Weder der Einsatz digitaler klinischer Entscheidungstools noch die Nutzung von Künstlicher Intelligenz (AI/KI) erhielt bislang breiten Einzug in das Setting einer Notaufnahme. Insbesondere bei der komplexen Einordnung erhöhter hochsensitiver Troponinwerte unter Berücksichtigung der 4. Definition des Myokardinfarktes – mitunter durch Notaufnahmepersonal mit geringer kardiologischer Expertise – würde man sich langfristig Vorteile versprechen.
Ziel der Studie war es, die Wirksamkeit und Sicherheit eines auf KI-basierten klinischen Entscheidungstools im Vergleich zur üblichen Standardversorgung bei Personen mit Thoraxschmerz und erhöhtem hochsensitiven Troponin in der Notaufnahme zu bestimmen.
Die multizentrische, clusterrandomisierte RAPIDxAI-Studie umfasste insgesamt 14.131 Personen, die sich in einer Notaufnahme vorstellten und bei Thoraxschmerz einen hochsensitiven Troponintest erhielten. Die Studie wurde in sechs städtischen und sechs ländlichen Notaufnahmen in Südaustralien zwischen dem 15. April und dem 31. Dezember 2023 durchgeführt. Sechs Krankenhäuser wurden zufällig der Kontrollgruppe (Standardversorgung) und sechs der Interventionsgruppe (Implementierung von AI-basierten klinischen Entscheidungshilfen) zugewiesen. In die primäre Intention-to-treat-Analyse wurden insgesamt 3.029 Patientinnen und Patienten (Kontrollarm: 1.461 Teilnehmende; Interventionsarm: 1.568 Teilnehmende; Durchschnittsalter: 74,5 Jahre; 58 % weiblich) mit einer nachgewiesenen Myokardschädigung (mindestens ein hochsensitiver Troponinwert ≥ 99. Perzentile des oberen Referenzwertes) und Verdacht auf eine kardiale Ursache einbezogen.
Der primäre Endpunkt umfasste kardiovaskuläre Sterblichkeit, neue/wiederkehrende Herzinfarkte sowie ungeplante Krankenhauswiederaufnahmen aus kardiovaskulärer Ursache innerhalb von 6 Monaten. Als Sicherheitsendpunkt fungierte Tod jeglicher Ursache oder Herzinfarkt innerhalb von 30 Tagen bei den Betroffenen, die direkt aus dem Notaufnahmesetting entlassen wurden.
Der Algorithmus lieferte diagnostische Wahrscheinlichkeiten für einen Typ-1- versus Typ-2-Herzinfarkt sowie für eine akute versus chronische Myokardschädigung. Die primäre Wirksamkeit bezogen auf den primären Endpunkt betrug in der Interventionsgruppe 26,0 % und in der Kontrollgruppe 26,4 % (Hazard Ratio 0,99; Konfidenzintervall 0,86–1,14; p = 0,872). Der primäre Sicherheitsendpunkt betrug in der Interventionsgruppe 0,86 % und in der Kontrollgruppe 1,1 % (p für Nichtunterlegenheit: <0,001).
Interessanterweise war die Durchführung einer invasiven Koronardiagnostik in Situationen, die nicht als Typ-1-Herzinfarkt klassifiziert wurden, in der Interventionsgruppe zu 47 % weniger wahrscheinlich als in der Standardversorgungsgruppe (66/1265; 5 % vs. 112/1186; 9,4 %). Demgegenüber erhielten Studienteilnehmenden, die vom AI-basierten Entscheidungstool als Typ-1-Infarkt klassifiziert wurden, in der Interventionsgruppe eher ein Statin (248/303; 82 % vs. 187/275; 68 %) und eher eine Thrombozytenaggregationshemmung (248/303; 56 % vs. 120/275; 44 %).
“Our large cluster-randomised trial involving patients presenting to the ED with suspected cardiac conditions across South Australia did not improve clinical outcomes, however it did highlight the ability of real-time AI to influence clinical decisions and practice towards evidence-based care. Greater adoption of AI insights and integration of AI insights within clinical workflows will likely be required to improve clinical outcomes”, sagte Referent Prof. Derek Chew.
Auch wenn die australische RAPIDxAI-Studie im Beobachtungszeitraum von 6 Monaten keine signifikante Reduktion von kardiovaskulärer Sterblichkeit, Herzinfarkten oder ungeplanten kardiovaskulären Krankenhauswiederaufnahmen bei Personen mit akutem Thoraxschmerz und erhöhtem hochsensitiven Troponin im Setting einer Notaufnahme durch AI-basierte klinische Entscheidungstools nachweisen konnte, so zeigt sie dennoch Nutzen und Sicherheit von KI-basierten klinischen Entscheidungshilfen in Hinblick auf evidenzbasierte medikamentöse Therapie, Indikationsstellung weiterer invasiver Abklärung sowie Tod jeglicher Ursache und Myokardinfarkt nach 30 Tagen.
Insgesamt ist es hocherfreulich, eine so große und methodisch gut gemachte Studie mit sogar multizentrischem Ansatz präsentiert zu bekommen. Auch wenn in der Gesamtheit kein Vorteil im primären Endpunkt aufgezeigt werden konnte, so zeigt doch zumindest die explorative Analyse unter Ausschluss der „einfach zu diagnostizierenden“ STEMIs einen signifikanten Vorteil in der verbleibenden „schwerer zu diagnostizierenden“ Gruppe in Bezug auf kardiovaskulären Tod und Myokardinfarkt im Follow-up über 180 Tage – insbesondere interessant für Kliniken, die keine direkte kardiologische Expertise im Akutsetting zur Verfügung stehen haben.