künstlichen Ernährung der Patientin aufgrund ihrer Patientenverfügung gerechtfertigt war. Der BGH entschied, dass die aufgeführte Patientenverfügung den Bestimmtheitsanforderungen genügt. Zwar enthalte die Äußerung, keine lebenserhaltenden Maßnahmen zu wünschen, für sich keine hinreichend konkrete Behandlungsentscheidung. Im Zusammenhang mit der Bezugnahme auf spezifische Behandlungssituationen genüge sie dennoch in diesem Fall den Anforderungen. Die Betroffene habe vorliegend hinreichend konkret beschrieben, dass ihre Verfügung für Fälle gelten soll, in denen keine Aussicht auf Wiedererlangung des Bewusstseins besteht. Gleichzeitig wurden Aussagen nahestehender Personen ermittelt, nach denen die Betroffene vor ihrer Erkrankung mehrfach geäußert habe, nicht künstlich ernährt werden zu wollen. Der Abbruch künstlicher Ernährung stehe ebenfalls nicht in Widerspruch zu der Aussage „Aktive Sterbehilfe lehne ich ab“. Durch Gesamtschau der Patientenverfügung und Auslegung mit Hilfe der Zeugenaussagen, konnte der Wunsch, die lebensverlängernde Maßnahme der künstlichen Ernährung abzubrechen, sicher festgestellt werden.

Kein Widerruf

 

Liegen die bisher genannten Voraussetzungen vor, muss noch ermittelt werden, ob die Patientenverfügung mittlerweile widerrufen wurde. Dies ist jederzeit und formlos möglich; der Wunsch auf Nichtfesthalten an der Verfügung kann also auch non-verbal geäußert werden. Ob ein derartiger Widerruf vorliegt und die Patientenverfügung dementsprechend unwirksam geworden ist, ist unter anderem bei den gemäß § 1828 BGB zu führenden Gesprächen mit Angehörigen und Vertrauenspersonen herauszufinden.

 

Obschon für den Widerruf ebenso wie für die Errichtung der Patientenverfügung nach zutreffender Ansicht Einwilligungsfähigkeit zu fordern ist, sind gegenläufige Äußerungen einer zum Entscheidungszeitpunkt einwilligungsunfähigen Person keineswegs unbeachtlich. Sie sind vielmehr in die Prüfung der Übereinstimmung der Patientenverfügung mit der aktuellen Lebens- und Behandlungssituation einzubeziehen. Eine zwangsweise Umsetzung des in der Patientenverfügung dokumentierten Willens gegen den aktuell von der betroffenen Person geäußerten Willen scheidet in aller Regel aus.

Einwilligungsunfähigkeit im Zeitpunkt der medizinisch indizierten Maßnahme

 

Die Patientenverfügung erlangt nur dann Bedeutung für das Tätigwerden oder Untätigbleiben des behandelnden Personals, wenn die verfügende Person zwischenzeitig einwilligungsunfähig geworden ist. Ist dies nicht der Fall, entscheidet die betroffene Person selbst über die Vornahme oder das Unterlassen der ärztlichen Maßnahme.

 
Einwilligungsunfähig ist, wer die Art, die Bedeutung und die Tragweite bzw. Folgen der Maßnahme auch nach ärztlicher Aufklärung nicht verstehen oder seinen Willen nicht danach bestimmen kann.


Einwilligungsunfähigkeit kann das Ergebnis eines fortschreitenden krankhaften Prozesses, einer plötzlich auftretenden Erkrankung oder eines Unfalls sein.

 

Beispiele: neurodegenerative Erkrankungen, z. B. Alzheimer; Schlaganfall, Herzinfarkt; Schädel-Hirn-Trauma mit Bewusstlosigkeit, Koma

 

Ärzte und Ärztinnen haben die Einwilligungsunfähigkeit für die konkret indizierte Maßnahme im Rahmen eines Aufklärungsgesprächs festzustellen. In Zweifelsfällen ist ein psychiatrisches oder neurologisches Konsil einzuholen.

Verhältnis der Patientenverfügung zur Vorsorgevollmacht

 

Hat eine Person neben der Patientenverfügung auch eine Vorsorgevollmacht (d. h. eine Vollmacht für eine andere Person zur Wahrnehmung der Angelegenheiten speziell für den Fürsorgefall) errichtet, dann ist die Patientenverfügung vorrangig zu beachten. Die bevollmächtigte Person ist sodann allerdings am Behandlungsprozess zu beteiligen. Sie hat sämtliche Entscheidungen zu treffen, über die nicht in der Patientenverfügung verfügt wurde (z. B. die Wahl der behandelnden Ärzte und Ärztinnen, die Entscheidung über die Vornahme bestimmter Untersuchungen).

Zum Autor

Prof. Michael Lindemann

Prof. Michael Lindemann ist Inhaber eines Lehrstuhls für Strafrecht, Strafprozessrecht und Kriminologie an der Universität Bielefeld. Daneben ist er Leiter der Vertrauensstelle Transplantationsmedizin, Koordinator des Bielefeld Center for Healthcare Compliance (BCHC) und Mitherausgeber und Redaktionsmitglied der Zeitschrift für Medizinstrafrecht (medstra). Prof. Lindemann ist Of Counsel der Kanzlei GNP Geiger Nitz Partner.

Bildquelle: Ronny Kretschmer / HKM

Zur Autorin

Jana Michna

Jana Michna ist wissenschaftliche Mitarbeiterin am Lehrstuhl für Strafrecht, Strafprozessrecht und Kriminologie an der Universität Bielefeld.

Bildquelle: Ronny Kretschmer / HKM

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