Für „Youngs“ ist die Koronarangiographie nicht nur ein Pflichtbestandteil in der kardiologischen Weiterbildung, sondern auch ein wichtiger Meilenstein auf der „Bucket List“ der zu erlernenden praktischen Fähigkeiten. Gleichzeitig ist der Einstieg herausfordernd: Die Koronaranatomie einschließlich anatomischen Varianten, das breite Materialspektrum und das technische Vorgehen müssen verstanden und sicher beherrscht werden. Eine strukturierte Herangehensweise, ein gutes Verständnis der Indikation und ein klarer Blick für mögliche Komplikationen sind unverzichtbar.
Die häufigsten Indikationen für die Koronarangiographie sind:
- Akutes Koronarsyndrom (ACS): STEMI, NSTEMI, instabile Angina pectoris
- Chronisches Koronarsyndrom (CCS): z. B. bei belastungsabhängiger Angina (oder Äquivalent), bei hoher Wahrscheinlichkeit (>85 %) für eine stenosierende KHK nach dem RF-CL Model, Ischämienachweis in der nichtinvasiven Bildgebung, relevante Koronarstenosen in der computertomographischen Koronarangiographie
- Vorbereitung vor kardiochirurgischen/interventionellen Eingriffen, z. B. vor Aortenklappen- oder Mitralklappenchirurgie bei entsprechender Risikokonstellation, vor minimalinvasiver Transkatheter-Edge-to-Edge-Reparatur von AV-Klappen oder Transkatheter-Klappenersatz
- Unklare linksventrikuläre Dysfunktion oder Verdacht auf ischämische Genese der Herzinsuffizienz
Absolute Kontraindikationen gibt es kaum, insbesondere nicht im Notfall (z. B. STEMI). Relative Kontraindikationen, bei denen Nutzen und Risiko abgewogen werden müssen, sind:
- Akute Infektionen oder Fieber unklarer Genese
- Schwere Gerinnungsstörungen, nicht pausierte orale Antikoagulanzien
- Kontrastmittelallergie (ggf. Vorkonditionierung)
- Niereninsuffizienz und Hyperthyreose (insb. bei geplanter elektiver Untersuchung)
- Schwangerschaft
1. Aufklärung und Vorbereitung: ggf. Nüchternheit (individuell bei Hochrisikoeingriffen), Antikoagulation pausieren oder überbrücken. Informieren über: Anamnese, Vorerkrankungen, Vormedikation, ggf. Voruntersuchungen (Vorfilme), insbesondere kardiale Bypass-Befunde
2. Zugang: Standard ist der transradiale oder distal radiale Zugang, alternativ femoral (hier Punktion Ultraschall-gesteuert oder unter Durchleuchtung). Lokalanästhesie → Punktion der Arterie → Draht → Nadel entfernen → Einführen der Schleuse in Seldinger-Technik über den liegenden Draht. Gabe von Heparin und Nitroglycerin, je nach Zugangsweg und Krankheitsbild (Kontraindikationen für die Medikamente beachten), Gabe eines Sedativums zur Spasmusprophylaxe (z. B. Midazolam)
3. Kathetereinführung: Vorschieben eines Standard-Führungsdrahtes (J-Wires) bis in die Aorta ascendens, hiernach Vorführen eines Diagnostikkatheters über den Standarddraht zum Ostium der jeweiligen Koronarie. Auswahl des Katheters je nach Zielgefäß (z. B. JL für LCA, JR für RCA als Standard), Katheter an die Pumpe anschließen und überprüfen, ob der Katheter luftleer ist (gut zurück bluten lassen bzw. unter Spülung anschließen), kontinuierliche Druckmessung in der Aorta
Intubation der LCA in AP oder LAO, Intubation der RCA in LAO:
a. Die LCA entspringt ca. 1 cm oberhalb der Aortenklappe links posterolateral aus der Aorta, der Führungsdraht ragt aus dem Katheter heraus, wird dann zurückgezogen und in der Regel springt der Katheter durch Zug am Katheter in das linke Koronarostium
b. Bei der RCA wird der Katheter in die Aortenwurzel vorgeschoben, die Katheterspitze zeigt in der Intubationsebene (LAO) nach links. Der Katheter wird dann um eine Viertelumdrehung bis halbe Umdrehung im Uhrzeigersinn gedreht und dabei langsam ein wenig (2–3 cm) zurückgezogen. Hierbei bewegt sich die Katheterspitze nach rechts in Richtung auf das anterior gelegene rechtskoronare Ostium
Jede Manipulation des Katheters sollte nur unter Durchleuchtung und unter ständiger Beobachtung der Druckkurve und des EKGs erfolgen.
4. Kontrastmittelapplikation: Vor Kontrastmittelapplikation sicherstellen, dass kein Wedge-Druck vorliegt, Injektion des Kontrastmittels unter Durchleuchtung, Darstellung der Koronargefäße in mehreren Projektionen (jedes Gefäß in mindestens zwei Ebenen, ein standardisierter Ablauf empfiehlt sich – siehe Abbildung Projektionsebenen). Je nach Bedarf physiologische Messung, ggf. intravaskuläre Bildgebung ergänzen. Je nach Fragestellung ggf. LVEDP-Messung, Laevokardiographie oder Vitiendiagnostik durchführen
5. Dokumentation und Interpretation: Bildanalyse, Beurteilung von Stenosegrad, Lokalisation der Stenose und den Flussverhältnissen
6. Nachsorge (im Befund festhalten): Druckverband (wie lange, Uhrzeit zum Abnehmen sinnvoll), Mobilisation (ab wann erlaubt bei femoraler Untersuchung), ggf. Beobachtung bei Komplikationsverdacht, Punktionsstelle untersuchen und dokumentieren (am gleichen Tag und am Folgetag)
Projektionsebenen bei der Koronarangiographie werden nach der Position des Detektors, der sich über dem Patienten befindet, benannt:
AP: Anterior-Posterior, der Detektor befindet sich über dem Patienten
LAO: left anterior oblique oder linke vordere Schrägposition, der Detektor ist links vom Patienten
RAO: right anterior oblique oder rechte vordere Schrägposition, der Detektor befindet sich rechts vom Patienten
CRAN: Cranial, der Detektor ist zum Kopfende anguliert
CAU: der Detektor ist zum Fußende des Patienten anguliert
Vor meinem ersten diagnostischen Katheter hätte ich mir gewünscht, zu wissen, dass ... der Schlüssel zum Erfolg nicht im „richtigen Drehen“ des Katheters liegt, sondern im Verstehen der Anatomie. Wer die Projektionen und Gefäßverläufe kennt, weiß, was er sehen will – und erkennt schneller, wenn etwas nicht stimmt.
Außerdem hätte ich mir mehr Übersicht beim Material gewünscht: Welche Katheter gibt es, wann nutze ich welchen? Deswegen unbedingt vor dem praktischen Einsatz im Herzkatheterlabor auch theoretisch vorbereiten – mein Buchtipp hierzu: Das Herzkatheterbuch, Harald Lapp (Thieme Verlag) und Das Manual der AGIK, Teil 1: „Durchführung der diagnostischen Herzkatheteruntersuchung“
Nach 20 Koronarangiographien weiß ich, dass ... sich jede Herzkatheteruntersuchung lohnt, bei der man „nur“ zugesehen oder am Tisch assistiert hat! Es schärft den Blick für anatomische Varianten, Dominanztypen, das verwendete Material und die verschiedenen Katheter. Auch kleinere Komplikationen wie Vasospasmen verlieren ihren Schrecken, wenn man sie mehrfach miterlebt hat und weiß, wie man sie souverän managen kann.
Die diagnostische Koronarangiographie ist eine Schlüsselkompetenz in der Kardiologie – und gleichzeitig ein ideales Feld, um als „Young“ zu wachsen. Wer Indikationen sicher beherrscht, technische Fertigkeiten entwickelt und aus seinen ersten Erfahrungen lernt, legt ein stabiles Fundament für eine Karriere in der interventionellen Kardiologie.
Wichtige Tipps zur Koronarangiographie für junge Kardiologinnen und Kardiologen sind:
- Es ist wichtig, viele Materialien zu kennen – aber noch wichtiger ist, mit einem kleinen, persönlichen Set („Toolbox“) wirklich vertraut zu sein und dieses sicher zu beherrschen.
- Mit zunehmender Erfahrung lernt man vor allem, wann es Zeit ist, aufzuhören. „Better“ ist nicht immer der Feind von „good“, aber „zu viel“ ist oft nicht im Sinne der Patientin oder des Patienten.
- Traue dich, neue Methoden zu lernen – akzeptiere aber auch, dass niemand eine Expertin oder ein Experte für alles sein kann. Fokussierung ist Teil professioneller Reife.