Ein großer Teil der im Körper hergestellten RNA kodiert nicht für Proteine. Diese RNAs werden als nicht-kodierende (non-coding) RNAs bezeichnet. Man unterteilt sie nach ihrer Größe und Form in die geläufigsten Typen: lange (long non-coding) lncRNAs, kreisförmige (circular ) circRNAs und kurze miRNAs. Victor Ambros und Gary Ruvkun haben wesentlich zum Verständnis beigetragen, dass Non-coding RNAs (ncRNAs) eine entscheidende Rolle in zahlreichen biologischen Prozessen während normaler physiologischer Abläufe spielen. Diese nicht-kodierenden RNAs regulieren die Genexpression und Chromatin-Modifikation und sind entscheidend für Zellproliferation, Differenzierung sowie die Aufrechterhaltung des Zellgleichgewichts. miRNAs wirken, indem sie größere Signalwege regulieren und oft mehrere Zielmoleküle (Targets) in einem spezifischen Bereich beeinflussen. Dadurch können sie komplexe biologische Abläufe effektiv steuern und eine Vielzahl von Prozessen gleichzeitig modulieren.
Die Erforschung der miRNA in kardiovaskulären Erkrankungen steht nun kurz vor ihrem zwanzigjährigen Jubiläum. Viele Mitglieder der Deutschen Gesellschaft für Kardiologie (DGK), wie Stefanie Dimmeler, Thomas Thum und Christian Weber, sowie zahlreiche weitere deutsche und internationale Forschende, darunter Eric Olson und insbesondere Deepak Srivastava, haben als erste sowohl international als auch national wichtige Publikationen zu den Mechanismen rund um miRNAs, insbesondere zur Entwicklung des Herzens, zu physiologischen kardiovaskulären Prozessen sowie zu Vorgängen in kardiovaskulären Erkrankungen, veröffentlicht.1–5
Diese frühen Studien und die darauffolgenden Arbeiten haben gezeigt, dass miRNAs nicht nur als Marker, sondern auch als funktionelle Akteure in kardiovaskulären Erkrankungen eine bedeutende Rolle spielen. miRNA-basierte Therapien könnten zukünftig eine wichtige Rolle in der Behandlung kardiovaskulärer Erkrankungen spielen, so haben in den letzten Jahren einige dieser miRNA-Therapien den Sprung in fortgeschrittene klinische Studien geschafft, mit vielversprechenden Ergebnissen. miRNA-Mimetika und Antagomire, die gezielt bestimmte genetische Mechanismen beeinflussen, wurden in Phase-I- und Phase-II-Studien an Patientinnen und Patienten getestet, mit positiven Resultaten, wie eine Verbesserung der Herzfunktion und eine spürbare Reduktion der Symptome.
Die Therapie mit dem synthetischen Antisense-Oligonukleotid CDR132L, entwickelt von Thomas Thum und Kollegen, zielt darauf ab, die abnormale Spiegel des MikroRNA-Moleküls miR-132 zu blockieren und so langfristige kardiale Verbesserungen zu erzielen. In einer Phase-1b-Studie, veröffentlicht im European Heart Journal, wurde die Sicherheit und Verträglichkeit von CDR132L nachgewiesen sowie eine signifikante Verbesserung der Herzfunktion bei Menschen mit Herzinsuffizienz im Vergleich zur Placebo-Gruppe festgestellt. Derzeit wird CDR132L in der Phase-2-Studie HF-REVERT an 280 Menschen mit Herzinsuffizienz mit geschwächter Pumpleistung untersucht, wobei der erste Patient im Juli 2022 eingeschlossen wurde, während andere Programme wie RG-012 zur Behandlung der Alport-Syndrom-bedingten Nierenerkrankung ebenfalls große Fortschritte gemacht haben.
Diese Entwicklungen zeigen, dass wir möglicherweise an der Schwelle zu einer neuen Ära stehen, in der miRNAs eine zentrale Rolle sowohl in der Diagnostik als auch in der Therapie kardiovaskulärer Erkrankungen spielen könnten. Diese Fortschritte sind nicht nur vielversprechend, sie unterstreichen das bedeutende Potenzial, das miRNA-basierte Therapien für die zukünftige Medizin bieten könnten.