Prof. Brigitte Stiller: „Ziel ist, dass jeder machen kann, was ihm Freude bereitet“
Prof. Brigitte Stiller, Ärztliche Direktorin der Klinik für Angeborene Herzfehler und Pädiatrische Kardiologie des Universitäts-Herzzentrums Freiburg-Bad Krozingen, ist die Kardiologin von Romina. Sie betreute die junge Frau auch während der Schwangerschaft.
Was ist ein angeborener Herzfehler?
Prof. Brigitte Stiller: „Wir sprechen von einem angeborenen Herzfehler, wenn bereits im Mutterleib eine Fehlprogrammierung in der Herzentwicklung des Fötus stattgefunden hat. Diese kann die Herzkammern, -klappen oder Blutgefäße betreffen. Häufig treten auch kombinierte Formen auf. Das Spektrum dieser Fehlbildungen ist sehr groß – es reicht von unkomplizierten, leicht behandelbaren Formen bis zu sehr schweren Herzerkrankungen, die lebensbedrohlich sein können.“
Weiß die Forschung, was die Ursache solcher Herzfehler ist?
Prof. Stiller: „Genau kann man das leider noch nicht sagen. Als Ursachen kommen genetische Faktoren, aber auch mütterliche Erkrankungen wie Diabetes oder Infektionskrankheiten in Frage. Auch Alkohol in der Frühschwangerschaft und die Einnahme bestimmter Medikamente erhöhen das Risiko. Da ist noch weitere Forschung nötig.“
Wie viele Kinder werden in Deutschland mit einem Herzfehler geboren?
Prof. Stiller: „In Deutschland kommen pro Jahr etwa 8000 Kinder mit einem Herzfehler zur Welt. Knapp die Hälfte von ihnen hat sehr schwere Herzfehler, an denen sie vor etwa 50 Jahren noch gestorben wären. Mittlerweile erreichen mehr als 90 Prozent dieser Kinder das Erwachsenenalter. Viele Ärzte und Ärztinnen sind auf diese neue Patientengruppe wenig vorbereitet, da es die Gruppe von Erwachsenen mit angeborenen Herzfehlern (EmaH) bis vor wenigen Jahren noch nicht gab.“
Wie wird festgestellt, ob ein Kind einen Herzfehler hat?
Prof. Stiller: „Heutzutage stellen wir viele angeborene Herzfehler schon pränatal, also vor der Geburt, durch eine Ultraschalluntersuchung fest. Für die betroffenen Eltern biete ich in der Klinik regelmäßig individuelle Beratungen an. Dort erkläre ich ausführlich, welches Herzproblem vorliegt und wie es sich voraussichtlich entwickeln wird. Ob und wann beispielsweise Operationen nötig werden – oder nicht. Viele harmlosere Herzfehler fallen auch erst nach Monaten oder Jahren auf, wenn das Herz zum Beispiel bei Vorsorgeuntersuchungen auffällige Geräusche macht. Als Romina 1993 geboren wurde, war die Pränataldiagnostik noch nicht so weit – damals hat man meist erst durch die Blauverfärbung der Haut gemerkt, dass etwas nicht stimmt.“
Das Einkammerherz wird also schon vor der Geburt erkannt?
Prof. Stiller: „Dieser Herzfehler fällt meistens schon bei den Voruntersuchungen während der Schwangerschaft auf. Dann muss man den Eltern leider sagen, dass ein beschwerlicher Weg vor ihnen liegt, weil auch heute noch mindestens drei Operationen nötig sind, damit der Blutkreislauf ihres Kindes funktionieren kann. Gleichzeitig versuchen wir, die Eltern auch emotional auf das Leben mit einem herzkranken Kind vorzubereiten.“
Wie belastend ist eine solche Herzerkrankung für die Eltern?
Prof. Stiller: „Das ist natürlich sehr belastend. Oft ist die Folge, dass Kinder mit angeborenen Herzfehlern von ihren Eltern in ihrem Tun sehr eingeschränkt werden. Auch wenn der Herzfehler objektiv kein Problem mehr darstellt, findet häufig eine Überprotektion statt. Das führt langfristig zu einer reduzierten Frustrationstoleranz bei den Kindern. Es gibt Untersuchungen, die zeigen, dass das spätere lebenslange Bindungsverhalten dieser Kinder schwieriger ist als bei der Normalbevölkerung. Da müssen wir als Kinderärzte und Kinderärztinnen den Eltern, Kindern, Jugendlichen und jungen Erwachsenen das richtige Selbstvertrauen in ihr Herz und ihre Belastbarkeit vermitteln.
Warum ist es problematisch, dass sich viele Kardiologinnen und Kardiologen nicht mit den angeborenen Herzfehlern auskennen?
Prof. Stiller: „Erwachsene mit angeborenen Herzfehlern haben oft einen höheren Versorgungsaufwand als andere Patienten und Patientinnen, weil auch nicht-medizinische Aspekte eine Rolle spielen – wie die Berufs- oder Sportwahl. Manche benötigen auch eine psychologische Mitbetreuung, je nachdem, wie komplex der Herzfehler und wie stabil die Psyche der Betroffenen ist.“
Worauf sollten Erwachsene mit einem angeborenen Herzfehler bei ihrer Berufswahl achten?
Prof. Stiller: „Viele müssen regelmäßig blutverdünnende Medikamente einnehmen – dann sollten sie zum Beispiel eher keinen verletzungsträchtigen Beruf wählen. Liegen bestimmte Rhythmusstörungen vor, raten wir davon ab, beispielsweise als Dachdecker zu arbeiten. Leiden die Betroffenen unter einer Herzschwäche, einer Herzinsuffizienz, oder ist ihre Belastbarkeit eingeschränkt, helfen wir dabei, einzuschätzen, was sie sich zutrauen können. Dann machen wir mit diesen jungen Erwachsenen Belastungsuntersuchungen, sodass wir genau sagen können, wie stark sie körperlich eingeschränkt sind. Das Ziel ist immer, dass jeder das machen kann, was ihm am meisten Freude bereitet. Und dann müssen wir schauen, ob und wie man das hinkriegt.“
Bleiben Erwachsene mit angeborenen Herzfehlern eingeschränkt?
Prof. Stiller: „Das hängt immer von der Fehlbildung ab. Romina zum Beispiel würde – selbst wenn sie hart trainieren würde – keine sportlichen Höchstleistungen schaffen.“
Wie riskant ist eine Schwangerschaft mit Herzerkrankung?
Prof. Stiller: „Man muss über die Einnahme bestimmter Medikamente nachdenken. Einige können in der Schwangerschaft und Stillzeit Nebenwirkungen haben. Zudem geht eine Schwangerschaft mit einer erheblichen zusätzlichen Kreislaufbelastung einher – und zwar nicht erst im letzten Drittel, sondern schon relativ früh. Das Herz muss ein Viertel mehr arbeiten. Und das dauerhaft! Da ist eine enge und gute Betreuung wichtig. Wir haben Romina damals intensiv untersucht und genau mit ihr besprochen, wo die Risiken liegen.“
Was müssen Erwachsene mit angeborenen Herzfehlern im Alltag beachten?
Prof. Stiller: „Sie sollten auf eine gesunde Ernährung und ausreichend Bewegung achten, weil ein Übergewicht das Herz und das schwächere Kreislaufsystem belasten. Auch die Lunge muss gepflegt und gut erhalten werden – die Betroffenen sollten also nicht rauchen. Alkoholexzesse könnten zu Rhythmusstörungen führen. Zudem müssen die verschriebenen Medikamente regelmäßig und ein Leben lang genommen werden. Dennoch sagen viele Erwachsene mit angeborenen Herzfehlern, dass sie sich gesund und kaum eingeschränkt fühlen.“