HERZMEDIZIN: Bald erscheint der DGK-Kommentar zum ESC Focused Update der Herzinsuffizienz-Leitlinien. Können Sie uns einen Überblick zu den Neuerungen geben?
Böhm: Das Focused Update schloss alle klinisch relevanten Studien ein, die bis zum 31. März 2023 erschienen sind. Hierbei handelt es sich um Studien zu SGLT2-Inhibitoren (SGLT2i) bei Herzinsuffizienz mit erhaltener und leicht eingeschränkter Ejektionsfraktion (HFpEF, HFmrEF), Studien um eine neue Bewertung zur intravenösen Therapie mit den Eisenpräparaten Ferricarboxymaltose und Ferriderisomaltose, Studien mit Patient:innen mit Niereninsuffizienz und Diabetes mit SGLT2i zur Prävention der Herzinsuffizienz sowie eine Studie zur Strategie einer raschen Therapieimplementierung bei Herzinsuffizienz nach Rekompensation nach einer akuten Syndrom-Verschlechterung.
HERZMEDIZIN: Welche Studienergebnisse haben maßgeblich zur Aktualisierung der Empfehlungen beigetragen?
Böhm: Die EMPEROR-Preserved- und die DELIVER-Studie zeigten eine große Übereinstimmung in der Abnahme von Herzinsuffizienzhospitalisierung und kardiovaskulärem Tod bei Patient:innen mit einer Ejektionsfaktion > 40 %. Eine Metaanalyse unterstrich die Homogenität der Studienergebnisse. Aufgrund des Vorliegens zweier großer, randomisierter Studien und einer konsistenten Metaanalyse erfolgte somit die Klasse-IA-Empfehlung zur SGLT2i-Behandlung von HFpEF- und HFmrEF-Patient:innen.
Die Empfehlung zur Eisentherapie wurde durch die AFFIRM-AHF- und die IRONMAN-Studie gestärkt. Hier gibt es jetzt eine klare Klasse-IA-Empfehlung zur Verbesserung der Lebensqualität und der Belastbarkeit.
Da gezeigt werden konnte, dass bei Patient:innen mit Niereninsuffizienz eine Therapie mit SGLT2i und dem Mineralokortikoidrezeptor-Antagonisten Finerenon das Neuauftreten einer Herzinsuffizienz reduziert, erhielten diese Substanzen eine Klasse-IA-Empfehlung zur Prävention der Herzinsuffizienz.
Die STRONG-HF-Studie zeigte, dass nach Rekompensation einer Herzinsuffizienz durch einen frühen Therapiebeginn, eine intensive Nachverfolgung und eine Therapieintensivierung nach Krankenhausaufenthalt eine bedeutsame Reduktion von Sterblichkeit und Rehospitalisierung innerhalb von 6 Monaten nach Entlassung erreicht werden kann. Daher besteht jetzt eine klare Empfehlung (Klasse IB) zum Therapiebeginn im Krankenhaus und zur intensiven Nachverfolgung der Patient:innen in kurzen Intervallen unmittelbar nach Entlassung.
HERZMEDIZIN: Welche Herausforderungen könnten sich für Kardiologinnen und Kardiologen bei der Umsetzung der neuen Leitlinien ergeben und wie können sie diesen begegnen?
Böhm: Die Empfehlungen bieten eine Vielzahl an Therapieansätzen. Eine Herausforderung liegt in der effektiven Umsetzung. Zur Diskussion wird sicher stehen, wie Patient:innen nach ihrer Entlassung aus dem Krankenhaus zeitnah in den Praxen betreut werden können. Kapazitätsengpässe in der ambulanten Versorgung könnten hier eine bedeutende Rolle spielen.
Zudem besteht bei der Einführung neuer Therapien immer eine gewisse Zeitverzögerung bis zur Umsetzung. Umso wichtiger ist es, Therapien wie den SGLT2i-Einsatz aufgrund der guten Verträglichkeit und zum Schutz der Nieren bei eingeschränkter Nierenfunktion frühzeitig zu implementieren. Zur Verbesserung der Adhärenz sollten die Patient:innen umfassend über die Therapievorteile aufgeklärt werden.
HERZMEDIZIN: Welche anstehenden oder laufenden Studien könnten in absehbarer Zeit weiteren Einfluss auf die Leitlinien bei Herzinsuffizienz nehmen?
Böhm: Studien zu HFpEF mit GLP-1-Rezeptor-Agonisten (GLP, Glucagon-like Peptide), die möglicherweise über eine Abnahme des Körpergewichtes bei Adipositas wirksam werden, aber auch direkte Effekte vermitteln, sind bereits publiziert. Es bleibt abzuwarten, ob ein Einsatz auch bei anderen Formen der Herzinsuffizienz sinnvoll ist. Weiterhin gibt es hervorragende Entwicklungen zur medikamentösen Therapie spezifischer Kardiomyopathien wie der hypertrophen Kardiomyopathie mit Mavacamten und zu Therapien der kardialen Amyloidose. Das ermöglicht wahrscheinlich in Zukunft, spezifische Myokarderkrankungen direkt und mechanistisch zu behandeln.