In der Studie von Ho et al. wurde die Wirksamkeit von drei verschiedenen Ansätzen mit Textnachrichten (SMS) im Vergleich zur Standardversorgung ohne Erinnerungsnachrichten untersucht.1 Der Beobachtungszeitraum betrug 12 Monate. An der Studie nahmen rund 9.500 Erwachsene in den USA teil (Durchschnittsalter: 60 Jahre; 47 % Frauen; 16 % Black; 49 % Hispanic). Einschlusskriterien waren mindestens eine kardiovaskuläre Erkrankung und entsprechende Dauermedikation sowie eine mindestens 7-tägige Lücke in der Medikamenten-Versorgung durch nicht rechtzeitige Nachbeschaffung seitens der Betroffenen.
Die Teilnehmenden wurden randomisiert einem von 4 Interventionsansätzen zugeordnet:
- Generische Textnachricht: Eine einfache Erinnerung an die Nachbeschaffung der Medikamente
- „Behavioral Nudge“-Textnachricht: Erinnerung inklusive verhaltenspsychologischer Anstöße zur Adhärenz-Förderung
- Nudge-Textnachricht plus Chatbot: Motivierende Erinnerung ergänzt durch eine Chatbot-Funktion mit vordefinierten Antworten
- Standardversorgung: Keine Textnachrichten
Die Patientinnen und Patienten erhielten bei einer mindestens 7-tägigen Versorgungslücke bis zu 5 Erinnerungsnachrichten innerhalb von 10 Tagen. Personen ohne Mobiltelefon (9 %) erhielten die Erinnerungen als Sprachnachricht auf das Festnetz-Telefon.
Beispiele für verwendete Nachrichten-Varianten:
Nach 12 Monaten betrug der Anteil der medikamentös abgedeckten Tage (Proportion of Days Covered, PDC) 62,0 % bei generischen Erinnerungen, 62,3 % bei Nudge-Textnachrichten, 63,0 % bei Nudge-Texten plus Chatbot sowie 60,6 % bei der Standardversorgung. Die Unterschiede waren nach Korrektur für Mehrfachvergleiche statistisch nicht signifikant. Zudem konnten keine Unterschiede bei klinischen Ereignissen zwischen den Studiengruppen festgestellt werden.
Als Limitationen führten die Studienverantwortlichen an, dass nicht alle Medikamenten-Nachbeschaffungen über das Apotheken-System erfasst werden konnten, beispielsweise bei Nutzung von Rabattkarten. Außerdem könnten bereits vorhandene Erinnerungssysteme von Apotheken die Wirksamkeit der Studieninterventionen geschmälert haben.
Die Forschenden vermuten als Grund für die fehlende Wirksamkeit der Texterinnerungen, dass die mangelnde Medikamenten-Adhärenz unterschiedliche Gründe haben kann, die differenziert adressiert werden müssen. Sie sehen jedoch Texterinnerungen weiter als einen potenziellen, kostengünstigen Ansatz und empfehlen für zukünftige Studien ein adaptives Design, bei dem Betroffene, die auf erste Interventionen zur Adhärenz-Förderung nicht ansprechen, intensivere Maßnahmen erhalten.
Nach Thaler und Sunstein beschreibt der nicht einfach zu übersetzende englische Begriff „Nudge“ einen mehr oder weniger subtilen Anstoß zur Verhaltensänderung.2 Dabei geht es nicht um Verbote, Gebote oder ökonomische Anreize, sondern um eine Beeinflussung unserer Entscheidungsarchitektur.
Herzmedizin.de hat kürzlich über die positive Studie NUDGE-FLU3 berichtet. Diese große gepoolte Analyse an über 2 Millionen Däninnen und Dänen zeigt, dass gezielte E-Mail-Botschaften zu kardiovaskulären Vorteilen von Grippeimpfungen die Impfquote erhöhen konnten. Der Effekt war besonders ausgeprägt bei Personen mit vorherigem Herzinfarkt.
Auf der anderen Seite zeigt die oben referierte, sehr gut durchgeführte Studie, dass entgegen aller Erwartungen keine der drei von Ho und seinem Team gut überlegten und getesteten „Nudging“-Strategien die Medikamenten-Einnahmetreue verbessern konnte.
Aus Perspektive der Gesundheitsversorgung kann demnach „Nudging“, z. B. per SMS-/E-Mail-Nachricht oder App, eine sehr kostengünstige und potentiell hocheffektive Methode zur Verhaltensprävention darstellen (Beispiel NUDGE-FLU). Auf der anderen Seite ist die Wirkung von Benachrichtigungen und Apps alles andere als ein Automatismus (Beispiel Ho et al.). Im Falle einer unbekannten oder fehlenden Wirksamkeit können Maßnahmen bevormunden, die Lebensqualität reduzieren und als paternalistisch wahrgenommen werden.
Das Thema hat große Bedeutung, allein im Google Play Store sind über 36.000 verschiedene Gesundheits-Apps verfügbar.4 Die Wirksamkeit des weitaus größten Teils ist fraglich oder unbekannt. Es scheint also auch bei diesem Thema keine Abkürzung zu qualitativ hochwertigen klinischen Prüfungen zu geben, die wirksame von unwirksamen Interventionen differenzieren.