ESC/EACTS-Leitlinien 2025: Herzklappenerkrankungen

 

ESC Congress 2025 | Guidelines: Die neuen ESC/EACTS-Leitlinien für das Management der Herzklappenerkrankungen ersetzen die Vorgängerversion aus dem Jahr 2021. Die aktualisierten Empfehlungen wurden von Prof. Fabien Praz (Bern, Schweiz) und Prof. Michael A. Borger (Herzzentrum Leipzig) präsentiert und zeitgleich publiziert.1,2 Hier sind die wichtigsten Neuerungen im Überblick.


Prof. Tanja Rudolph (Herz- und Diabeteszentrum Nordrhein-Westfalen, Bad Oeynhausen) kommentiert.

Von:

Dr. Heidi Schörken

HERZMEDIZIN-Redaktion

 

Expertenkommentar:

Prof. Tanja Rudolph

Rubrikleiterin Strukturelle Herzerkrankungen

 

 

 

07.10.2025

 

Bildquelle (Bild oben): Songquan Deng / Shutterstock.com

Herzklappenteams, spezialisierte Zentren und Netzwerke

 

Herzklappenerkrankungen (VHD) werden immer noch zu selten diagnostiziert und behandelt. Die Einrichtung von Herzklappenteams, spezialisierten Zentren und Netzwerken soll einen wesentlichen Schritt zur Verbesserung der Versorgung von Patientinnen und Patienten mit VHD beitragen. Netzwerke sollen sowohl ambulante Einrichtungen zur Erstdiagnose und Nachbetreuung als auch spezialisierte Zentren für die Bildgebung und operative Eingriffe umfassen. Die Betreuung der Patientinnen und Patienten erfolgt durch Herzklappenteams, die die Bereiche Herzchirurgie, kardiologische Bildgebung und interventionelle Kardiologie abdecken und bei Bedarf erweitert werden können (z.B. Herzinsuffizienz, Elektrophysiologie, Anästhesie, Geriatrie, Intensivmedizin etc.). Komplexe Interventionen sollen ausschließlich an spezialisierten Zentren mit hohen Fallzahlen erfolgen. Ein hohes OP-Volumen ist mit niedrigeren Komplikationsraten und einem besseren Management verbunden. Laut Studien liegen die Schwellenwerte für jährliche Interventionen bei 25 Mitralklappen-, 50 TAVI-, 20 T-TEER- und 50 M-TEER-Eingriffen.   

Bildgebung und Management der KHK

 

Die multimodale Bildgebung ist unverzichtbar für die Diagnose und Behandlung von Herzklappenerkrankungen, insbesondere für Beurteilung der Pathophysiologie und des Schweregrads. Neu ist die Aufwertung der koronaren CT-Angiographie (CCTA), um eine KHK bei Patientinnen und Patienten mit geringem oder mittlerem Risiko auszuschließen (IB). Vor einem TAVI-Eingriff kann auf eine invasive Koronarangiographie verzichtet werden, wenn die CCTA eine ausreichende Qualität hat, um eine relevante KHK auszuschließen (IIaB). Dagegen sollte eine PCI in Betracht gezogen werden bei Personen mit TAVI-Indikation und einer Stenose ≥90 % der Koronararterien in Segmenten mit einem Durchmesser ≥2,5 mm (IIaB).

Aortenklappeninsuffizienz

 

Bei symptomatischer hochgradiger Aortenklappeninsuffizienz wird eine OP der Aortenklappe empfohlen – unabhängig von der LV-Funktion (IB). Dagegen richtet sich die OP-Indikation bei asymptomatischer hochgradiger Aortenklappeninsuffizienz nach der LV-Beeinträchtigung. So wird eine OP empfohlen bei LVEF ≤50 %, LVESD >50 mm oder LVESDi >25 mm/m2, insbesondere bei kleiner Körpergröße mit BSA <1,68 m2 (IB). Weiterhin kommt eine Intervention bei niedrigem OP-Risiko in Betracht bei LVEF ≤55 %, LVESDi >22 mm/m2 oder LVESVi >45 ml/m2 (IIbB). Volumetrische Cut-off-Werte aus der Echokardiographie oder Kardio-MRT wurden als Entscheidungsparameter in den Algorithmus für das Management der Aortenklappeninsuffizienz implementiert.


Eine Klappenreparatur in spezialisierten Zentren kommt bei ausgewählten Patientinnen und Patienten mit hochgradiger Aortenklappeninsuffizienz in Betracht, wenn anhaltende Verbesserungen zu erwarten sind (IIaB). Neu ist die Empfehlung, eine TAVI in Erwägung zu ziehen, bei symptomatischen Patientinnen und Patienten mit hochgradiger Aortenklappeninsuffizienz und entsprechender Anatomie, die laut Herzklappenteam für eine OP ungeeignet sind (IIbB). 

Aortenklappenstenose

 

Auch wenn die Aortenklappenstenose (AS) die häufigste primäre Herzklappendysfunktion darstellt, sind Unterdiagnose und Unterbehandlung nach wie vor ein relevantes Problem. Bei der asymptomatischen hochgradigen Aortenklappenstenose (AS) und LVEF ≥50 % kommt neuerdings eine Intervention in Betracht alternativ zur engmaschigen Überwachung, wenn das Risiko der Intervention als niedrig eingestuft wird (IIaA). Weiterhin wurde die Altersgrenze für TAVI von 75 Jahren auf 70 Jahre gesenkt: Die TAVI wird bei trikuspider AS und geeigneter Anatomie ab einem Alter ≥70 Jahren empfohlen (IA). Bei einem Alter <70 Jahren und niedrigem OP-Risiko ist der chirurgische Aortenklappenersatz (SAVR) das Verfahren der ersten Wahl (IB). Bei allen übrigen Personen soll die Entscheidung TAVI oder SAVR durch das Herzklappenteam getroffen werden. Neben der Altersgrenze sind dabei Anatomie, Komorbidität, Lebensstil und Lebenserwartung sowie prozedurale Charakteristika als wesentliche Kriterien zu berücksichtigen. Bei bikuspider hochgradiger AS, geeigneter Anatomie und hohem OP-Risiko kommt ebenfalls eine TAVI in Betracht (IIbB).

Primäre Mitralklappeninsuffizienz

 

Eine primäre Mitralklappeninsuffizienz (PMR) liegt bei rund 55% der behandlungsbedürftigen Patientinnen und Patienten mit Mitralklappeninsuffizienz vor. Die chirurgische Mitralklappenreparatur ist das Verfahren der ersten Wahl, falls anhaltende Verbesserungen zu erwarten sind. Die chirurgische Mitralklappenreparatur wird sowohl bei symptomatischer hochgradiger PMI und OP-Eignung empfohlen (IB) als auch bei asymptomatischer hochgradiger PMI mit LV-Dysfunktion (LVESD ≥40 mm oder LVESDi ≥20 mm/m2 oder LVEF ≤60 %) und neuerdings ebenfalls ohne LV-Dysfunktion (LVESD <40 mm, LVESDi <20 mm/m2 und LVEF >60 %), falls ein niedriges OP-Risiko vorliegt, anhaltende Verbesserungen zu erwarten sind und 3 von 4 Kriterien erfüllt sind: VHF, pulmonale Hypertonie, linksatriale Dilatation (LAVI ≥ 60 ml/m2 oder LA-Durchmesser ≥ 55 mm) und mindestens moderate Trikuspidalinsuffizienz (IB). Weiterhin wurde das M-TEER-Verfahren (Transcatheter-Edge-to-Edge-Reparatur) aufgewertet: Die M-TEER kommt bei symptomatischer hochgradiger PMI in Betracht, falls geeignete anatomische Voraussetzungen und ein hohes OP-Risiko vorliegen (IIaB).

Sekundäre Mitralklappeninsuffizienz

 

Bei der sekundären (funktionellen) Mitralklappeninsuffizienz (SMI) wird zwischen atrialem und ventrikulärem Phänotyp unterschieden anhand von 4 Schlüsselkriterien:

 

Atriale SMI
1.   LVEF ≥50 % ohne regionale Wandbewegungsstörungen
2.   Keine oder milde Dilatation der LV-Kavität
3.   Mitral-Annulus-Dilatation (AP >35 mm)
4.   Vergrößerte LA (LAVI >34 ml/m2)

 

Bei symptomatischer hochgradiger atrialer SMI trotz optimaler medikamentöser Therapie wird neuerdings eine Mitralklappen-OP und VHF-Ablation (falls indiziert) empfohlen, und ein linker Vorhofverschluss (LAAO) kann in Erwägung gezogen werden (IIaB). Bei symptomatischen Personen, die nicht für eine OP geeignet sind, kommt die M-TEER in Betracht nach Optimierung der medikamentösen Therapie und falls indiziert Rhythmuskontrolle (IIbB).


Ventrikuläre SMI
1.    LVEF <50 % mit oder ohne regionale Wandbewegungsstörungen
2.    Restriktiv geöffnete Klappensegel mit Tethering 
3.    Normale Klappenmorphologie
4.    Zentraler Regurgitationsjet


Bei hämodynamisch stabilen, symptomatischen Personen mit hochgradiger ventrikulärer SMI und LVEF ≤50 % wird die M-TEER zur Verbesserung der Lebensqualität und Verringerung von Herzinsuffizienz-Hospitalisierungen empfohlen, falls trotz leitliniengerechter medikamentöser Therapie spezifische klinische und echokardiographische Kriterien erfüllt sind (IA). 

Mitralklappenstenose

 

Die degenerative Mitralklappenstenose wird durch altersbedingte Degeneration und Kalzifizierungen verursacht. Bei symptomatischen Personen mit extensiver Mitralklappen-Kalzifizierung und hochgradiger Mitralklappen-Dysfunktion kann eine Transkatheter-Mitralklappen-Implantation (TMVI) in spezialisierten Zentren mit TMVI-Erfahrung in Erwägung gezogen werden (IIbC).

Trikuspidalinsuffizienz 

 

Die degenerative Mitralklappenstenose wird durch altersbedingte Degeneration und Kalzifizierungen verursacht. Bei symptomatischen Personen mit extensiver Mitralklappen-Kalzifizierung und hochgradiger Mitralklappen-Dysfunktion kann eine Transkatheter-Mitralklappen-Implantation (TMVI) in spezialisierten Zentren mit TMVI-Erfahrung in Erwägung gezogen werden (IIbC). Die hochgradige Trikuspidalinsuffizienz (TI) ist mit einem erhöhten Risiko für Mortalität und Herzinsuffizienz (HI) verbunden, unabhängig von Komorbidität, ventrikulärer Funktion und Lungenarteriendruck. Bei der hochgradigen TI sollte vor einer Intervention eine sorgfältige Evaluation durch das Herzklappenteam erfolgen von: Ätiologie, Stadium (Schweregrad, RV- und LV-Dysfunktion und pulmonale Hypertonie), OP-Risiko und Wahrscheinlichkeit eines Therapieerfolgs (IC).


Bei Patientinnen und Patienten mit moderater primärer oder sekundärer TI und linksseitiger Herzklappenerkrankung, die eine OP benötigen, kann eine gleichzeitige TI-Reparatur in Erwägung gezogen werden zur Vermeidung von Progression und Remodeling (IIaB). Auch bei Personen mit einer milden sekundären TI und trikuspiden Annulus-Dilatation (≥40 mm oder >21 mm/m2) kommt die gleichzeitige TI-Reparatur in Betracht zur Vermeidung von TI- und RV-Remodeling (IIbB).
Bei symptomatischer hochgradiger TI ohne linksseitige Herzklappenerkrankung trotz optimaler medikamentöser Therapie und Notwendigkeit einer OP kommt eine Transkatheter-Behandlung der TI in Betracht zur Verbesserung von Lebensqualität und RV-Remodeling - bei Abwesenheit von schwerwiegender RV-Dysfunktion oder präkapillarer pulmonaler Hypertonie (IIaA). 

Multiple Herzklappenerkrankungen

 

Erkrankungen unterschiedlicher Herzklappen oder eine Stenose und Insuffizienz derselben Klappe kommen häufig vor. Neu sind die Empfehlungen von Intervention bei:

 

  • Symptomatischen Personen mit moderater Stenose und Insuffizienz der Aortenklappe mit einem mittleren Gradienten von ≥40 mm Hg oder Vmax ≥4,0 m/s (IB)
  • Aymptomatische Personen mit moderater Stenose und Insuffizienz der Aortenklappe mit Vmax ≥4,0 m/s und LVEF <50 %, nicht bedingt durch andere Herzkrankheiten (IC).

Antikoagulation

Mechanische Herzklappen (MHV) erfordern eine lebenslange orale Antikoagulation (OAK) mit VKA (Vitamin-K-Antagonisten) unter INR-Kontrolle. Direkte orale Antikoagulanzien (DOAK) sowie die duale antithrombozytäre Therapie (DAPT) sind dagegen bei MHV kontraindiziert. Die Leitlinie gibt folgende neue Empfehlungen: 

 

  • MHV werden empfohlen bei Personen mit einer langen geschätzten Lebenserwartung, falls keine Kontraindikationen gegen eine Langzeit-OAK vorliegen. (IIaB)
  • Der INR-Zielwert soll festgelegt werden auf Basis von Typ und Position der MHV sowie Thromboserisiko und Komorbiditäten. (IA)
  • Die Aufklärung der Patientinnen und Patienten wird empfohlen zur Verbesserung der OAK. (IA)

 

Eine Übersicht aller Leitlinien-Empfehlungen zur Antikoagulation gibt Abbildung 1.

Empfehlungen zur Antikoagulation nach Reparatur oder Implantation von Herzklappen Abb. 1: Empfehlungen zur Antikoagulation nach Reparatur oder Implantation von Herzklappen. ASS: Aspirin, OAK: orale Antikoagulation, SAVR: chirurgischer Aortenklappenersatz

 

Auch für das Management der OAK bei geplanten nicht-kardialen invasiven Eingriffen gibt es eine neue Empfehlung: Bei kleineren oder minimalinvasiven Eingriffen, die kaum mit Blutungen verbunden sind, soll die VKA-Behandlung fortgesetzt werden (IA). Dabei handelt sich um Eingriffe an Haut, Augen (z.B. Katarakt-OP) und Zähnen (z.B. Zahnreinigung, Kariesbehandlung und Zahnextraktion) sowie Herzschrittmacher-Implantationen, Herzkatheter-Untersuchungen und endoskopische Prozeduren. 

Fazit

 

Die aktualisierten europäischen Leitlinien geben insgesamt 28 neue Empfehlungen für das Management von Herzklappenerkrankungen. Spezialisierte Zentren mit hohen Fallzahlen sowie Herzklappenteams sollen die Versorgung verbessern. Die Empfehlung der CCTA zum Ausschluss einer KHK bei geringem oder mittlerem Risiko wurde aufgewertet. Als weitere wichtige Neuerung werden invasive Eingriffe (OP oder TAVI) bei asymptomatischen Patientinnen und Patienten mit niedrigem Interventions-/OP-Risiko bei hochgradiger Aortenklappenstenose empfohlen alternativ zur engmaschigen Kontrolle. Außerdem wurde die Altersgrenze für die TAVI von 75 Jahren auf 70 Jahre gesenkt. Auch für die asymptomatische hochgradige PMI wird eine Intervention empfohlen, falls die zusätzlichen Kriterien erfüllt sind. Zudem gibt es einige neue Empfehlungen für die orale Antikoagulation nach Herzklappeneingriffen. 

Expertenkommentar 

 

Die aktuellen ESC/EACTS-Leitlinien geben uns klare Empfehlungen zur Behandlung von Patientinnen und Patienten mit Klappenvitien basierend auf der aktuellen Evidenzlage. Einige Aspekte waren bereits Teil der klinischen Praxis. Die differenzierten Therapieoptionen rücken die Wichtigkeit der Herzteams sowie die Behandlung in spezialisierten Herzklappenzentren weiter in den Fokus.

Zur Person

Prof. Tanja Rudolph

Prof. Tanja Rudolph ist als Oberärztin und Leiterin der Interventionellen Kardiologie in der Klinik für Allgemeine und Interventionelle Kardiologie/Angiologie des Herz- und Diabeteszentrums NRW, Universitätsklinik der Ruhr-Universität Bochum, in Bad Oeynhausen tätig. Ihre fachlichen Zusatzqualifikationen (DGK) erwarb sie in den Bereichen der Interventionellen Kardiologie und Herzinsuffizienz. 


Referenzen

 

  1. Praz F. und Borger MA. 2025 ESC/EACTS Guidelines for the management of valvular heart disease. New ESC Guidelines, 29.08.2025, ESC-Kongress, Madrid 
  2. Praz F et al. 2025 ESC/EACTS Guidelines for the management of valvular heart disease. Eur Heart J. 2025 Aug 29:ehaf194. doi: 10.1093/eurheartj/ehaf194. Epub ahead of print. PMID: 40878295.

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