Die Aortenklappenstenose zählt zu den häufigsten behandlungsbedürftigen Herzklappenerkrankungen bei älteren Menschen in den Industrienationen. Basierend auf zahlreichen positiven prospektiv-randomisierten Studien hat sich die TAVI über die vergangenen Jahre von einer Therapieoption für inoperable und Hochrisikopatientinnen und -patienten hin zu einem Verfahren für breitere Patientenkollektive entwickelt. Damit einhergehend ist weltweit ein stetiger Anstieg der Prozedurzahlen zu verzeichnen. Die neuen ESC/EACTS-Leitlinien 2025 tragen dieser Entwicklung Rechnung, indem sie den altersbezogenen Grenzwert für eine TAVI auf ≥70 Jahre senken.
Bisher haben die europäischen Leitlinien eine TAVI bei Patientinnen und Patienten mit niedrigem operativem Risiko erst ab einem Alter von 75 Jahren mit einer Klasse-IA-Indikation empfohlen.1 Die auf dem diesjährigen ESC-Kongress vorgestellten neuen ESC/EACTS-Leitlinien zur Behandlung von Herzklappenerkrankungen empfehlen nun bei allen Patientinnen und Patienten ab 70 Jahren mit trikuspider, hochgradiger Aortenklappenstenose sowie geeigneter Anatomie unabhängig vom operativen Risiko eine TAVI (Klasse IA). Bei Patientinnen und Patienten unter 70 Jahren und niedrigem operativem Risiko stellt der chirurgische Aortenklappenersatz (SAVR) weiterhin die Behandlung der Wahl dar (Klasse IB).2
Diese neuen Empfehlungen beruhen auf den Daten von insgesamt 4 randomisiert-kontrollierten Vergleichsstudien von TAVI vs. SAVR bei über 4.000 Patientinnen und Patienten mit niedrigem operativem Risiko (PARTNER 3, EVOLUT Low Risk, NOTION-2 und DEDICATE-DZHK6).3-6 In den genannten Studien wurde ein kombinierter Endpunkt aus Tod jeglicher Ursache und Schlaganfall (sowie teilweise noch Herzklappen- bzw. Herzinsuffizienz-bedingter Rehospitalisierung) untersucht. Die PARTNER-3-Studie konnte eine Überlegenheit der TAVI mit einer signifikanten Reduktion der unerwünschten Ereignisse gegenüber dem chirurgischen Klappenersatz zeigen (8,5 % vs. 15,1 %; 95%KI [-10,8; -2,5]); p<0,001 für Nicht-Unterlegenheit; HR 0,54, 95%KI [0,37; 0,79]; p=0,001 für Überlegenheit). Die EVOLUT-Low-Risk-Studie zeigte vergleichbare Ergebnisse mit einer Nicht-Unterlegenheit der TAVI gegenüber dem chirurgischen Aortenklappenersatz nach 2 Jahren (5,3 % vs. 6.7%; 95%KI [-4,9; 2,1]; p<0,001 für Nicht-Unterlegenheit). Die beiden Industrie-unabhängigen Studien DEDICATE-DZHK6 und NOTION-2 bestätigten die Ergebnisse und zeigten unabhängig vom Klappentyp, dass die TAVI dem chirurgischen Klappenersatz nicht unterlegen ist. Das mittlere Alter der Patientinnen und Patienten in diesen 4 Studien lag zwischen 71 und 74 Jahren. In der PARTNER-3-Studie betrug das mittlere Alter 73 Jahre und damit waren 60 % aller Patientinnen und Patienten jünger als 75 Jahre und 26 % sogar jünger als 70 Jahre.
Aufgrund der Fülle an Evidenz bei Patientinnen und Patienten unter der bisherigen Altersgrenze von 75 Jahren haben die Autoren der Leitlinien eine wesentliche Anpassung der Empfehlungen vorgenommen. Damit erfolgt eine Annäherung an die Empfehlungen der amerikanischen AHA/ACC-Leitlinien, welche bereits seit einiger Zeit ab einem Alter von 65 Jahren eine TAVI als Alternative zum chirurgischen Klappenersatz vorsehen.7
Im Mittelpunkt der Diskussion um die individuell optimale Behandlungsmodalität steht das Konzept des sogenannten Lifetime-Managements. Darunter versteht man, dass bereits bei der Planung der ersten Prozedur ein Therapiekonzept über die gesamte Lebensspanne der Patientin bzw. des Patienten erstellt wird, unabhängig von der initial gewählten Behandlungsstrategie (TAVI oder chirurgischer Eingriff). Möglicherweise notwendige Folgeeingriffe aufgrund einer Degeneration biologischer Klappenprothesen sollen dabei bereits bei der Planung des Ersteingriffs berücksichtigt werden.
Das Risiko für einen Folgeeingriff wird maßgeblich durch die Haltbarkeit der Bioprothesen und die geschätzte Lebenserwartung der Patientinnen und Patienten bestimmt, die im Einzelfall allerdings nur schwer exakt abschätzbar ist. Das chronologische Alter dient daher als pragmatischer Surrogatparameter für die Lebenserwartung. Zudem lassen sich anhand von Altersgrenzen die in klinischen Studien eingeschlossenen Patientengruppen eindeutiger definieren als über die geschätzte Lebenserwartung.
Neben dem Alter bzw. der geschätzten Lebenserwartung sind anatomische Faktoren sowie mögliche kardiale und nicht-kardiale Begleiterkrankungen zu berücksichtigen. Hier sind insbesondere die bikuspide Klappenmorphologie, kleine Annulusdimensionen, eine Porzellanaorta sowie das Risiko einer Koronarobstruktion im Rahmen der TAVI als wesentliche Aspekte zu nennen. Für die Behandlung der bikuspiden Aortenklappenstenose mittels TAVI gibt es in den neuen Leitlinien nun erstmalig eine Klasse-IIb-Empfehlung, d. h. dass eine Behandlung bei erhöhtem operativem Risiko in Betracht gezogen werden sollte. Allerdings ist auf die Heterogenität bikuspider Klappen zu verweisen: Diese reicht von Typ-1 bikuspiden Klappen, die ursprünglich trikuspide angelegt sind und eine nur geringe Verkalkung im Bereich der Verschmelzung zweiter Kommissuren aufweisen, bis hin zu schweren Verkalkungen der Raphe und des gesamten Klappenapparats bei angeborenen Typ-0 bikuspiden Klappen, die mit einem erhöhten Risiko für schwerwiegende periprozedurale Komplikationen einhergehen. Insbesondere bei jüngeren Patientinnen und Patienten sowie begleitender Aortopathie bleibt der chirurgische Klappenersatz weiterhin die Methode der Wahl.
Bei der Auswahl der optimalen Behandlungsmodalität sowie der am besten geeigneten Prothesenplattform sind zahlreiche Aspekte zu berücksichtigen:
Die operative Explantation einer TAVI-Prothese mit anschließendem Klappenersatz wird aktuell selten durchgeführt, weil sie technisch anspruchsvoll und bisher mit einem sehr hohen perioperativen Risiko und hoher Mortalität behaftet ist. Dies ist unter anderem darauf zurückzuführen, dass das Patientenkollektiv per se ein erhöhtes operatives Risiko aufweist und ein Großteil der Eingriffe bisher dringlich aufgrund einer Endokarditis erfolgte. Vor dem Hintergrund steigender Zahlen an TAVI-Prozeduren bei jüngeren Patientinnen und Patienten ist – insbesondere in den USA, wo bereits seit einigen Jahren eine niedrigere Altersgrenze für die TAVI besteht – ein Anstieg der Fallzahlen aufgrund von degenerierten TAVI-Prothesen zu verzeichnen.
Das Implantieren einer Transkatheter-Aortenklappenprothese in eine bestehende Klappenprothese, sei es in eine chirurgisch implantierte Klappe (TAV-in-SAV) oder erneut kathetergestützt (TAV-in-TAV), ist mit einem geringeren periprozeduralen Risiko verbunden als ein erneuter chirurgischer Klappenersatz. Hierbei sind allerdings einige technische Aspekte bei der Planung und Durchführung der Prozeduren zu beachten. Allen voran ist die Gefahr einer periprozeduralen Koronarobstruktion bzw. eines erschwerten Koronarzugangs zu nennen. Bei allen Valve-in-Valve-Prozeduren erzeugt man einen sogenannten „Neoskirt“ durch die dauerhaft offen gehaltenen Taschen der degenerierten Bioprothese, welcher bei einem schmalen Sinus valsalvae bzw. einem geringen Koronarabstand zu berücksichtigen ist, um eine komplette Sinussequestration und damit eine akute Koronarobstruktion zu vermeiden. Das Risiko hierfür hängt neben der individuellen Anatomie von der Implantationstiefe und dem Typ der implantierten Prothesen ab. Sowohl bei TAV-in-SAV- als auch bei TAV-in-TAV-Prozeduren scheinen supra-annuläre Herzklappen mit höherem Stentgerüst in Beobachtungsstudien mit einem höheren Risiko für eine akute periprozedurale Sinussequestration verbunden zu sein und stellen einen Risikofaktor für eine erfolglose selektive Kanülierung der Koronarostien dar.8,9
Dies zeigt, wie vielschichtig und anspruchsvoll das Konzept des Lifetime-Managements ist. Der präzisen CT-basierten Analyse der individuellen anatomischen Verhältnisse – insbesondere bei Patientinnen und Patienten mit einer geschätzten Lebenserwartung, die über der Haltbarkeit der Bioprothese liegt – kommt eine besondere Bedeutung zu. Außerdem spielt das Heart-Team eine zentrale Rolle in der Diskussion über die individuell optimale Behandlungsmodalität, wobei die anatomischen Gegebenheiten sowie mögliche kardiologische und nicht-kardiologische Begleiterkrankungen und die Auswahl der am besten geeigneten Prothesenplattform berücksichtigt werden.
Diese Umstände sowie die individuellen Präferenzen der Patientinnen und Patienten sollten Grundlage einer gemeinsamen Behandlungsentscheidung im Sinne eines „Shared Decision Making“ sein.