„Prävention braucht mehr Förderung und gezielte Qualifikation“

 

Im Rahmen des diesjährigen ESC Preventive Cardiology Congress in Mailand wurde Prof. Martin Halle (TU München) mit dem erstmals vergebenen Lifetime Achievement Award der European Association of Preventive Cardiology (EAPC) ausgezeichnet. Halle erhielt die Auszeichnung unter anderem für seinen bedeutenden Beitrag zur Weiterentwicklung der wissenschaftlichen Gesellschaft, die mittlerweile über 5.000 Mitglieder umfasst. Im Interview spricht er über die Herausforderungen und Perspektiven der kardiovaskulären Prävention.

Von:

Martin Nölke

HERZMEDIZIN-Redaktion

 

25.06.2025

 

Bildquelle (Bild oben): Roberto Binetti / Shutterstock.com

HERZMEDIZIN: Wir gratulieren herzlich zur Auszeichnung für Ihre Lebensleistungen! Was bedeutet Ihnen der Lifetime Achievement Award – auch im Rückblick auf Ihre persönliche Entwicklung innerhalb der EAPC?

 

Halle: Diese Auszeichnung ist für mich von großer persönlicher Bedeutung. Seit 2006 engagiere ich mich mit Leidenschaft in der European Association of Preventive Cardiology (EAPC), in der ich über viele Jahre hinweg in unterschiedlichen Gremien mitgewirkt habe – von 2020 bis 2022 sogar als Präsident der wissenschaftlichen Fachgesellschaft. Diese Zeit war geprägt von der intensiven Zusammenarbeit mit internationalen Kolleginnen und Kollegen, mit denen ich auch die bisher größten globalen Studien zu körperlichem Training bei Herzinsuffizienz durchführen konnte.1,2,3

 

HERZMEDIZIN: Wie hat sich die präventive Kardiologie seit Beginn Ihrer Karriere verändert – und welche Meilensteine waren für Sie dabei besonders prägend?

 

Halle: Die präventive Kardiologie hat in den letzten zwei Jahrzehnten eine beeindruckende Entwicklung genommen. Als ich vor 22 Jahren in München meine Tätigkeit aufnahm, sprach kaum jemand über Prävention – schon gar nicht im kardiologischen Kontext. Auch innerhalb der Deutschen Gesellschaft für Kardiologie (DGK) war das Thema kaum präsent. Umso erfreulicher ist es, dass die DGK durch Gründung der Arbeitsgruppe für präventive und rehabilitative Kardiologie (AG 14) sowie der Arbeitsgruppe für Sportkardiologie (AG 32) frühzeitig entscheidende Impulse gesetzt hat. Inzwischen sind diese Themen fest im Selbstverständnis der Gesellschaft verankert.


Die EAPC wiederum konnte sich erfolgreich innerhalb der ESC etablieren und versteht sich heute als zentrale Plattform für kardiovaskuläre Risikofaktoren – mit wachsender Relevanz für Erkrankungen wie Adipositas und Diabetes. Diese Schwerpunkte spiegeln sich nicht nur in der strategischen Ausrichtung der EAPC, sondern auch im inhaltlichen Fokus des „European Journal of Preventive Cardiology“ wider, dessen Entwicklung ich als Präsident gemeinsam mit Editor-in-Chief Massimo Piepoli begleiten durfte. Ebenso intensiv war die Zusammenarbeit mit Matthias Wilhelm bei der Entwicklung des europäischen „Core Curriculum“ für präventive Kardiologie – eine Ausbildungsschiene, die auch die DGK inzwischen übernommen hat.

EAPC Lifetime Award 2025 Foto: Prof. Martin Halle (r.), Prof. Bernhard Rauch (Mitte) und Prof. Antonio Pelliccia mit dem Lifetime Achievement Award der European Association of Preventive Cardiology (EAPC). (Bildquelle: privat)

HERZMEDIZIN: Wo sehen Sie derzeit die größten Herausforderungen im Gesundheitswesen für eine konsequente Umsetzung von Präventionsmaßnahmen?

 

Halle: Die größte Hürde bleibt die Finanzierung präventiver Maßnahmen. Wie in vielen Bereichen der Medizin fehlt es oft an strukturellen Anreizen, um Prävention konsequent umzusetzen. Hier besteht dringender Handlungsbedarf – sowohl im Hinblick auf Förderstrukturen als auch auf qualifizierende Fortbildungen.

HERZMEDIZIN: Die EAPC wurde vor 20 Jahren ins Leben gerufen. Wie hat sie sich weiterentwickelt und wie positioniert die EAPC heute?

 

Halle: Heute vereint die EAPC die Bereiche Prävention, Rehabilitation und Sportkardiologie unter einem Dach und tritt deutlich geschlossener auf als in der Vergangenheit. Die ursprünglich stark bewegungsorientierte Ausrichtung wurde in den letzten Jahren um klinisch-präventive Konzepte erweitert, die pharmakologische Ansätze sinnvoll ergänzen – ein ganzheitlicher Ansatz, der die Attraktivität der Gesellschaft auch für Länder außerhalb Europas erheblich gesteigert hat. Dies zeigt sich eindrucksvoll in der internationalen Vielfalt der Teilnehmenden am Jahreskongress. Gleichzeitig muss sich die EAPC weiterhin gegenüber anderen großen Fachgruppen innerhalb der ESC behaupten.

Zur Person

Prof. Martin Halle

Prof. Martin Halle ist Ärztlicher Direktor der Abteilung Präventive Sportmedizin und Sportkardiologie an der Technischen Universität München. Sein Forschungsinteresse gilt insbesondere der Prävention und Rehabilitation von Herz-Kreislauf-Erkrankungen durch Lebensstilmodifikationen. Von 2020 bis 2022 war er Präsident der European Association of Preventive Cardiology (EAPC) der European Society of Cardiology (ESC).

(Bildquelle: privat)

HERZMEDIZIN: Welche Maßnahmen halten Sie für erforderlich, um die Präventionsforschung in Deutschland und Europa nachhaltig zu stärken?

 

Halle: Es braucht dringend weitere große, randomisierte Studien zur Prävention. In München haben wir hierzu bereits maßgebliche Beiträge geleistet – etwa mit Studien zu körperlichem Training bei Herzinsuffizienz, koronarer Herzkrankheit (KHK), Diabetes und Niereninsuffizienz. Doch um das volle Potenzial zu heben, sind noch umfassendere Forschungsprojekte notwendig – idealerweise unterstützt durch nationale Förderprogramme wie durch das Deutsche Zentrum für Herz-Kreislauf-Forschung (DZHK) oder durch das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF). Ziel muss es sein, individualisierte Präventionsstrategien zu entwickeln, die durch moderne Biomarker und physiologisches Monitoring personalisiert und überprüfbar sind.

 

HERZMEDIZIN: Welchen Stellenwert sehen Sie für die Prävention in der nächsten ärztlichen Generation?

 

Halle: Prävention gewinnt in der jungen Generation zunehmend an Bedeutung – nicht nur im Hinblick auf die eigene Gesundheit, sondern auch im ärztlichen Selbstverständnis gegenüber den Patientinnen und Patienten. Die Verknüpfung einer kardiologischen Ausbildung mit Elementen der Präventions- oder Sportmedizin wird künftig ein zentraler Bestandteil des Fachgebietes sein.


Was nach einem einfachen Konzept klingt, stellt sich im Alltag oft als anspruchsvolle Aufgabe heraus – insbesondere in der Kommunikation mit den Betroffenen. Umso mehr braucht es neben fachlicher Exzellenz auch kommunikative Kompetenz. Allen jungen Kolleginnen und Kollegen kann ich nur raten, sich diesem Themenfeld zu widmen: Es macht große Freude – und die Dankbarkeit der Patientinnen und Patienten ist unbezahlbar.


Referenzen

 

  1. Mueller S, Dinges SMT, Gass F, Fegers-Wustrow I, Treitschke J, von Korn P, Boscheri A, Krotz J, Freigang F, Dubois C, Winzer EB, Linke A, Edelmann F, Feuerstein A, Wolfram O, Schäfer K, Verket M, Wolfarth B, Dörr M, Wachter R, Hackenberg B, Rust S, Nebling T, Amelung V, Halle M. Telemedicine-supported lifestyle intervention for glycemic control in patients with CHD and T2DM: multicenter, randomized controlled trial. Nat Med. 2025 Apr;31(4):1203-1213. doi: 10.1038/s41591-025-03498-w. Epub 2025 Feb 7. PMID: 39920395; PMCID: PMC12003154.
  2. Edelmann F, Wachter R, Duvinage A, Mueller S, Fegers-Wustrow I, Schwarz S, Christle JW, Pieske-Kraigher E, Seyfarth M, Knapp M, Dörr M, Nolte K, Düngen HD, Herrmann-Lingen C, Esefeld K, Hagendorff A, Haykowsky MJ, Hasenfuss G, Holzendorf V, Prettin C, Mende M, Pieske B, Halle M. Combined endurance and resistance exercise training in heart failure with preserved ejection fraction: a randomized controlled trial. Nat Med. 2025 Jan;31(1):306-314. doi: 10.1038/s41591-024-03342-7. Epub 2025 Jan 2. PMID: 39747684; PMCID: PMC11750725.
  3. Mueller S, Winzer EB, Duvinage A, Gevaert AB, Edelmann F, Haller B, Pieske-Kraigher E, Beckers P, Bobenko A, Hommel J, Van de Heyning CM, Esefeld K, von Korn P, Christle JW, Haykowsky MJ, Linke A, Wisløff U, Adams V, Pieske B, van Craenenbroeck EM, Halle M; OptimEx-Clin Study Group. Effect of High-Intensity Interval Training, Moderate Continuous Training, or Guideline-Based Physical Activity Advice on Peak Oxygen Consumption in Patients With Heart Failure With Preserved Ejection Fraction: A Randomized Clinical Trial. JAMA. 2021 Feb 9;325(6):542-551. doi: 10.1001/jama.2020.26812. PMID: 33560320; PMCID: PMC7873782.

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