„Desinteresse der Politik größte Hürde bei Prävention“

 

Auf dem diesjährigen ESC Preventive Cardiology Congress in Mailand wurde Prof. Bernhard Rauch (Stiftung IHF Institut für Herzinfarktforschung Ludwigshafen) mit dem erstmalig vergebenen Lifetime Achievement Award der mehr als 5.000 Mitglieder zählenden European Association of Preventive Cardiology (EAPC) ausgezeichnet. Mit dem Award wurden insbesondere Rauchs Verdienste als Initiator und Co-Autor wegweisender Studien zur kardiologischen Rehabilitation gewürdigt. Im Interview spricht er über Fortschritte und Baustellen in der Prävention und Rehabilitation von Herz-Kreislauf-Erkrankungen.

Von:

Martin Nölke

HERZMEDIZIN-Redaktion

 

25.06.2025

 

Bildquelle (Bild oben): Roberto Binetti / Shutterstock.com

HERZMEDIZIN: Herzlichen Glückwunsch zur Auszeichnung für Ihr Lebenswerk! Was verbinden Sie persönlich mit dem Award im Rückblick auf Ihr langjähriges Engagement in der präventiven und rehabilitativen Kardiologie?

 

Rauch: Diese Auszeichnung kam für mich völlig unerwartet und hat mich wirklich außerordentlich gefreut. Die Auszeichnung basiert auf der damals von uns neu entwickelten „Cardiac Rehabilitation Outcome Study“ (CROS) – einer streng gefassten Meta-Analyse zur prognostischen Wirkung der kardiologischen Rehabilitation bei Patientinnen und Patienten nach Herzinfarkt und nach Bypass-Operation.1,2 In einer weiteren Untersuchungs-Linie werden inzwischen auch Patientinnen und Patienten mit schwerer systolischer Herzinsuffizienz untersucht (CROS-HF).3

 

Die Analyse war damals „aus der Not geboren“, denn zu deren Entstehungszeit um das Jahr 2000 war die kardiologische Rehabilitation in ihrer prognostischen Wirksamkeit und damit auch in Ihrer Sinnhaftigkeit stark in Zweifel gezogen worden. Als ärztlicher Direktor der damaligen Herz-Kreislauf-Klinik Waldkirch bei Freiburg und als neues Mitglied der Arbeitsgruppe „Cardiac Rehabilitation“ der EAPC machte es deshalb Sinn die bestehenden Vernetzungen mit der Universität Heidelberg (Prof. Kübler und Prof. Katus, Kardiologie; Prof. Kieser, Institut für Medizinische Biometrie) und dem Institut für Herzinfarktforschung in Ludwigshafen (IHF, Prof. Senges) zu nutzen, um eine neue groß angelegte Meta-Analyse zur prognostischen Wirkung der kardiologischen Rehabilitation nach Herzinfarkt und nach koronarer Bypass-Operation zu initiieren und durchzuführen.

 

Neu war hierbei die Einbeziehung prospektiver und retrospektiver kontrollierter Kohortenstudien sowie die strenge und detaillierte Definition der „kardiologischen Rehabilitation“, einschließlich der Aufstellung von Mindestanforderungen.

 

Ohne die großzügige Unterstützung dieser Arbeit durch die Deutsche Herzstiftung, die Deutsche Gesellschaft für Prävention und Rehabilitation von Herz-Kreislauferkrankungen (DGPR) und durch die Industrie hätten wir dieses Projekt allerdings nicht umsetzen können.

EAPC Lifetime Award 2025 Foto: Prof. Bernhard Rauch (Mitte), Prof. Martin Halle (r.) und Prof. Antonio Pelliccia mit dem Lifetime Achievement Award der European Association of Preventive Cardiology (EAPC). (Bildquelle: privat)

HERZMEDIZIN: Wie hat sich die präventive Kardiologie in den letzten Jahren in Europa und Deutschland verändert – wo sehen Sie Fortschritte oder auch Rückschritte?


Rauch: Die präventive Kardiologie hat deutlich an Anerkennung gewonnen, und ist auch Inhalt großer aktueller Standard-Lehrbücher, z. B. „Klinische Kardiologie“ (N. Marx, E. Erdmann 2023). Aktuell entsteht zudem eine mit großem Aufwand entwickelte Neufassung des „ESC-Textbook of Preventive Cardiology“ (Mitherausgeber S. Gielen). Insgesamt besteht zudem eine beachtliche wissenschaftliche Aktivität bezüglich der präventiven Kardiologie in Europa, Nordamerika und den asiatischen Ländern, insbesondere China.


Unter der Initiative der Deutschen Gesellschaft für Prävention und Rehabilitation von Herz-Kreislauferkrankungen (DGPR) wurde zudem zusammen mit den entsprechenden Gesellschaften der Schweiz und von Österreich unter der Kontrolle der Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesellschaften (AWMF) erstmals eine S3-Leitlinie „Kardiologische Rehabilitation im deutschsprachigen Raum“ entwickelt und veröffentlicht. Leider konnte diese Leitlinie wegen des großen zeitlichen und personellen Aufwands und der damit verbundenen Kosten nicht aktualisiert und weitergeführt werden.


Damit sind wir auch schon bei den Grenzen im lokalen deutschsprachigen Raum! Die Entwicklung der präventiven Kardiologie hängt zumindest im deutschsprachigen Raum weiterhin sehr von der persönlichen Initiative einzelner Personen, Gruppen und Vereinen ab, die dann den damit verbundenen finanziellen und zeitlichen Aufwand nicht immer stemmen können! Somit bedarf es zumindest in Deutschland einer wesentlich verbesserten Verankerung und Förderung der präventiven Medizin und Kardiologie in den Universitäten und im klinischen Alltag. Die fortlaufende Unterstützung hochrangiger medizinischer Leitlinien zur präventiven Kardiologie muss gewährleistet sein! Hier ist aus meiner Sicht auch unser Staat explizit gefordert. Nicht zuletzt sollte die präventive Kardiologie als Teil eines Curriculums „Medizinische Prävention“ Pflichtfach in jeder schulischen Ausbildung sein.

 

HERZMEDIZIN: Trotz klarer Evidenz zu Risikofaktoren und Lebensstilinterventionen hapert es oft an der Umsetzung. Was sind aus Ihrer Sicht die größten Hürden für eine bessere präventive Versorgung?


Rauch: Aus meiner Sicht ist das Desinteresse der Politik zu diesem Thema die größte Hürde. Natürlich ist auch jede einzelne Person von uns aufgerufen, sich verantwortungsbewusst zu verhalten und das individuelle Risiko zu minimieren. Jedoch bedarf es hier auch der aktiven Unterstützung durch die Politik, z. B. durch Einführung eines Pflichtunterrichts in den Schulen zum Thema Risikoverhalten, Risikofaktoren, Prävention. Ein anderes wichtiges Beispiel ist die Stärkung der präkonzeptionellen Schwangerschaftsberatung bei Kinderwunsch und nicht zuletzt ist die immer noch unzureichende Umsetzung einer konsequenten und drastischen Reduktion des Tabak-Konsums zu erwähnen.

 

HERZMEDIZIN: Die EAPC feiert dieses Jahr ihr 20-jähriges Bestehen. Wo sehen Sie die wichtigsten Aufgabe der Organisation in den kommenden Jahren?

Rauch: Meines Erachtens – als „Rentner im Unruhezustand“, aber andere können das sicherlich umfassender beurteilen – sollte sich die EAPC noch mehr und vorrangig darum bemühen, regelhaft die wissenschaftliche Evidenz zu unterschiedlichen Fragen der präventiven Kardiologie in Form „Evidenz-basierter Leitlinien“ nach den international gültigen Qualitätsmerkmalen zusammenzutragen, zu bewerten und entsprechend zu veröffentlichen. Auf der Basis solcher Evidenz-basierter Kenntnis sollte die EAPC auch klare Forderungen an die Politik stellen, diese Kenntnis der Öffentlichkeit transparent zu machen und zu veröffentlichen. Die Diskussion hierüber soll dazu beitragen, die Prävention kontinuierlich zu fördern und zu verbessern.

Zur Person

Prof. Bernhard Rauch

Prof. Bernhard Rauch ist wissenschaftlicher Berater am Institut für Herzinfarktforschung in Ludwigshafen. Rund 30 Jahre war er als Ärztlicher Direktor in verschiedenen Einrichtungen tätig. Sein besonderes Engagement gilt der kardiovaskulären Prävention und Rehabilitation. 2005–2007 war er Präsident der Deutschen Gesellschaft für Prävention und Rehabilitation von Herz-Kreislauferkrankungen (DGPR).

(Bildquelle: privat)

HERZMEDIZIN: Was braucht es aus Ihrer Sicht, um die Forschung zur Prävention in Europa und in Deutschland weiter voranzutreiben?

Rauch: Es bedarf mehr staatlich und auf europäischer Ebene geförderter und fortgesetzt gepflegter medizinischer Datenregister, aus denen gesellschaftlich relevante medizinische Fragestellungen beantwortet werden können. Solche überparteilich und wissenschaftlich geführte Register sollen vor allem auch eine valide Datenbasis für die jeweils wichtigsten und aktuellen Fragenstellungen zur präventiven Medizin gewährleisten. Beispielhafte Fragestellungen wären:

 

  • Die Entwicklung von individuellem und gesellschaftlichem Risikoverhalten und deren Einflussfaktoren in verschiedenen Teilen Europas
  • Die Effektivität von Maßnahmen zur Steuerung von Risikoverhalten im europäischen Vergleich und unter Berücksichtigung von relevanten Subgruppen  

 

Auf der anderen Seite bedarf es auch der regelhaften „Entschlackung“ von Dokumentationspflichten im klinischen Alltag die nachweislich keine klinische und/oder präventive Relevanz haben. Dieses wäre sicherlich auch ein relevanter Beitrag zur Entbürokratisierung. Die Frage „Was ist unter verschiedenen Gesichtspunkten relevant oder nicht (mehr) relevant?“ sollte regelhaft und immer wieder neu gestellt werden.

 

HERZMEDIZIN: Abschließend: Welchen Rat möchten Sie gerne jungen Kardiologinnen und Kardiologen mitgeben, die sich für eine wirksamere Prävention stark machen wollen?

Rauch: Es lässt sich als Dreiklang zusammenfassen:

 

  • unentwegte kritische Neugier den medizinischen Wissenschaften gegenüber;
  • unentwegte kritische Sammlung und Vermittlung klinischer Erfahrung zugunsten der Patientinnen und Patienten;
  • jede Patientin und jeder Patient präsentiert sich mit individuellen Besonderheiten, die in Diagnostik und Therapie berücksichtigt werden müssen.

Referenzen

 

  1. Rauch, B., Davos, C. H., Doherty, P., Saure, D., Metzendorf, M. I., Salzwedel, A., Völler, H., Jensen, K., Schmid, J. P., & ‘Cardiac Rehabilitation Section’, European Association of Preventive Cardiology (EAPC), in cooperation with the Institute of Medical Biometry and Informatics (IMBI), Department of Medical Biometry, University of Heidelberg, and the Cochrane Metabolic and Endocrine Disorders Group, Institute of General Practice, Heinrich-Heine University, Düsseldorf, Germany (2016). The prognostic effect of cardiac rehabilitation in the era of acute revascularisation and statin therapy: A systematic review and meta-analysis of randomized and non-randomized studies - The Cardiac Rehabilitation Outcome Study (CROS). European journal of preventive cardiology, 23(18), 1914–1939. https://doi.org/10.1177/2047487316671181
  2. Salzwedel, A., Jensen, K., Rauch, B., Doherty, P., Metzendorf, M. I., Hackbusch, M., Völler, H., Schmid, J. P., & Davos, C. H. (2020). Effectiveness of comprehensive cardiac rehabilitation in coronary artery disease patients treated according to contemporary evidence based medicine: Update of the Cardiac Rehabilitation Outcome Study (CROS-II). European journal of preventive cardiology, 27(16), 1756–1774. https://doi.org/10.1177/2047487320905719
  3. Bjarnason-Wehrens, B., Nebel, R., Jensen, K., Hackbusch, M., Grilli, M., Gielen, S., Schwaab, B., Rauch, B., & German Society of Cardiovascular Prevention and Rehabilitation (DGPR) (2020). Exercise-based cardiac rehabilitation in patients with reduced left ventricular ejection fraction: The Cardiac Rehabilitation Outcome Study in Heart Failure (CROS-HF): A systematic review and meta-analysis. European journal of preventive cardiology, 27(9), 929–952. https://doi.org/10.1177/2047487319854140

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