HERZMEDIZIN: Wie hat sich die präventive Kardiologie in den letzten Jahren in Europa und Deutschland verändert – wo sehen Sie Fortschritte oder auch Rückschritte?
Rauch: Die präventive Kardiologie hat deutlich an Anerkennung gewonnen, und ist auch Inhalt großer aktueller Standard-Lehrbücher, z. B. „Klinische Kardiologie“ (N. Marx, E. Erdmann 2023). Aktuell entsteht zudem eine mit großem Aufwand entwickelte Neufassung des „ESC-Textbook of Preventive Cardiology“ (Mitherausgeber S. Gielen). Insgesamt besteht zudem eine beachtliche wissenschaftliche Aktivität bezüglich der präventiven Kardiologie in Europa, Nordamerika und den asiatischen Ländern, insbesondere China.
Unter der Initiative der Deutschen Gesellschaft für Prävention und Rehabilitation von Herz-Kreislauferkrankungen (DGPR) wurde zudem zusammen mit den entsprechenden Gesellschaften der Schweiz und von Österreich unter der Kontrolle der Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesellschaften (AWMF) erstmals eine S3-Leitlinie „Kardiologische Rehabilitation im deutschsprachigen Raum“ entwickelt und veröffentlicht. Leider konnte diese Leitlinie wegen des großen zeitlichen und personellen Aufwands und der damit verbundenen Kosten nicht aktualisiert und weitergeführt werden.
Damit sind wir auch schon bei den Grenzen im lokalen deutschsprachigen Raum! Die Entwicklung der präventiven Kardiologie hängt zumindest im deutschsprachigen Raum weiterhin sehr von der persönlichen Initiative einzelner Personen, Gruppen und Vereinen ab, die dann den damit verbundenen finanziellen und zeitlichen Aufwand nicht immer stemmen können! Somit bedarf es zumindest in Deutschland einer wesentlich verbesserten Verankerung und Förderung der präventiven Medizin und Kardiologie in den Universitäten und im klinischen Alltag. Die fortlaufende Unterstützung hochrangiger medizinischer Leitlinien zur präventiven Kardiologie muss gewährleistet sein! Hier ist aus meiner Sicht auch unser Staat explizit gefordert. Nicht zuletzt sollte die präventive Kardiologie als Teil eines Curriculums „Medizinische Prävention“ Pflichtfach in jeder schulischen Ausbildung sein.
HERZMEDIZIN: Trotz klarer Evidenz zu Risikofaktoren und Lebensstilinterventionen hapert es oft an der Umsetzung. Was sind aus Ihrer Sicht die größten Hürden für eine bessere präventive Versorgung?
Rauch: Aus meiner Sicht ist das Desinteresse der Politik zu diesem Thema die größte Hürde. Natürlich ist auch jede einzelne Person von uns aufgerufen, sich verantwortungsbewusst zu verhalten und das individuelle Risiko zu minimieren. Jedoch bedarf es hier auch der aktiven Unterstützung durch die Politik, z. B. durch Einführung eines Pflichtunterrichts in den Schulen zum Thema Risikoverhalten, Risikofaktoren, Prävention. Ein anderes wichtiges Beispiel ist die Stärkung der präkonzeptionellen Schwangerschaftsberatung bei Kinderwunsch und nicht zuletzt ist die immer noch unzureichende Umsetzung einer konsequenten und drastischen Reduktion des Tabak-Konsums zu erwähnen.
HERZMEDIZIN: Die EAPC feiert dieses Jahr ihr 20-jähriges Bestehen. Wo sehen Sie die wichtigsten Aufgabe der Organisation in den kommenden Jahren?
Rauch: Meines Erachtens – als „Rentner im Unruhezustand“, aber andere können das sicherlich umfassender beurteilen – sollte sich die EAPC noch mehr und vorrangig darum bemühen, regelhaft die wissenschaftliche Evidenz zu unterschiedlichen Fragen der präventiven Kardiologie in Form „Evidenz-basierter Leitlinien“ nach den international gültigen Qualitätsmerkmalen zusammenzutragen, zu bewerten und entsprechend zu veröffentlichen. Auf der Basis solcher Evidenz-basierter Kenntnis sollte die EAPC auch klare Forderungen an die Politik stellen, diese Kenntnis der Öffentlichkeit transparent zu machen und zu veröffentlichen. Die Diskussion hierüber soll dazu beitragen, die Prävention kontinuierlich zu fördern und zu verbessern.