Vutrisiran: RNAi überzeugt bei kardialer ATTR-Amyloidose

 

ESC-Kongress 2024 | HELIOS-B: Vutrisiran zeigte in der 655 Patienten umfassenden Phase-3-Studie HELIOS-B bei Patienten mit ATTR-Kardiomyopathie eine signifikante Risikoreduktion des primären Endpunkts, bestehend aus Gesamtmortalität und wiederholten kardiovaskulären Ereignissen, im Vergleich zu Placebo. Parallel stabilisierte sich die Lebensqualität unter Vutrisiran, während sie sich unter Placebo progredient verschlechterte.

Mit Vutrisiran gibt es eine neue Behandlungsoption für Patienten mit kardialer ATTR-Amyloidose.

Von:

Prof. Birgit Aßmus

Leiterin der Rubrik Herzinsuffizienz

 

01.09.2024

 

Bildquelle (Bild oben): Iakov Kalinin / Shutterstock.com

Die Transthyretin-Amyloidose, im folgenden ATTR-Amyloidose genannt, ist eine progressive, systemische Erkrankung. Durch die fehlgefalteten Proteine kommt es zur Bildung von Tetrameren, welche sich auch im Herzmuskel ablagern und so zu einer rasch progredienten Herzinsuffizienz führen. Es gibt zum einen die erbliche, hereditäre Form (hATTR), wobei in Deutschland wesentlich häufiger die Amyloidose des älteren Wildtyps auftritt, überwiegend bei männlichen Patienten ohne Nachweis von genetischen Veränderungen (wtATTR, früher auch als „senile Amyloidose“ bezeichnet). Für die kardiale ATTR-Amyloidose gibt es bisher nur die zugelassene Therapie mit dem Tetramer-Stabilisator Tafamidis, während für die neurologische Indikation ATTR-Polyneuropathie schon länger RNA-Therapeutika (RNA-Silencer- und RNA-Interferenz-Medikamente) zugelassen sind.

 

Das Ziel der HELIOS-B-Studie war die Evaluation der Therapie mit dem RNA-Interferenz-Medikament Vutrisiran bei symptomatischer kardialer ATTR-Amyloidose.

Methodik der Studie

 

Es handelt sich bei HELIOS-B um eine internationale multizentrische, doppel-blinde, randomisierte Placebo-kontrollierte Phase-3-Studie.

 

Der primäre Endpunkt war eine Kombination aus Tod jeglicher Ursache und wiederkehrenden kardiovaskulären Ereignissen. Sekundäre Endpunkte umfassten den Tod jeglicher Ursache, die Veränderung der zurückgelegten Strecke im 6-Minuten-Gehtest gegenüber dem Ausgangswert sowie die Veränderung des Gesamtscores des Kansas City Cardiomyopathy Questionnaires (KCCQ-OS) gegenüber dem Ausgangswert. Die Wirksamkeitsendpunkte wurden in der Gesamtpopulation und in der Monotherapie-Population (den Patienten, die zu Beginn kein Tafamidis erhielten) bewertet und hierarchisch getestet. Alle klinischen Ereignisse wurden unabhängig adjudiziert.

Ergebnisse der HELIOS-B-Studie

 

Insgesamt wurden 655 Patienten randomisiert; 326 erhielten Vutrisiran und 329 Placebo. Die Behandlung mit Vutrisiran führte zu einem geringeren Risiko für Tod jeglicher Ursache und wiederkehrende kardiovaskuläre Ereignisse im Vergleich zu Placebo (Hazard Ratio in der Gesamtpopulation: 0,72; 95%-Konfidenzintervall [KI]: 0,56–0,93; P = 0,01; Hazard Ratio in der Monotherapie-Population: 0,67; 95%-KI: 0,49–0,93; P = 0,02) sowie zu einem geringeren Risiko für Tod jeglicher Ursache über einen Zeitraum von 42 Monaten (Hazard Ratio: 0,65; 95%-KI: 0,46–0,90; P = 0,01).


Ein primärer Endpunkt trat bei 163 Patienten in der Vutrisiran-Gruppe und bei 202 in der Placebo-Gruppe auf. In der Gesamtpopulation führte die Behandlung mit Vutrisiran zu einem signifikant geringeren Rückgang der im 6-Minuten-Gehtest zurückgelegten Strecke im Vergleich zu Placebo (Kleinste-Quadrate-Mittelwert-Differenz: 26,5 m; 95%-KI: 13,4–39,6; P < 0,001) und zu einem signifikant geringeren Rückgang des KCCQ-OS-Scores (Kleinste-Quadrate-Mittelwert-Differenz: 5,8 Punkte; 95%-KI: 2,4–9,2; P < 0,001). Ähnliche Vorteile wurden in der Monotherapie-Population beobachtet.


Die Therapie zeigte sich wirksam in allen präspezifizierten Subgruppen. In einer exploratorischen Analyse zeigten sich NT-proBNP- und Troponin-I-Level mit Stabilisierung unter Vutrisiran im Vergleich zum progredienten Anstieg unter Placebo, sowie parallele Veränderungen zugunsten von Vutrisiran im Peak Longitudinal Strain (Core-Lab-Analyse). Wie erwartet, fand sich unter Vutrisiran eine Reduktion der Serum-TTR-Spiegel um 81 %.


Schwerwiegende unerwünschte Ereignisse traten bei 62 % der Patienten in der Vutrisiran-Gruppe und bei 67 % in der Placebo-Gruppe auf.

Limitationen

 

Eine Zusatztherapie mit Tafamidis war als Hintergrund erlaubt; insofern kann kein Vergleich zwischen der Therapie mit Vutrisiran und Tafamidis erfolgen.


Über 90 % der eingeschlossenen Patienten waren männlich und hatten zu knapp 90 % eine wtATTR-Kardiomyopathie, so dass die Aussagekraft für Frauen bezüglich dieser Studie sehr begrenzt ist.


Statistische Methode war das LWYY-Modell, welches Tod und kardiovaskuläre Ergebnisse identisch wertet.

Fazit des Forschungsteams

 

If approved, vutrisiran has the potential to become a standard of care for newly diagnosed patients and those progressing on stabilising therapies.

Marianna Fontana, National Amyloidosi Center, London, England

Kommentar

 

Es ist erfreulich, dass durch die gesteigerte Awareness und nicht-invasive Diagnosemöglichkeiten Patienten mit ATTR-Amyloidose heute früher identifiziert werden, und insofern zum Zeitpunkt des Einschlusses in die HELIOS-B Studie einen geringeren Schweregrad der kardialen ATTR-Amyloidose aufweisen als z. B. in der ATTRACT-Studie (Tafamidis-Zulassungsstudie). Zudem sind Tafamidis und SGLT-2-Inhibitoren bereits einigermaßen etabliert (bis 40 % bzw. 33 % in der HELIOS-B-Population). Ich finde es sehr gut, dass in Kürze mit Vutrisiran eine weitere Therapiemöglichkeit für Patienten mit kardialer ATTR-Amyloidose zur Verfügung stehen wird. Spannend ist aus meiner Sicht zukünftig der Vergleich zwischen den verschiedenen Wirkmechanismen und ihrem Outcome, z. B. über adjustierte Metaanalysen, inklusive der gegenwärtig sich in Phase 3 befindlichen „Depleter“-Antikörper.

Zur Autorin

Prof. Birgit Aßmus

Prof. Birgit Aßmus ist als leitende Oberärztin und W3-Professorin für Versorgungsforschung, mit dem Schwerpunkt Herzinsuffizienz, in der Klinik für Kardiologie und Angiologie am Universitätsklinikum Gießen (UKGM) sowie an der Kerckhoff-Klinik in Bad Nauheim tätig. Ihr Forschungsschwerpunkt liegt aktuell in den Bereichen Telemedizin, evidenzbasierten Versorgungsoptimierungen bei Herzinsuffizienz sowie der Pathophysiologie bei Herzinsuffizienz mit erhaltener Pumpfunktion. 
Bildquelle: Ronny Kretschmer / HKM

Referenzen

 

  1. Fontana M. Primary results from HELIOS-b, a phase 3 study of Vutrisiran in patients with Transthyretin Amyloidosis with Cardiomyopathy. Speakerin Hot Line 1, ESC-Kongress 2024.
  2. Fontana M, Berk JL, Gillmore JD, et al. Vutrisiran in Patients with Transthyretin Amyloidosis with Cardiomyopathy. N Engl J Med. Published online August 30, 2024. doi:10.1056/NEJMoa2409134

Das könnte Sie auch interessieren

ESC-Leitlinie 2024 Vorhofflimmern

ESC-Kongress 2024 | Guidelines: Im Update der ESC-Leitlinie VHF soll der neue Therapie-Ansatz CARE die Patientenversorgung verbessern. Kommentiert von Prof. C. Meyer.

Metaanalyse: VA-ECMO und Impella mit Vorteilen bei Schock nach STEMI

ESC-Kongress 2024 | Die Metaanalyse von 9 Studien identifizierte ein Kollektiv, das von VA-ECMO und Impella profitiert. Von PD Dr. A. Dietl und Prof. L. Maier.

Troponin: Point-of-Care-Testing vs. Zentrallabor

ESC-Kongress 2024 | WESTCOR-POC: Die POC-Diagnostik erweist sich als einfach und sicher. Aber ist sie auch alltagstauglich? Von Prof. E. Giannitsis.

Laden, bitte warten.
Diese Seite teilen